MINT-Buch im Oktober 2025
Mit Ill. v. Nele Brönner.
Huckepack im Mairisch Verlag 2025.
64 S.
Dita Zipfel/Finn-Ole-Heinrich: Aali muss los
Wale, Tiger, Pandas – Sachbücher über die Tierwelt haben definitiv ihre Vorlieben, was die Auswahl der Tiere betrifft. Aale hingegen stehen meist weniger im Mittelpunkt. Wie gut, dass die beiden Sprachkünstler*innen Dita Zipfel und Finn-Ole Heinrich sich nun dieser nicht unspannenden Spezies widmen, in einem Buch, das zwar kein klassisches Sachbuch ist, aber Sachinformationen gekonnt in einen Erzähltext integriert.
Seinen Ausgang nimmt die Geschichte an der Nordsee, wo Protagonist Aali seit fast zwanzig Jahren lebt und seinem Faible für „mockige Schlammkuhlen und knackig-würzige Posthornschnecken“ frönt. Doch eines Tages fällt seinem alten Freund, der loyalen Brasse Frank, auf, dass Aali irgendwie anders wirkt – kein Wunder, steckt er doch mitten in seiner Verwandlung zum Blankaal. Denn: ein Aal hat eigentlich vier Leben, die letzte Entwicklungsstufe wird hier quasi im Buch mitvollzogen. Während Aali davonzieht („ganz schön stresso“, wie Frank findet), schaltet sich erstmals die übergeordnete Erzählinstanz ein: kein Aal wie die Hauptfigur, sondern „ein Mensch, eine Geschichtenerzählerin“. Die eine Geschichte erzählt, die Jahrmillionen alt ist und damit eines der ältesten Geheimnisse des Meeres beinhaltet. Und faszinierende Details: im Zuge seiner Verwandlung etwa bildet der Aal seinen Verdauungstrakt komplett zurück und zehrt auf seiner mehrmonatigen Reise ausschließlich von vorher angelegten Fettvorräten. Auf seinem Weg begegnet Aali verschiedenen anderen Wesen: dem Wels, dem König des Flusses, aber auch dem Schwan, der ein wenig aussieht wie ein übereifriger Matratzenverkäufer, und nicht zuletzt der Ringelrobbe Jorla mit ihren Kulleraugen.
Es wäre natürlich nahe liegend, eine Geschichte aus dem Meer in Blautönen zu illustrieren. Ausnahmekünstlerin Nele Brönner (Fans kennen ihre Vorliebe für ungewöhnliche Farbfamilien bereits aus „Superglitzer“…) geht das natürlich anders an: Es sind vorwiegend verschiedene Grün- bzw. Türkistöne, mit denen sie Aalis dynamisch erzählte Reise ebenso dynamisch inszeniert. Von knalligem Giftgrün über ruhiges Türkis bis hin zum fast Schwarz der Seetiefen reicht der Farbton der Buchseiten, auf die der Text manchmal klassisch schwarz, dann wieder in weißer Schrift gesetzt wird. Die Vielschichtigkeit dieser Bildwelten ist nicht zuletzt einer raffinierten Technik geschuldet: Das Buch ist dreifarbig gedruckt, neben Schwarz in den Sonderfarben Gelb und Türkis-Mint. Jede dieser Farben wurde extra mit schwarzer Tusche auf einem eigenen Papier gezeichnet, gescannt und schließlich am Computer übereinandergelegt.
In den kurzweiligen Erzähltext sind immer wieder Info-Kästen eingebaut, die zentrale Fakten launig erläutern: „Der Golfstrom ist wie ein gigantisches Förderband, das unvorstellbare Mengen Wasser durch den Atlantik pumpt.“
Nach vielen Abenteuern erreicht Aali jedenfalls sein Ziel – und damit eines der letzten Geheimnisse der Naturwissenschaft: denn was mit den Aalen passiert, nachdem sie in den Tiefen des Sargassosees verschwinden, konnte bis jetzt allen Bemühungen zum Trotz nicht herausgefunden werden. Denn Aale überleben nicht in Gefangenschaft, egal wie penibel Wissenschaftler*innen versuchen, die Bedingungen der Natur nachzubauen. Und so endet ein sehr ungewöhnliches Buch mit einem Plädoyer, das für ein MINT-Buch ebenso ungewöhnlich ist – nämlich nicht die umfassende Klärung aller offenen Fragen, sondern eigentlich das Gegenteil:
„Dass nicht alles verstanden werden muss. Dass manche Geheimnisse schöner sind als alle Erklärungen.“
LESEN – SPRECHEN – TUN
LESEN – In seinem humorvollen Ton, in den auch einzelne Dialogpassagen mit anderen Tieren integriert sind, bietet sich der Text zum Vorlesen (eventuell auch durch verschiedene Personen) an.
SPRECHEN – Auch wenn der Fokus der Geschichte auf einem sehr spezifischen Naturphänomen, der Wanderung der Aale, liegt, werden auch eine Fülle an anderen, durchaus philosophischen Fragestellungen angesprochen, die im Gespräch vertieft werden können. So folgt Aali ohne zu zögern seiner inneren Stimme – kennen wir ähnliche Erfahrungen? Was unterscheidet den tierischen Instinkt von menschlichen Gedanken und Gefühlen? Wenn wir auch völlig auf Nahrungsaufnahme verzichten könnten – würden wir das wollen?
TUN – Der Aal-Wanderung konkret nachzugehen, ist ein wenig schwierig. Nele Brönners faszinierend-vielfältige Art, Wassertiere in Szene zu setzen, kann aber als Anregung genommen werden, sich selbst in kreativer Weise mit dem Thema bzw. den Figuren weiter zu beschäftigen.
Kathrin Wexberg
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