Aus d. Hebrä. v. Lucia Engelbrecht.
Vermes 2024.
32 S.

Orit Gidali und Tami Bezaleli: Der Erinnerungshändler

169 Mal wird das Wort „Sachor“ – „erinnere Dich“ – in der hebräischen Bibel erwähnt. Das Erinnern gilt dabei entweder „G´tt“ selbst oder dem Volk Israel. Sich zu erinnern ist eine wichtige jüdische Glaubenspraxis, kulturelle Tradition und nicht zuletzt Existenzgrundlage, wie Claudia Prutscher, Vizepräsidentin der IKG, darlegt: „Ohne die Fähigkeit der Erinnerung gäbe es das jüdische Volk heute nicht mehr. „Sachor“ bedeutet letztendlich Existenzsicherung durch Erinnern.“ (Vgl. https://religion.orf.at/v3/radio/stories/2960692/)

Auch in allen anderen Religionen und Kulturen ist, wie vom im Februar dieses Jahres verstorbenen Kulturwissenschaftler Jan Assmann mehrfach dargelegt, das Erinnern ein immaterielles kulturelles Erbe, das einen sinnstiftenden Lebensentwurf ermöglicht.

In diesem Kontext ist auch das bemerkenswerte Bilderbuch „Der Erinnerungshändler“ zu lesen: Ganze 22 Mal findet sich dort das Wort „Erinnerung“ und 6 Mal das Verb „erinnern“, auf „nur“ 15 Doppelseiten.

Orit Gidali, eine der bekanntesten zeitgenössischen Dichterinnen Israels, erzählt darin parabelhaft von einem alten Mann, der für ein paar Groschen die Erinnerung an die Liebe seines Lebens verkauft. „Erinnerungen an die Liebe sind sehr selten, heutzutage findet man sie kaum noch.“

Schon bald aber bereut er den Handel und überredet den verhärmten Kaufmann und dessen Sohn zu einem Rückkauf. Er möchte die kostbare Erinnerung an Rosie für die historische Erinnerung an die erste Mondlandung eintauschen …
Während des Erzählens erweicht er die Herzen der beiden Kaufleute und das Erinnern findet nun zahlreiche Nachahmer*innen. Ganz im Sinne Immanuel Kants wird es schließlich sogar zur Möglichkeit der Zwiesprache mit den Verstorbenen: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.“

Die Künstlerin Tami Bezaleli hat das Buch mit Bleistiftzeichnungen illustriert und mit einer Schmuckfarbe, leuchtendem Gelbgold, das die Erinnerung symbolisiert, versehen. Die Gesichter und Haltungen der Figuren geben ausdrucksstark die Emotionen der Handelnden wieder und bieten Raum für zusätzliche Gespräche über das Gelesene. Ein Bilderbuch, das in vielen religiösen, aber auch säkularen Zusammenhängen zum Reflektieren anregt und in dem fast jeder Satz ein Aphorismus ist.  Und ein Buch, mit dem sich der Vermes-Verlag ein weiteres Mal als wichtiger Player in der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur beweist, der über die etablierte Marke Bakabu (Lieder und Bücher zur sprachlichen Frühförderung) hinaus ungewöhnlichen Büchern einen Platz gibt – wie es im Übrigen auch „Der kleine Eiskönig“ von Uwe-Michael Gutzschhahn und Linda Wolfsgruber

ist, der im letzten Jahr zu einem der >>> religiösen Bücher des Monats gekürt wurde.

Jana Sommeregger

 


 

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