Studientag
Arche, Brot und Christentum
Kinder- und Jugendliteratur
im Kontext religiöser Alphabetisierung
Heidi Lexe bei der Moderation des Studientages
Im Anfang war das Wort Alphabetisierung und am Ende ein vorfreudiges Raunen, das den informativen Studientag am 28. März 2014 in der STUBE beendete. Dazwischen wurden religiöse Aspekte in der Unterrichtspraxis, in zahlreichen KJL-Perspektiven und in einer Themenbroschüre verortet. Das Einüben in religiöse Vollzüge und religiöses Denken ist integrativer Bestandteil einer Erziehung zum selbstbestimmten Glauben. Der Studientag ging der Frage nach, welche Rolle Kinder- und Jugendliteratur spielen kann, wenn es darum geht, Wissen und Kritikfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen ebenso herauszubilden wie Empathie und ethische Überzeugungen.
>>> Detailprogramm
Der Reihe nach:
A wie Anfang
Martin Jäggle, em. Universitätsprofessor der Theologiewissenschaften Wien, trennte einführend die Begriffe Alphabetisierung und religiös, um sie zu definieren und anschließend wieder in Kontext zu setzen. Er erklärte, dass das Erlernen des Lesens nur Relevanz bekomme, wenn, wie bei Paulo Freires Alphabetisierungsprogramm, Schlüsselwörter des Lebens zum Einsatz kommen und dass das anbeigestellte Adjektiv religiös als Qualitätsbestimmung gedacht werden sollte. Führe man diese Überlegungen in religiöser Alphabetisierung zusammen, können Antworten auf die Fragen „Wie sprechen wir von und zu Gott?“ und „Wie leben und praktizieren wir Religion?“ gefunden werden. Martin Jäggle endete mit dem Hinweis darauf, dass die erworbene Sprache zum Verständnis religiöser Kontexte in der Literatur und in der Lebenspraxis verhelfe.
B wie Basics des Glaubens
Das Wort „Praxis“ war im Anschluss das Stichwort für Gabriele Cramer, die als Referentin für Religionspädagogik eine Brücke zwischen Kinder- und Jugendliteratur und Religionsunterricht spannte. Dafür ging sie von den Grundbefindlichkeiten des Menschen in zahlreichen literarischen Texten aus, um darin der Verschlüsselung der Gottesfrage nachzugehen. Mit dem literarischen Überblick als Jurymitglied des >>> Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis unterschied sie die biografischen Dimensionen des Menschen „Leben in Beziehung, Leben in Freiheit, Leben als Verweis auf das Geheimnis und Leben auf Zukunft hin“ und kam dabei auch auf das diesjährige Preisbuch „Akim rennt“ der belgischen Illustratorin Claude K. Dubois zu sprechen. Sie hob in differenzierter Weise die signifikante Machart des Kriegs-Bilderbuches hervor, verwies auf Parallelen zur Expressivität Käthe Kollwitz‘ und lieferte einen Impuls zur Solidarität über den Satz „Jesus hat keine anderen Hände als unsere“. >>> Literaturliste B wie Basics des Glaubens
Gabriele Cramer und Martin Jäggle
C wie Curricula des Glaubens
Den Auftakt zu unterschiedlichen Perspektiven der Kinder- und Jugendliteratur im religiösen Kontext gestaltete Heidi Lexe in einem Gespräch mit Martin Jäggle und Amena Shakir, Leiterin des privaten Studienganges für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen in Krems. Im Mittelpunkt standen Chancen und Problematiken des interreligiösen Dialogs. Shakir fasste zusammen, dass die Auseinandersetzung mit anderen Religionen zugleich den Blick auf die eigene ermögliche und der intrareligiöse Diskurs oft homogener dargestellt würde, als er tatsächlich ist. Martin Jäggle brachte ein, dass sie zurzeit beide an einem Religionsbuch für Muslime und Muslima arbeiten, in dem er als Vertreter der christlichen Religion Stellung nehmen kann. Diese Form der Perspektivierung sei leider eine Ausnahme in der religiösen Schulbuchpraxis. Der Beobachtung Heidi Lexes, dass das Interreligiöse in der KJL meist nur über Konfliktthemen Eingang finde, konnte nur zugestimmt werden und wurde allseits bedauert.
Diese thematische Schieflage wurde auch in den Buchvorstellungen des STUBE-Teams aufgegriffen, da u.a. anhand von Karin Gruß/Tobias Krejtschi: „Ein roter Schuh“, Gabriella Ambrosio: „Der Himmel über Jerusalem“ oder Titus Müller: „Der Kuss des Feindes“ Texte vorgestellt wurden, die Konfessionskonflikte in den Mittelpunkt stellen.
>>> Literaturliste C wie Curricula der Literatur
Die vielen weiteren STUBE-Buchempfehlungen im religiösen Kontext finden Sie in der Themenbroschüre >>> Was wäre die Welt ... Religiöse und ethische Fragestellungen in der Kinder- und Jugendliteratur, die den Teilnehmer*innen des Studientages vorgestellt und als kleines Geschenk mit nach Hause gegeben wurde.
Kathrin Wexberg, Peter Rinnerthaler, Heidi Lexe
In einem Werkstattgespräch sah Autorin Sarah Michaela Orlovský dagegen kein Konfliktpotenzial, wenn man ihrem Roman „Tomaten mögen keinen Regen“ (Wiener Dom-Verlag 2013) das Etikett „religiöse Kinderliteratur“ anheftet. Sie hielt fest, dass das Thema Religion, wie alle anderen Lebensbereiche auch, zum Erwachsenwerden dazugehört. Die zahlreichen Prämierungen, darunter der Evangelische Buchpreis und die Aufnahme in die Empfehlungsliste des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises, scheinen dies zu unterstreichen. Heidi Lexe wollte dazu wissen: „Kamen diese Erfolge überraschend?“ Die junge Autorin meinte darauf, dass sie anfangs froh war, dass man ihre Bücher überhaupt lese. Einen ebenso prägnanten Vergleich führte sie an, als es um das Verhältnis zwischen „Normalität“ und dem Status von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, wie in ihrem Roman, ging. Frage man Kinder nach Normalität, erhalte man die streitbare Antwort, dass diejenigen normal sind, die in der Mehrzahl sind. Als sie mit ihrem Mann in einem armenischen Heim für 18 Kinder mit Beeinträchtigung arbeitete, habe diese Einschätzung allerdings völlig zugetroffen.
Auch die erste Lektorin der Preisträgerin befand sich unter den Beiträgerinnen des Studientages. Elisabeth Wildberger diskutierte im Gespräch mit Heidi Lexe, ob und wie Aspekte des buddhistischen Glaubens im us-amerikanischen Roman „Buddha Boy“ von Jordan Sonnenblick zu finden seien. Durch die Recherchen des Protagonisten, der damit das eigene Buddhisten-Dasein legitimiere, würden zwar buddhistische Dogmen transportiert, jedoch stehe der westliche Duktus einer relevanten Auseinandersetzung mit dem Thema im Weg.
Abgeschlossen und abgerundet wurde die multiperspektivische Auseinandersetzung durch die Präsentation der Lese-Schatzkiste „Die großen Fragen“ durch den Leiter des Österreichischen Bibliothekswerkes Reinhard Ehgartner. Er stellte fest, dass es mithilfe des Buchstartprojektes Eltern erleichtert werde, die religiöse literarische Alphabetisierung auch selbst in die Hand zu nehmen. Durch die Bereitstellung vielfältiger Informationsmaterialien und der Bücher Janisch/Wolfsgruber: „Wie war das am Anfang“, Monari/Baldi: „Der rote Faden“, Stählin/Reichel: „Das kleine Schaf und der gute Hirte“ können die vermittelnde Kompetenz der Eltern erhöht und die religiöse Alphabetisierung initiiert werden.
Hier kommen Sie zum Projekt Buchstart des Österreichischen Bibliothekswerks.
Elisabeth Wildberger und
Sarah Michaela Orlovský
Reinhard Ehgartner und Alois Prinz
Z wie Ziel der Geschichte
Das literarische Highlight des Studientages wurde durch Alois Prinz gesetzt, der durch die im Werkstattgespräch diskutierte Biografie „Jesus von Nazaret“ (Gabriel 2013) wohl auch im christlich-religiösen Kontext den Höhepunkt darstellte. Prinz, der zuvor u.a. Kafka, Hesse, Arendt, Meinhof oder Goebbels portraitierte und mit „Der erste Christ: Die Lebensgeschichte des Apostels Paulus“ bereits eine religiöse Biografie veröffentlichte, verriet, dass er archäologische Literatur ebenso für die Recherche schätze, wie er die Bibel als zentralen Referenztext erachte. Vor allem die ambivalente Form des Bibeltextes, zwischen historischer Dimension und Legendenbildung, habe Vorbildcharakter gehabt. Er habe die Verzahnung des Menschlichen mit dem Göttlichen angestrebt, ohne sich selbst positionieren zu müssen; wie bei einem Bühnenstück sollte sich die Leser*innenschaft ein eigenes Bild machen können. Es sei ihm wichtig als Übersetzer zu agieren, der überlieferte Bilder in die Gegenwart übersetzt und eine neue, eigene Perspektive ermögliche, der keine Märchenperspektive anhafte. Auf die Frage, welche die spannendste Entdeckung sei, die die Auseinandersetzung mit der Person Jesu für ihn bereithielt, antwortete Prinz: „Das Menschliche“. Die Vorstellung eines zurückhaltenden Menschen, einem Handwerker, der sich nie selbst Messias nannte und zu dem die Menschen Vertrauen fanden. Tiefes Vertrauen, das man im ersten Moment nicht verstehe und erst erkennen könne, wenn man die Schwelle namens Image überwunden hat.
Das vorfreudige Raunen am Ende des Studientages? Dies entstand als Heidi Lexe mehr über das nächste Biografie-Projekt erfahren wollte und Alois Prinz nur zurückhaltend angab, dass der Mystik eine tragende Rolle zukommen solle ...
Der Studientag fand in Kooperation der STUBE mit dem Österreichischen Bibliothekswerk, dem Verlag Thienemann und dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis statt.