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Lektorix des Monats Juni 2013

 

Conrad Ferdinand Mexer / Jens Thiele:
Die Füße im Feuer.
Jacoby & Stuart 2013.
40 S. € 20,60


 

Aus Feuer geboren

„Mein ist die Rache, redet Gott.“ In der Klimax seiner 1882 erstmals veröffentlichten Ballade verdichtet der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer das Entsetzen, das sich in den Verszeilen verfestigt. Die Erkenntnis, in welcher Weise das Schicksal des Gastes, der in einer stürmischen Nacht Herberge suchend an eine Türe klopft, mit jenem der Gastgeber verknüpft ist, führt zu einem Ausmaß an Erschütterung, das in frappantem Kontrast zur erzwungenen Ruhe des Gastgebers und der scheinbaren Leichtigkeit steht, mit der der Gast über seine Schuld hinweggeht. Wie schon in seiner künstlerischen Annäherung an Johann Wolfgang von Goethes „Der Erlkönig“ macht auch hier Jens Thieles Ästhetik des gerissenen, geschnittenen und collagierten Papiers die Brüchigkeit einer Welt sichtbar, in die Handlungsgewalt letztlich beim Tod – oder beim Herrn – liegt. Die Vorliebe des Illustrators für ein kontrastreiches Miteinander von Schwarz und Rot setzt die prägenden Akzente – scheint die Ballade von Conrad Ferdinand Meyer doch aus dem Feuer heraus geboren.
Und einmal mehr nutzt Jens Thiele eine wortwörtliche Bild-Inszenierung, um den fiktionalen Charakter der zu Grunde liegenden Ballade zu betonen: In das Schwarz des Vorsatzpapieres leuchtet ein Scheinwerfer und erhellt den Titel, als würde dieser auf einer Kinoleinwand erscheinen; in der Dunkelheit des Zuschauerraums gilt der Blick allein jenen Affekten, die die Vorstellung im Licht-Spiel-Theater evoziert. Wobei der „Film“ selbst auf der schwarz umrandeten Leinwand des Bilderbuches in Schnittbildern erscheint, die auf Durchlässigkeit hin zu seinem Produktionsprozess zeigen: Jener Scheinwerfer, der den Blick der Betrachter*innen von Beginn an lenkt, erhellt die Szenerien und macht deren Charakter als Kulisse erkenntlich. Die Narration der Ballade wird damit ganz aus ihrer Entstehungszeit gelöst. In der Ahnengalerie wird der Reiter im Mantel des Königs mit seiner schuldhaften Vergangenheit konfrontiert: Das Porträt jener Frau, die er einst gefoltert und getötet hat, drängt sich ihm förmlich entgegen – und erinnert gleichzeitig in seiner Ikonografie an moderne Film-Leichen, deren Tod forensisch und deren Leben ermittelnd umkreist wird. Leitmotivisch drängt sich dabei das titelgebende Feuer ins Bild, das die Frau in jener Nacht der Hugenotten-Jagd ebenso verschlungen hat, wie es nun die Gedanken des Reiters – dem Fegefeuer der radikalen Selbsterkenntnis entsprechend – „verschlingt“. Jens Thiele gelingt eine herausfordernde Literatur-Interpretation, die das Bilderbuch einmal mehr als Kunstform ausweist.

Heidi Lexe

 

Buchtipp in DIE FURCHE 23/6. Juni 2013

 

Alois Prinz: Jesus von Nazaret.
Gabriel 2013.
240 S. € 17,50.


Exemplarische Momente

Franz Kafka, Hannah Arendt, Joseph Goebbels und Ulrike Meinhof – das sind nur einige der historischen Figuren, deren Biographien Alois Prinz bereits nachgegangen ist. Ein besonderes Merkmal seiner Bücher ist dabei stets der Umgang mit den Quellen, die zur porträtierten Person vorliegen: Prinz strebt nicht die lückenlose Aufarbeitung dieses Materials an, zentraler ist es für ihn, jene Momente darzustellen, die exemplarisch das Wesen der Person charakterisieren. So relativiert sich das Konzept von historischer „Wahrheit“ – denn über das Wesen eines Menschen können erfundene Geschichten unter Umständen mehr aussagen als „reale“. Wenn er nun im Gabriel Verlag eine Biographie über Jesus vorlegt, stellen sich solche Fragen in besonderer Weise, ist hier doch die Kluft zwischen dem, was tatsächlich historisch belegbar ist und dem, was an (biblischen) Geschichten, Deutungsversuchen und exegetischen Interpretationen vorliegt, besonders groß. Der Bogen zwischen der 2000 Jahre zurückliegenden Vergangenheit und der Gegenwart wird gespannt, indem immer wieder beschrieben wird, wie die Schauplätze von bekannten Evangelienstellen heute ausschauen und was deren Botschaft für Menschen heute bedeuten kann – jener zwischen „Fakten“ und Interpretation durch eine knappe und verständliche Wiedergabe theologischer Fachdiskurse. So wird gleich im einleitenden Kapitel die Formulierung von „wahrer Mensch und wahrer Gott“, wie sie das Konzil von Chalkedon festgelegt hat, dargelegt. Wenig bekannte sozialhistorische Hintergründe werden beleuchtet und so ganz unterschiedliche Aspekte eines Lebens gezeigt, von dem man meint, schon alles gehört zu haben, und doch letztlich so wenig weiß.

Kathrin Wexberg

>>> hier geht es zur Übersicht 2013

 

 

 

 


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