Lyrik-Tipp der STUBE
Tyrolia 2024.
26 S.
Nils Mohl und Sabine Kranz: Der Schlummerang
Einschlafen kann jede*r. Oder eben auch nicht. Wenn Einschlaflieder und -geschichten keine Wirkung mehr zeigen, ist der Schlummerang womöglich genau das richtige Instrument, das Abhilfe schafft und den wohlverdienten oder dringend gebrauchten Schlaf bringt.
Hilft nämlich mal
kein Glitzerstaub,
kein Zaubersand,
wird von Sandmännchen
oder Sandmädchen
ein Geheimtrick angewandt.
Ins Spiel kommt dann …
[Dramaturgisches Umblättern]
Tataaaa!!! Der Schlummerang!
Nils Mohl hat nach seinem Lyrikband „Tierische Außenseiter“ (2023 bei Tyrolia) einmal mehr gereimt und das mit sichtlicher Freude an der Sprache. So entsteht eine lyrische Collage, die sich an Sprichwörtern und Wortspielen bedient, diese verfremdet und so allerhand Gründe aufs Papier bringt, nicht oder später schlafen zu gehen. Und – so viel sei verraten – vor dem Einschlafen ist in diesem Bilderbuch (fast) niemand gefeit:
Ob Rund-um-die-Uhr-Fleißbienchen,
ob Steh-auf-Königspinguinchen,
ob Silvester-Igelein,
ob Durch- und Reinfeierschwein,
ob aufgeweckte Eintagsfliege,
ob schlafgestörte Weckerziege …
Silvesterabende, Steh-auf-Männchen oder abgewandelte Meckerziege; Nils Mohl bleibt ganz seinen tierischen Protagonist*innen aus dem letzten Lyrikband treu, inszeniert sie hier in kurzen Versen als Schlafengehverweiger*innen und kombiniert launige Szenarien mit einer direkten Leser*innenansprache.
Sabine Kranz liefert in vertrautem Strich aus einer Mischtechnik die Illustrationen dazu – und auch das mit bestechendem Bildwitz, der auch in den lyrischen Passagen greifbar ist. Dem Sandmännchen wird im Text ein Sandmädchen an die Seite gestellt: Die beiden kommen genialer Weise in der illustratorischen Realisierung auf einem Gefährt daher, dass unsereins von Hagrid oder der Wednesday-Netflixserie kennt: die Beiwagenmaschine, zusätzlich mit Flugfähigkeit ausgestattet. So können sie nicht nur ihr Bestes mit dem Zaubersand versuchen, um herkömmlichen Einschlafmethoden gerecht zu werden, sondern sie befinden sich auch in einer optimalen Ausgangsposition, um den Schlummerang auf die Reise zu schicken. Die Dynamik, die sich auf dem ersten Bild entfaltet, bleibt das ganze Buch über erhalten. Kranz nutzt die Flugbahn des Schlummerangs und dessen Bewegungslinien als sich widerholendes Motiv, um die Leserichtung und die Aufmerksamkeit auf den einzelnen Doppelseiten zu lenken; wo das Fluggeschoss auf der einen Seiten aus dem überhängenden Bildraum fliegt, erscheint es beim Umblättern am linken Bildrand wieder und jagt den großäugigen Tieren, die sich über die Seite bewegen, sichtlich Angst ein. Denn schlafen will hier so schnell niemand. Aber vom Schlummerang ist niemand sicher: Denn wer nicht schläft, / drei, zwei eins … / kriegt auf die Nuss. Das Dämmerungsblau, das zu Beginn noch dominiert und in dem die Tierchen allerhand Beschäftigungen nachgehen, weicht mit dem Umblättern einem Nachthimmeldunkelblau, wo selbst der aufgeweckteste Bär allmählich seine Ruhe finden kann.
Woran sich die einen vielleicht stoßen, darin liegt für die anderen der besondere Reiz dieses Gutenacht-Bilderbuches, das auf den Moment der Überraschung setzt und diese lustvoll über die Seiten hinweg entfaltet. Und am Ende schlummern alle Tierchen vor sich hin – außer das Rund-um-die-Uhr-Fleißbienchen, das mit großen Augen auf die schlafende Meute blickt und ob der Größe oder Flugfähigkeit dem Schlummerang entkommen konnte.
Und wer am Ende doch noch nicht schläft, sollte den Schlummerang einfach einmal mehr auf die Reise schicken; ganz haptisch in Form eines Kuschel-Schlummerangs, der mithilfe der >>> Anleitung ganz bequem zuhause nachgenäht werden kann.
Alexandra Hofer
Die gesammelten Lyrik-Tipps der letzten Monate finden Sie im >>> Lyrikarchiv