CINEMAGIC: Filmvorführung und Gespräch von "Jenseits der blauen Grenze"
Zu Gast: Dorit Linke
24. Mai 2025
2019 war sie schon einmal zu Gast bei einem STUBE-Freitag, der sich dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 dem Thema >>> Die DDR erzählen widmete. Damals las sie aus ihrem Jugendroman „Jenseits der blauen Grenze“ und bewegte ihr Publikum mit authentischen Einblicken, wie sie nur eine Zeitzeugin geben kann.
Erfreulicherweise ist Dorit Linke einmal mehr der Einladung der STUBE gefolgt, nicht jedoch für ein schlichtes da capo, sondern für eine exklusive Vorführung der Verfilmung ihres Romans mit anschließendem Gespräch über den Adaptionsprozess und ihr Schreiben. Welch ein Glück! Denn der Film war nicht in den österreichischen Kinos zu sehen und ist auch sonst nicht öffentlich zugänglich.
„Was kann das Buch? Was kann der Film?“ Seit einigen Jahren stellt Heidi Lexe in Zusammenarbeit mit Clara Huber diese Fragen im Cinemagic, dem in der Urania beheimateten Programmkino für Kinder- und Jugendliche. Im Publikum saßen diesmal aber keine Schulklassen, sondern die eingeschworene STUBE-Community und Studierende der Germanistik, die sich im Rahmen von Heidi Lexes Vorlesung bereits eingehend mit dem Roman befasst hatten.
In „Jenseits der blauen Grenze“ geht es um Hanna und Andreas, zwei Jugendliche, die aus der DDR in den Westen flüchten und dafür die 50km lange, gefährliche Route von Kühlungsborn nach Fehmarn durch die Ostsee wählen. Während sie schwimmen und die Kräfte nachlassen, erfährt man in Rückblenden von der minutiösen Planung der Flucht, von der familiären Situation der beiden, man erfährt, dass ihr Freund Sachsen-Jensi mit seiner Familie in den Westen ausreisen konnte und dass Andreas im Jugendwerkhof und Hanna beim Leistungsschwimmen der vollen Brutalität des diktatorischen Systems ausgesetzt waren. Die Diktatur erzeugt dysfunktionale Familien zwischen Anpassung, Rebellion und Hoffnungslosigkeit. Am Ende kommt Hanna, die trainierte Schwimmerin, mit letzter Kraft allein im Westen an.
Im Werkstattgespräch geht es einerseits um strukturelle Fragen an den Text wie die chronologisch im Präsens erzählte schwimmende Flucht und die nicht chronologisch im Imperfekt erzählten Rückblenden oder die an lyrische Prosa grenzende Fragmentierung der Sprache, die mit den nachlassenden Kräften einhergeht und in der Typographie bisweilen ein Wellenbild entstehen lässt. Andererseits werden Plot und Storyboard in Roman und Film aufgeschlüsselt, die Ökonomie von Information und Spannungsaufbau und die Verwendung intermedialer Verweise und historischer Marker wie die Lektüre von Jack London oder Popmusik von Nena über David Bowie bis Karat. Die Tragik am Rande, dass diese Flucht so knapp vor dem Fall der Mauer passiert und dass das offene Ende kein Happy End nahelegt, ist der Realität geschuldet, die viele Umgekommene, Verschollene und hinterbliebene Angehörige hervorgebracht hat.
Dorit Linke berichtet, dass sie mit dem Roman einerseits von ihrer Heimatstadt Rostock und dem Lebensgefühl dieser Zeit erzählen wollte. Gleichzeitig war es ihr wichtig, gegen eine weit verbreitete Ostnostalgie anzuschreiben und klarzumachen, dass die DDR eine Diktatur war. Das wäre man nicht nur den Unangepassten, die unter dem Regime gelitten haben, schuldig, sondern auch der heutigen Gesellschaft, in der die Renaissance autoritärer Ideen vieles verklärt, an dem nichts schönzureden ist. Als Zeitzeugin der deutschen Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur besucht sie Schulen für Lesungen und Workshops. Dass dieses wichtige und nebenbei bemerkt wenig marktkonforme Buch nach zehn Jahren immer noch lieferbar ist und rege besprochen wird, zeigt einmal mehr, welche Rolle Literatur in der Geschichtsvermittlung zukommt. Zum Glück erscheint nächstes Jahr eine Fortsetzung!
Ein Bericht von Alexandra Holmes
All jenen, die noch weiter in Bücher eintauchen möchten, die die DDR und die Nachwende thematisieren, sei die passende >>> Themenliste empfohlen.