Phantastik-Tipp im September 2023
Aus d. Engl. v. Claudia Max.
cbj 2022.
544 S.
Margaret Rogerson: Der Dunkelste aller Zauber
Elisabeth Scrivener ist Auszubildende in einer der Großen Bibliotheken des Reichs Austermeer, im verschlafenen Nest Summershall. Als Findelkind ist sie zwischen den Zauberbüchern, den Grimoires, aufgewachsen, die je nach Gefahrenklasse etwa selbst Seiten umblättern, Liedchen trällern, aber auch sehr gefährlich für Geist und Körper sein können.
Danach [...] beantwortete [Elisabeth] einige Fragen zur Arbeit, zum Beispiel, wie schnell sie laufen konnte oder ob sie großen Wert darauf legte, alle zehn Finger zu behalten. Der Verwalter schien beeindruckt, dass sie seinen Fragenkatalog vollkommen berechtigt fand. „ie meisten [...], erklärte er, verließen auf der Stelle den Raum. „Aber wir reden hier von einer Bibliothek”, erwiderte sie überrascht. „Was erwarten sie – dass die Bücher nicht versuchen werden, ihnen die Finger abzubeißen?” (248)
Was es bedeutet, ein wahres Kind der Bibliothek zu sein, wie es ihr ein Buch zuflüstert, entdeckt Elisabeth, als die Gefahr am größten ist. Vorerst wird sie aber angeklagt, etwas mit der Katastrophe zu tun zu haben, die nur dank ihr keine größeren Ausmaße angenommen hat: Eines nachts wird die Bibliotheksleiterin tödlich angegriffen und ein Grimoire verwandelt sich in ein Malefict. Nur Elisabeth wacht auf und kann den Malefict mit Dämonenschlächter, dem Schwert der Direktorin (abgebildet am Einband des Buchs) zur Strecke bringen, ehe mehr Menschen sterben ...
Diese Heldinnentat wird damit belohnt, dass sie von einem Zauberer zum Magisterium, dem Vorsitz der Magiergemeinschaft, zum Verhör eskortiert werden soll.
Magier, als Schöpfer*innen der gefährlichsten Bücher, werden von Bibliothekar*innen als der Gipfel allen Übels betrachtet. Kein Wunder also, dass sich Elisabeth in Lebensgefahr wähnt und den Zauberer für den Schuldigen hält – warum sonst sollte er sich freiwillig gemeldet haben, um sie abzuholen, wenn er sie nicht als Zeugin unauffällig beseitigen wollte?
Das gesamte Werk ist personal aus Elisabeth's Sicht erzählt, sodass man bei der Lektüre vorerst ebenfalls auf einen Angriff wartet. Auf der langen Fahrt lernen Nathaniel Thorne und Elisabeth sich aber etwas besser kennen und überraschen einander immer wieder.
Weitere Angriffe auf Große Bibliotheken lassen ein Muster vermuten, das es aufzuklären gilt und in dessen Strudel das ungewöhnliche Gespann samt Nathaniels dämonischem Diener Silas hineingerät.
Die Doppeldeutigkeit des Originaltitels „Sorcery of Thornes” (Familienname von Nathaniel und die Wortbedeutung Dornen) geht zwar verloren, wird aber im deutschen Titel interessant adaptiert: Ob nun die Nekromantie (Totenbeschwörung) als Familienmagie der Thorns oder das magische Experiment des Oberhaupts der Magier die angesprochene dunkelste Magie ist, bleibt offen.
Im Grunde als abgeschlossene Erzählung zu lesen, darf man sich auf die Übersetzung von Band zwei freuen, die die Beziehung der Protagonist*innen vertieft.
Die subtile Liebesgeschichte, die wider dem Klischee die Unschuld vom Lande nicht blind dem Großstadtgentleman verfallen lässt, durchzieht das Werk; Elisabeth kennt die Welt zwar primär aus Bücher, leistet aber durch Hausverstand, Engagement und sehr gute Kombinationsgabe wesentliche Beiträge zur Lösung der Rätsel.
Als naiv stellt sich vielmehr der gewissenlose Antagonist heraus, der eine bestimmte Beschwörung eines Dämons zwar Jahrzehnte lang geplant, aber dennoch völlig falsch eingeschätzt hat. Wenn der Bösewicht die Welt verbessern will, kommt dabei selten Gutes heraus. Ganz nach dem Motto Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los ist es an anderen, die Katastrophe zu verhindern – Elisabeth, Nathaniel und Silas.
Margaret Rogersons phantastischer Roman bietet eine abwechslungsreiche Erzählung mit mehreren Wendungen und einer Liebesgeschichte, die klassische Muster von Romantik in Fantasy erfrischend abwandelt. Außerdem ist das Werk ein humorvoller Lobgesang auf das Medium Buch.
Sonja Loidl
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