Religiöses Buch im Februar 2023
Vermes 2023.
32 S.
Uwe-Michael Gutzschhahn und Linda Wolfsgruber: Der kleine Eiskönig
Welten aus Eis und Schnee, eigentlich ein Widerspruch zum Leben, sind oft und variantenreich Schauplatz und Inhalt von Literatur und Populärkultur (ganz unterschiedliche Beispiele dafür finden sich in der >>> Liste von Eis und Schnee im passwortgeschützten STUBE-Card-Bereich). Auch das Sachbuch wimmelt vor arktischen Wesen und Szenarien. In ihrer Entleertheit bieten sich solche Szenarien aber auch an, um mit Sprache, mit Bedeutung gefüllt zu werden – und genau das tut Uwe-Michael Gutzschhahn in diesem außergewöhnlichen Bilderbuch.
Eine (wohl kindliche, aber letztlich unbestimmte) Erzählstimme erzählt von einem seltsamen Traum. Ein Traum, von einem Schiff, das einen Eisberg im Schlepptau hat. Ein Eisberg auf dessen Spitze eine Möwe sitzt.
Während der Erzähltext assoziativ und in weiten Schleifen, oft fast ein wenig wie im Stream of Consciousness ausholt, zoomen die eindrücklichen Bilder von Linda Wolfsgruber gleichsam einer Aneinanderreihung von Einzelsequenzen eines Animationsfilms immer näher an die Möwe heran, aber auch von ihr weg, bis diese schließlich einen kurzen Schrei hören lässt und damit auf Höhe- und Wendepunkt des Buches hinsteuert:
Was sagt sie?, fragst du. Wie soll ich das wissen? Niemand versteht, was eine Möwe schreit. Und was soll dann das Ganze?, fragst du. Wenn wir sie gar nicht verstehen?
Diese provokante Frage eines ebenfalls unbestimmt bleibenden Gegenübers stellt sich vielleicht auch beim ersten Lesen und Betrachten des Buches. Was soll das Ganze?
Auf den zweiten Blick wird das dann aber recht schnell deutlich: Das Moment des Staunens ist sowohl in den Text, als auch in die Illustration von Linda Wolfsgruber eingeschrieben und das, ohne dieses Moment konkret zu benennen. Die Reduziertheit der Illustrationen fängt die Stimmung der Ruhe, der Entleerheit, die durch den Schrei der Möwe just durchbrochen wird, gekonnt ein. Die Illustratorin sprach im Werkstattgespräch davon, dass in dieser Geschichte so wenig passiert, dass die Bilder die Botschaft nicht erschlagen dürfen und genau das ist auf hervorragende Weise gelungen. Die Gegensätze von Sonne und Eis, von Wärme und Kälte, aber auch von Land und Wasser eröffnen Raum. Raum für Fragen, die dem Text innewohnen und für unterschiedliche Themen, die im Hintergrund mitschwingen. Da ist beispielsweise der Eisberg, der zu Beginn von einem Kahn gezogen wird, der nur einen kleinen Teil seiner tatsächlichen Größe über der Wasseroberfläche preisgibt, der am Ende zu einem kleinen Eisklumpen, der in einer Hand Platz findet, zusammengeschrumpft sein wird. Da sind aber auch die beiden Figuren, die an den Beginn und das Ende gestellt werden und den Text gewissermaßen rahmen: Figuren, die das miteinander in Dialog tretende DU und ICH bekleiden, ohne ihnen Namen und Gesichter zu geben. Und da ist natürlich die Möwe, die hockt und Ausschau hält, als wäre sie Noahs Taube, wodurch eine religiöse Lesart aufgerufen wird. Eine Möwe, die aber ebenso als transzendente Variante einer Klimakleberin – so formulierte es Heidi Lexe bei der Buchpräsentation – verstanden werden kann, der ganz die Botschaft der Schöpfungsverantwortung innewohnt, indem sie auf dem Eisberg sitzt, der im Verlauf des Bilderbuches immer kleiner und kleiner wird.
Und am Ende, als das Eis fast geschmolzen ist und die Möwe anderswo ihre Kreise über das Meer (oder die Küste) zieht, steht eine Geste des Hinschauens und Hinhörens auf die Botschaft, die in krakeliger Schrift im Eisklumpen zu finden ist: Rette mich! Dein Eiskönig
Kathrin Wexberg und Alexandra Hofer
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