Aus d. Engl. v. Conny Lösch.
Kunstmann 2023.

Alex Wheatle: Cane Warriors. Niemand ist frei
bis alle frei sind

De blood remembers.

Nach seiner erfolgreichen >>> Crongton-Buchserie, in der sich Alex Wheatle in sprachlicher Akrobatik mit dem urbanen Alltag marginalisierter Jugendlicher auseinandersetzt, hat der britisch-jamaikanische Autor – der am 12. April 2019 in der >>> STUBE zu Gast war – einen historischen Jugendroman verfasst, der nun endlich auch auf Deutsch vorliegt.

Jamaika, Ostern 1760: Auf der Zuckerrohrplantage Frontier führt Tacky – vor seiner brutalen Verschleppung aus Afrika ein Oberhaupt der Fante aus dem heutigen Ghana – eine Rebellion an, die nach der Haitianischen Revolution als zweitgrößter Sklav*innenaufstand in die Geschichte der Karibik eingehen wird. Unzählige versklavte Menschen aus verschiedenen Plantagen werden dabei befreit – bis die Revolte von den britischen Truppen gewaltvoll niedergeschlagen und hunderte Schwarze Männer und Frauen ermordet oder in den Suizid getrieben werden.

England, Jänner 1963: Gut 200 Jahre nach dem Osteraufstand auf Frontier, Trinity und anderen Sklav*innenplantagen wird Alex Wheatle als Sohn jamaikanischer Eltern in Brixton geboren. Seine Mutter war in der Gemeinde Richmond im Nordosten Jamaikas, die an die früheren Plantagen angrenzt, aufgewachsen und erzählte ihrem Sohn Geschichten aus ihrer Kindheit, in der sie die Erwachsenen über das Elend der Sklaverei und Widerstandskämpfer*innen wie Queen Nanny of the Marrons, Sam Sharpe oder Paul Bogle – heute jamaikanische Nationalheld*innen – sprechen hörte. In seinem prägnanten und berührenden Nachwort zum Roman, in dem der Autor wichtige historische und (gesellschafts-)politische Einordnungen und Ergänzungen vornimmt sowie Möglichkeiten der Reparation aufzeigt, geht Alex Whealte auch auf diese persönlichen Bezüge ein und macht intergenerationelle Verbindungslinien sichtbar:

Wenn ich nachts im Bett liege und daran denke, dass ich möglicherweise von einem Zuckerrohrkrieger abstamme, erfüllt mich das mit großem Stolz. De blood remembers, ganz bestimmt.

Vor den Sounds jamaikanischer Reggae-Musik wie „Jah A Guh Raid“ von Burning Spear, „The Heathen“ von Bob Marley & the Wailers, „Do You Remmber“ von Eek-A-Mouse und „Slave Master“ von Gregory Isaacs ging der Schriftsteller, der in seinen bisherigen Texten für jugendliche und erwachsene Leser*innen von zeitgenössischen bzw. zeitgeschichtlichen Ereignissen erzählt hatte, den historischen Geschehnissen des Osteraufstandes auf die Spur: In „Cane Warriors“ folgen wir der Ich-Perspektive von Moe, der schon als 14-Jähriger auf der Plantage schuften muss und mit seinem Freund Keverton die Aufgabe bekommt, im Schutz der Dunkelheit den weißen Aufseher Misser Donaldson zu töten. Trotz anfänglicher Gewissensbisse und markerschütternder Ängste merkt er bald, dass er keine andere Wahl hat: Um die unmenschlichen Schrecken der Sklaverei – die er am eigenen Leib nur allzu schmerzlich erlebt – zu beenden, benötigt es radikalen Widerstand.

Ich war vierzehn Jahre alt und meine Chancen, es auf siebenunddreißig Ernten zu bringen, waren so hauchdünn wie die Blätter des Unkrauts, das die Kinder auf den Zuckerrohrfeldern jäteten. […] Wenn die Sonne hoch am großen Himmel steht, kommt es mir vor, als würde jedes einzelne Haar auf mei­nem Scheitel geröstet. Wundert mich, dass sie nicht gelb werden. Wenn Misser Donaldson mit seiner Peitsche auf meinen Rücken drischt, fühlt es sich an, als würde er Zuckerrohr aus meinem Körper schneiden.

Den entscheidenden Ausschlag für den Beginn der Revolution gibt im Roman der Tod von Miss Pam, eine wichtige Bezugsperson für viele auf der Plantage – und nicht zuletzt Geschichtenerzählerin:

Die Männer und Frauen können nicht mehr. Nicht, wo Miss Pam umgefallen ist auf dem Feld und ihr Leben verloren hat. Alle haben viele Tränen geweint. Deine Augen sind sicher auch rot. Hast du gewusst, dass sie ein Kind erwartet hat? Nicht mal unsere Götter – Asase Ya, Nyame oder Abowie – konnten sie ret­ten. Wer erzählt den Kindern jetzt Geschichten über Anansi? Sie sollten wissen, dass er der Sohn von Asase Ya und Nyame ist. Scallion Mon und ich mussten das Loch graben, da haben die sie einfach reingeworfen. Haben uns nicht erlaubt, sie an einem Baum oder am Fluss zu begraben. Kein einziges Akan-Lied wurde gesungen.

Kraft, Zusammenhalt und Trost schöpfen die Zuckerrohrkrieger*innen aus ihrer (bzw. ihren) gemeinsamen Geschichte(n): ihrer geteilten Abstammung von der Volksgruppe der Akan. Sie träumen von jenem Land auf der anderen Seite vom blauen Wasser, aus dem sie kommen – Traumland nennen sie es. Neben ihrer gemeinsamen Herkunft, Erinnerung und Zukunstvorstellungen bzw. -wünsche sind es nicht zuletzt ihr tief verwurzelter Glaube – der auch ihr alltägliches Sprechen prägt – sowie ihre gemeinsame Sprache, die den Figuren Halt und Hoffnung ermöglichen. Alex Wheatles beeindruckenden, in jamaikanischem Patois verfassten Originaltext hat Conny Lösch für den Verlag Antje Kunstmann in ein Deutsch übertragen, das die besonderen Sprachbilder des wandelbaren Autors bewahrt und so jenen einzigartigen Erzählton spürbar werden lässt, der aus Ermangelung einer direkten Entsprechung nicht problemlos durch eine Variante oder einen Dialekt des Deutschen ersetzt hätte werden können. Umso bedeutender ist es, dass zentrale Patois-Phrasen und Akan-Worte auch in der vorliegenden Übersetzung in ihrem Original belassen wurden.

Beschönigt wird in diesem – trotz oder gerade dank seiner Direktheit – sehr einfühlsamen Roman nichts. Vielmehr fordert Alex Wheatle darin unseren Blick heraus und seine Leser*innen dazu auf, hinzuschauen. Hinzuschauen auf den unfassbaren Horror des Systems der Sklaverei, den Mut und die Menschlichkeit derjenigen, die Widerstand geleistet haben, sowie die tiefsitzenden Implikationen für unsere Gegenwart.

Claudia Sackl


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