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Lektorix des Monats für das Jahr 2013

Lektorix des Monats Dezember 2013

Der arme Peter.
Von Heinrich Heine.
Illustriert von Peter Schössow.
Hanser Verlag 2013.
48 S. € 15,40.

 

 

 

 

 

Heines Gedicht auf der Bühne

Anfangs wollt ich fast verzagen, / Und ich glaubt, ich trüg es nie; / Und ich hab es doch ertragen – Aber fragt mich nur nicht, wie? Bereits am Innentitel wird Heinrich Heine zitiert. Kenn ich, setzt der Hamburger Illustrator Peter Schössow keck dazu und schenkt sich „Der arme Peter“ zum 60. Geburtstag.  Das Gedicht seines Namensvetters erfährt dabei eine spielerische Mehrfachübertragung: Es wird zu einem Schauspiel für Kinder gemacht, dessen Aufführung wiederum zum Inhalt des mit unglaublichem Detailreichtum ausgestatteten Bilderbuches wird. Vom Vorsatzpapier an folgt man dem Publikum und den Darsteller*innen ins Thalia-Theater, wirft einen Blick in die Garderobe, in der sich die Metamorphose der Schauspieler*innen in Figuren des Stücks abzeichnet, und blickt gebannt durch den sich öffnenden Vorhang in die Gesichter erwartungsvoller oder auch gelangweilter Kinder.
Drei Teile mit jeweils drei Strophen umfasst Heinrich Heines Gedicht, dessen Rhythmus Peter Schössow in die Abfolge seiner Bilder übernimmt: Jeder Strophe widmet er ein eigenes Bühnenbild, wobei sich die Verwandlung dreier Komparsinnen von Bild zu Bild mit noch mehr Genuss beobachten lässt. Stellen sie zu Beginn, wenn „der Hans und die Grete“ zum Leidwesen des armen Peter „vor lauter Freude“ tanzen, noch den Chor, wandeln sie sich später zu Nonnen, Schafen oder Limonadenverkäuferinnen; und hängen mit entsetztem Gesichtsausdruck vom Himmel, wenn Peter auf dem Gipfel seiner Verzweiflung angelangt ist. Nach jedem der drei Gedicht-Teile wechselt Peter Schössow mit filmischem Schnitt von der Bühne ins Publikum und bezieht dieserart die Wirkungsästhetik des Bühnenspiels in sein Bilderbuch mit ein. Bis Peter letztlich ins Grab steigt, um zu „schlafen bis zum jüngsten Tag“ – wohlgemerkt tut er das nicht, ohne sich vorher die Schuhe auszuziehen! Bildverweise wie diese manchen das aufwändig gestaltete Buch im großformatig-quadratischen Format zum reinen Schau-Vergnügen. 3500 Stunden hat Peter Schössow daran gearbeitet und Schicht für Schicht der Illustrationen am Computer übereinander gelegt. Er entwirft Räume, kostümiert Figuren und entspinnt zahlreiche kleine Nebenhandlungen, die stets aufs Neue vom Beginn des Bilderbuches an bis zu jener Szene verfolgt werden können, als Kinder sowie Schauspieler*innen das Theater wieder verlassen. Nicht immer gemeinsam mit jenen, mit denen sie gekommen sind … Dem klassischen Tragödienmoment des Mit-Leids wird damit eine ganz neue Bedeutung gegeben. Tosender Applaus!

Heidi Lexe

 

Lektorix des Monats Oktober 2013

 

Alle Welt. Das Landkartenbuch.
Von Aleksandra Mizielinska und Daniel Mizielinski.
Aus dem Poln. v. Thomas Weiler.
Moritz 2013.
112 S., € 26,80.


 

 

 

 

 

 

Atlas für Entdecker

Wer den Namen Atlas trägt, hat schwer zu tragen: Sowohl der Titan aus der Mythologie, der die Weltkugel stemmt, als auch jener Halswirbel, der die körperliche Last des Kopfes trägt – und damit die „Last“ der je individuellen Welt der Gedanken und Assoziationen. Entsprechend gewichtig zeigt sich auch dieser Atlas. Als wäre er aus dem Schiffsbauch einer Fregatte alter Entdecker geborgen, breitet das kartografische Schmuckstück handgezeichnetes Kartenmaterial großformatig auf scheinbar vergilbtem Papier aus und ermöglicht es, mit kindlich-naivem Blick durch „Alle Welt“ zu navigieren. Mit jedem Umblättern entspinnen sich Expeditionen, die Bekanntes und durchaus Konventionelles mit der Exotik neu zu erforschender Gebiete verbinden. Beginnend im hohen Norden Islands wurde für alle fünf Kontinente eine Länderauswahl getroffen, die (der Zielgruppe entsprechend) für Europa natürlich entsprechend üppiger ausfällt. Eine vorangestellte Übersichtskarte verortet die jeweiligen Nationen und präzisiert geografische Relationen. Denn danach herrscht (trotz Maßstabangabe) herrliche Größenordnungsanarchie. Die Ausbreitung der einzelnen Länder über je eine Doppelseite schafft Platz für zahllose Bildminiaturen, mit deren Hilfe kunst- und kulturgeschichtliche Besonderheiten mit Landschaftsformationen sowie einer Fülle an Einblicken in die Fauna und Flora kombiniert werden. Die kroatische Bergsingzikade findet hier Platz neben der Gusla (traditionelles Streichinstrument), die Brücke am Kwai im Westen Thailands neben Ananas, Chili und Kautschukbaum. Beliebte nationale Sport- und Freizeitaktivitäten werden an die Seite ethnologischer Aspekte und berühmter Künstler*innen, Wissenschaftler*innen oder Aktivist*innen gestellt. So findet Desmond Tutu Platz neben „Buschleute(n) vom Volk San“ und den Verweisen auf Cricket und Rugby, während Sigmund Freud seinen Blick gnädig vom Tafelspitz ab und dem Schneeschuhlaufen und Rodeln zuwendet. Don Quichotte und Sancho Panza hingegen reiten förmlich auf die spanischen Tapas-Häppchen zu, denn natürlich kommt den jeweiligen kulinarischen Verlockungen der Länder umfassende Bedeutung zu.  Historische und gesellschaftspolitische Hierarchien scheinen aufgelöst, wenn jeweils zwei Kinder mit exemplarischen Namen den kurzen Angaben zur Seite gestellt werden, die den Ländernamen in seinen entsprechenden Varianten, Hauptstadt, Fläche und Einwohnerzahl, gesprochene Sprachen und Landesflagge umfassen. Eine Parade der Flaggen aller Länder dieser Welt rundet das kartografische Schauerlebnis ab. Wer da Einsiedlerkrebs sein will, ist selber schuld!

Heidi Lexe

Buchtipp in DIE FURCHE 40/3. Oktober 2013

 

Oliver Scherz: Ben.
Ill. v. Annette Swoboda.
Thienemann 2013.
112 S., € 13,40.

Schildkröte ist Schildkröte

Fast sechs zu sein, wie der kindliche Ich-Erzähler Ben, ist eine Zeit des Dazwischenseins: Man ist kein Kindergartenkind mehr, geht aber auch noch nicht in die Schule. Muss man bei den Großeltern übernachten, ist das Heimweh groß, aber wenn der Großvater zu einem nächtlichen Spaziergang motiviert, steht die Neugier im Vordergrund. Der große Bruder findet einen meistens zu klein für die wirklich interessanten Spiele, aber wenn die Eltern abends weggehen, wird doch gemeinsam über die Stränge geschlagen. In zehn kurzen Geschichten, die chronologisch verlaufen und thematisch lose zusammenhängen, etabliert Schauspieler, Cutter und Regisseur Oliver Scherz in seinem ersten Kinderbuch aber vor allem eine große Freundschaft: Denn immer mit dabei ist Herr Sowa, Bens Schildkröte und gleichzeitig sein bester Freund. Und eine der größten Herausforderungen ist es schließlich zu erkennen, dass auch eine heißgeliebte Schildkröte eben eine Schildkröte und nicht für alle Aktivitäten geeignet ist. Annette Swoboda setzt Ben und Herrn Sowa in farblich zurückgenommenen Bildern, die teilweise in den Textraum integriert sind, in Szene. Es sind nicht die großen Abenteuer, von denen hier mit viel Gespür für kindliche Gedanken und Emotionen erzählt wird, sondern vielmehr die kleinen Erkenntnisse und Herausforderungen des Kinderalltags, ohne dabei voraussehbar oder belehrend zu wirken. Durch die im Kinderbuch selten gewählte Form von kurzen Geschichten, die sowohl einzeln als auch im Gesamtgefüge Dramaturgie und Sprachbewusstsein zeigen, eignet sich das Buch auch hervorragend zum Vorlesen – oder Anhören der bei Silberfisch lieferbaren Hör-CD, die von Martin Baltscheit gelesen wird.

Kathrin Wexberg

 

Lektorix des Monats Juni 2013

 

Conrad Ferdinand Mexer / Jens Thiele:
Die Füße im Feuer.
Jacoby & Stuart 2013.
40 S. € 20,60


 

Aus Feuer geboren

„Mein ist die Rache, redet Gott.“ In der Klimax seiner 1882 erstmals veröffentlichten Ballade verdichtet der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer das Entsetzen, das sich in den Verszeilen verfestigt. Die Erkenntnis, in welcher Weise das Schicksal des Gastes, der in einer stürmischen Nacht Herberge suchend an eine Türe klopft, mit jenem der Gastgeber verknüpft ist, führt zu einem Ausmaß an Erschütterung, das in frappantem Kontrast zur erzwungenen Ruhe des Gastgebers und der scheinbaren Leichtigkeit steht, mit der der Gast über seine Schuld hinweggeht. Wie schon in seiner künstlerischen Annäherung an Johann Wolfgang von Goethes „Der Erlkönig“ macht auch hier Jens Thieles Ästhetik des gerissenen, geschnittenen und collagierten Papiers die Brüchigkeit einer Welt sichtbar, in die Handlungsgewalt letztlich beim Tod – oder beim Herrn – liegt. Die Vorliebe des Illustrators für ein kontrastreiches Miteinander von Schwarz und Rot setzt die prägenden Akzente – scheint die Ballade von Conrad Ferdinand Meyer doch aus dem Feuer heraus geboren.
Und einmal mehr nutzt Jens Thiele eine wortwörtliche Bild-Inszenierung, um den fiktionalen Charakter der zu Grunde liegenden Ballade zu betonen: In das Schwarz des Vorsatzpapieres leuchtet ein Scheinwerfer und erhellt den Titel, als würde dieser auf einer Kinoleinwand erscheinen; in der Dunkelheit des Zuschauerraums gilt der Blick allein jenen Affekten, die die Vorstellung im Licht-Spiel-Theater evoziert. Wobei der „Film“ selbst auf der schwarz umrandeten Leinwand des Bilderbuches in Schnittbildern erscheint, die auf Durchlässigkeit hin zu seinem Produktionsprozess zeigen: Jener Scheinwerfer, der den Blick der Betrachter*innen von Beginn an lenkt, erhellt die Szenerien und macht deren Charakter als Kulisse erkenntlich. Die Narration der Ballade wird damit ganz aus ihrer Entstehungszeit gelöst. In der Ahnengalerie wird der Reiter im Mantel des Königs mit seiner schuldhaften Vergangenheit konfrontiert: Das Porträt jener Frau, die er einst gefoltert und getötet hat, drängt sich ihm förmlich entgegen – und erinnert gleichzeitig in seiner Ikonografie an moderne Film-Leichen, deren Tod forensisch und deren Leben ermittelnd umkreist wird. Leitmotivisch drängt sich dabei das titelgebende Feuer ins Bild, das die Frau in jener Nacht der Hugenotten-Jagd ebenso verschlungen hat, wie es nun die Gedanken des Reiters – dem Fegefeuer der radikalen Selbsterkenntnis entsprechend – „verschlingt“. Jens Thiele gelingt eine herausfordernde Literatur-Interpretation, die das Bilderbuch einmal mehr als Kunstform ausweist.

Heidi Lexe

 

Buchtipp in DIE FURCHE 23/6. Juni 2013

 

Alois Prinz: Jesus von Nazaret.
Gabriel 2013.
240 S. € 17,50.


Exemplarische Momente

Franz Kafka, Hannah Arendt, Joseph Goebbels und Ulrike Meinhof – das sind nur einige der historischen Figuren, deren Biographien Alois Prinz bereits nachgegangen ist. Ein besonderes Merkmal seiner Bücher ist dabei stets der Umgang mit den Quellen, die zur porträtierten Person vorliegen: Prinz strebt nicht die lückenlose Aufarbeitung dieses Materials an, zentraler ist es für ihn, jene Momente darzustellen, die exemplarisch das Wesen der Person charakterisieren. So relativiert sich das Konzept von historischer „Wahrheit“ – denn über das Wesen eines Menschen können erfundene Geschichten unter Umständen mehr aussagen als „reale“. Wenn er nun im Gabriel Verlag eine Biographie über Jesus vorlegt, stellen sich solche Fragen in besonderer Weise, ist hier doch die Kluft zwischen dem, was tatsächlich historisch belegbar ist und dem, was an (biblischen) Geschichten, Deutungsversuchen und exegetischen Interpretationen vorliegt, besonders groß. Der Bogen zwischen der 2000 Jahre zurückliegenden Vergangenheit und der Gegenwart wird gespannt, indem immer wieder beschrieben wird, wie die Schauplätze von bekannten Evangelienstellen heute ausschauen und was deren Botschaft für Menschen heute bedeuten kann – jener zwischen „Fakten“ und Interpretation durch eine knappe und verständliche Wiedergabe theologischer Fachdiskurse. So wird gleich im einleitenden Kapitel die Formulierung von „wahrer Mensch und wahrer Gott“, wie sie das Konzil von Chalkedon festgelegt hat, dargelegt. Wenig bekannte sozialhistorische Hintergründe werden beleuchtet und so ganz unterschiedliche Aspekte eines Lebens gezeigt, von dem man meint, schon alles gehört zu haben, und doch letztlich so wenig weiß.

Kathrin Wexberg

 

Lektorix des Monats April 2013

 

Sarah Michaela Orlovský:
Tomaten mögen keinen Regen.
Wiener Dom-Verlag 2013.
192 S., € 17,90.

Besonderes Zuhause

"Das Haus „Betlehem“ ist ein besonderes Zuhause für besondere Kinder." So formuliert es die Redakteurin Ana, die eine „Behinderten-Story“ über ein Waisenheim schreiben möchte. Gaya, Bewohnerin des Heims, antwortet auf die Frage, wie „das so ist, in einem Waisenheim zu leben“ einfach: „Ein Waisenheim ist halt ein Waisenheim.“ Bereits mit diesen unterschiedlichen Beschreibungen des zentralen Handlungsortes lotet Sarah Michaela Orlovský in ihrem ersten Jugendroman den Begriff „Normalität“ neu aus: Für die einen ist ein Waisenheim für sogenannte behinderte Kinder etwas besonders, etwas, mit dem man „normalerweise“ nicht konfrontiert ist. Für die anderen ist diese Situation schlichte Lebensrealität – etwa für den jugendlichen Hovanes, den Ich-Erzähler, der ganz unmittelbar von seinen entschleunigten Sommerferien erzählt: von seiner Arbeit im Garten, den Schwestern und Kindern im Haus, seiner heimlichen Liebe zu einem Mädchen von draußen und schließlich von Anas Recherchen, die vieles aufwühlen… Als reflektierter Erzähler gewährt Hovanes Einblicke in seine jugendliche Gefühlswelt. Er trägt schwer am Bewusstsein „anders“ zu sein, sein Wunsch nach Selbstbestimmung ist im Waisenheim schwer zu verwirklichen. So liebevoll die Stimmung gezeichnet ist, so schwer ist das ständige Zusammensein mit jüngeren Kindern für einen adoleszenten Jungen bisweilen zu ertragen. „Das Haus gehört allen, der Garten gehört allen, wir essen und beten und atmen zusammen.“ Trotz dieses hermetischen Schauplatzes gelingt es der Autorin, Diversität zu transportieren und das Heim als komplexes Kollektiv zu gestalten. Dabei charakterisiert sie die Figuren ohne oberflächliche Zuschreibungen und verweigert sich einer eindeutigen Einordnung ihrer Behinderungen. Im Text bildet sich nicht nur das große Einfühlungsvermögen der Autorin ab, sondern auch ihr humanitäres Engagement und ihre Arbeit mit jungen Menschen in verschiedensten Kontexten. Die dramaturgische Konzeption des Romans steht der psychologischen Stimmigkeit dabei um nichts nach: Neben Hovanes Ich-Erzählung und der Innensicht Anas gibt es noch eine dritte Erzählinstanz, die erahnen lässt, dass Hovanes Konflikte mit anderen und letztlich sich selbst in einem gefährlichen Ereignis münden… Vom überraschenden Ende her, das alle Spannungsbögen löst, liest sich der Roman, vor allem aber Hovanes noch einmal anders. Und die im Kontext von Jugendliteratur oft bemühte Aussage, dass „Jugendlichen eine Stimme gegeben wird“ bekommt ganz neue Relevanz.

Christina Ulm

 

Buchtipp in DIE FURCHE 14/4. April 2013

 

Heinz Janisch / Hannes Binder:
Ich ging in Schuhen aus Gras.
Zürich: atlantis 2013,
32 S., 14, 95 Euro

Fremd und doch daheim

Schabkartonbilder sind das Markenzeichen des Schweizer Illustrators Hannes Binder – mit ihren effektvollen Schwarz-Weiß-Kontrasten hat er sie unter anderem zur Bebilderung von so unterschiedlichen Stoffen wie den Roman „Die Schwarzen Brüder“ von Lisa Tetzner, Eduard Mörikes Gedicht „Um Mitternacht“ oder zuletzt die Graphic Novel-Biographie des italienischen Art Brut-Künstlers Antonio Ligabue eingesetzt. Nun widmet er sich erstmals einem Text von Heinz Janisch, einer der produktivsten österreichischen Autoren für Kinder, ausgezeichnet unter anderem mit dem Österreichischen Staatspreis für Kinderlyrik und dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis. In seinem Gedicht „Ich ging in Schuhen aus Gras“, das dem Bilderbuch in voller Länge vorangestellt ist, unternimmt das kindliche Lyrische Ich eine Reise in eine fremde Welt der Phantasie, die schließlich ins Zuhause zurückführt. „,Wo du nur immer herumläufst‘, sagte die Frau, die meine Mutter war. ,Schön, dass du wieder da bist‘, sagte der Mann, der mein Vater war.“ Zu jeder mit weißer Schrift auf schwarzem Untergrund gesetzten Gedichtzeile zeigt Binder ein Einzelbild, meist im gewohnten Schwarz-weiß, einzelne Details sind zurückhaltend koloriert und erhalten so eine besondere Wirkung. Die von ihm gewählten Sujets sind ein gelungenes Beispiel dafür, wie gerade die Illustration von Lyrik sowohl nah am Text bleibt als auch weit darüber hinausgeht, etwa wenn die im Text angesprochene fremde Stadt aus Stein mit simplen Steinquadern dargestellt wird. Fremd und doch daheim, dunkel und doch hell, Wirklichkeit und doch Realität – zwei Meister ihres Fachs haben sich hier zu einem Bilderbuch der ganz besonderen Art zusammengefunden.

Kathrin Wexberg

 

Lektorix des Monats Februar 2013

 

ICraig Silvey: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Übersetzt v. Bettina Münch.
Rowohlt 2012.
432 S., € 17,50.

Ausgrenzungen, Agressionen

Am Anfang war das Wort. Das ausgesprochene, viel mehr aber noch das unausgesprochene Wort bestimmen die Dramaturgie eines Jugendromans, der in der fiktiven australischen Kleinstadt Corrigan im Jahr 1965 angesiedelt ist. Am Beginn wird das Wort an den Ich-Erzähler Charlie gerichtet und es ist ein Hilfeschrei, an den sich eine Vielzahl solcher in Worten, Gesten oder Taten formulierte Hilfeschreie anschließen sollen. Der missliebige Außenseiter Jasper Jones taucht eines Nachts vor Charlies Fenster auf und führt ihn zu einem Geheimplatz im Busch. Das Bild des Grauens, das sich Charlie dort bietet, bestimmt das Faszinosum ebenso wie den weiteren Verlauf des Erzählten: Alles dreht sich um Laura Wishart, doch weniger die Klärung dessen, was mit dem Mädchen passiert ist, als vielmehr Charlies Involviert-Sein darin prägt den Grundtenor des Romans. Denn Charlie begegnet dem sozialen Miteinander in der Kleinstadt mit mehr Misstrauen, aber auch mit größerer Aufmerksamkeit. Kaum zu verbergende Geheimnisse und das Flüstern der Vergangenheit übersäen Corrigan, wie Craig Silvey selbst es in einem Interview formuliert. Familiäre Scheinwelten, Animositäten und Mechanismen der Ausgrenzung, aufkeimende Aggressionen über Australiens Rolle im Vietnamkrieg – das alles überträgt sich auf den Mikrokosmos eines Provinznestes, in dem die Figuren zunehmend gefangen scheinen. Die Beengtheit gleicht einem Cricketfeld, auf dem der Handlungsspielraum durch den Variantenreichtum der Möglichkeiten entsteht, den Ball zu schlagen. Während Charlies bester Freund Jeffrey diese Schläge beherrscht (aber auf Grund seiner vietnamesischen Herkunft dennoch an den sozialen Rand gestellt ist), liegt Charlies Potential in der Sprache und in seinem Interesse an Literatur. Sie öffnet ihm den Horizont, sie ermöglicht es ihm, das provinzielle Geschehen an die grundsätzlichen Fragen der menschlichen Existenz ebenso anzubinden wie an historische Entwicklungen. Zur seiner literarischen Leitfigur wird Atticus Finch. An dessen moralischen Grundsätzen versucht Charlie sein Handeln auszurichten, als seine aufkeimenden Gefühle für Eliza Wishart seine Loyalität zu Jasper Jones auf die Probe stellen. Denn nur er und Jasper Jones wissen, dass Laura Wishart, die als vermisst gilt, bereits tot ist. Hineingestellt in anglo-amerikanische Erzähltraditionen gelingt es Craig Silvey, mit seiner besonderen Gabe des geschliffenen Dialogs, eine jugendliche Perspektive zu nutzen, um ein komplexes Sittenbild zu zeichnen und dabei eine äußerst spannende Geschichte zu erzählen.

Heidi Lexe

 

Buchtipp in DIE FURCHE 6/7. Februar 2013

 

Als die Häuser heimwärts schwebten...
Erzählbilder von Einar Turkowski.
München: mixtvision 2012
16,90 Euro

Geschichte selbst erzählen

Surreal, detailverliebt und stets ausschließlich in Schwarz-Weiß gehalten, so sind die Bildwelten des Ausnahmekünstlers Einar Turkowski, die er mit unglaublicher Akribie gestaltet. Während das farb- und materialreiche Stilmittel der Collage im zeitgenössischen Bilderbuch eine ungebrochen große Rolle spielt, zeichnet er mit einer gänzlich anders gearteten Technik: Verwendet werden ausschließlich TK-Minen-Bleistifte mit Minen des Härtegrades HB, rund 400 solcher Minen verbraucht er für ein Buch. Standen bislang von ihm selbst erdachte, schräge Geschichten im Mittelpunkt seiner Bücher, zeichnet er nun für den zweiten Band der Reihe "Erzählbilder" des mixtvision-Verlags verantwortlich: Bilder also, die die Betrachter*innen dazu anregen, selbst Geschichten zu erfinden, miteinander ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen, Ideen zu spinnen. Konkrete Hinweise, wie so ein Gespräch verlaufen kann, gibt die Kinderphilosophin Kristina Calvert in ihrem Nachwort. Auf Text wird bei diesen Erzählbildern nicht gänzlich verzichtet, unter jeder Doppelseite steht ein Gegensatzpaar: Von "Einer-viele" über "Lärm-Stille" bis zu "Vergangenheit-Zukunft" reicht die Bandbreite. Doch was diese Gegensatzpaare tatsächlich mit den Bilder zu tun haben, führt bereits mitten hinein ins Erzählen. Denn welches der beim Bild "Ordnung-Unordnung" dargestellten Häuser ist wohl ordentlich, welches unordentlich? Warum sind manche davon bewacht, andere nicht? Wer ist Kamilla, das Nashorn, und was hat es mit dem starken Bären Max auf sich? Ist Ruhe wirklich das Gegenteil von Ungeduld? Und wie hört sich wohl der Lärm an, der von kuriosen Vögeln in einer kargen Felsenlandschaft gemacht wird?

Kathrin Wexberg

 

 

 

 


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