Hanser 2024.
235 S.

Martin Schäuble: Die Geschichte der Israelis und Palästinenser. Der Nahost-Konflikt aus Sicht derer, die ihn erleben

Auf dem Cover fällt der Blick an einem schemenhaften Baum vorbei auf die Altstadt Jerusalems, konkreter auf den Tempelberg mit der al-Aqsa-Moschee. Ein Bild, das 1936 vom österreichischen Künstler Franz Krausz entworfen wurde, um für die jüdische Einwanderung nach Palästina zu werben. In den 1990er-Jahren fungierte es dann als Protestplakat der Palästinenser*innen, die es mitunter durch das Hinzufügen eines Kampfjets für die eigenen Zwecke adaptierten. Schon an diesem simplen Beispiel eines Plakatsujets wird die Drastik des Nahost-Konflikts spürbar. Ein Konflikt, der weit in die Geschichte zurückreicht und dieser Tage leider in der internationalen Medienlandschaft omnipräsent ist. In diesem Sachbuch, das sich an Jugendliche ab etwa 14 Jahre richtet, geht es um Faktenwissen zu diesem komplexen Thema, das ungeschönt vermittelt wird. 2007 gemeinsam mit Noah Flug erstmals erschienen, hat Martin Schäuble den Text einmal mehr gänzlich überarbeitet und aktualisiert, wodurch es nun die Zeitspanne ab den jüngsten Ereignissen am 7. Oktober 2023 miteinschließt und dieserart die Entwicklungen des Nahost-Konflikts nahezu minutiös nachzeichnet. Ein Konflikt rund um ein seit 3000 Jahre umkämpftes Gebiet. Ein Gebiet, das Zeuge der Geschichte gleichermaßen wie unterschiedlicher Herrschertümer war: Die Assyrier fielen ein, die Babylonier, die Perser, dann Alexander der Große, die Ptolemäer, die Seleukiden und schließlich die Römer. Und das erst im Jahr 600 nach Christus ... Bereits auf der ersten Seite wird deutlich, wie unterschiedlich die Akteur*innen waren und sind, die an diesem Konflikt partizipieren.

Martin Schäuble nutzt dazu die Form eines klassischen Sachbuches, das auf viel Text setzt. Aufgelockert werden die informativen Textblöcke durch schwarz-weiße Originalfotografien und historische Bilder sowie einzelne wortgetreue Auszüge aus bedeutenden Reden wie etwa die UN-Resolution von 1956, die im Fließtext eingeordnet und verortet wird. Besonders gelungen ist dabei die kompakte Zeittafel, die sich gemeinsam mit einigen Karten, die die Gebietsveränderungen nachzeichnen, im Info-Teil am Ende des Buches findet: Auf zehn Seiten sind die Stationen aufgeschlüsselt und verdeutlichen einmal mehr die Dauer und Intensität der Auseinandersetzung.

Und was hat das alles mit Religion zu tun? Jerusalem gilt als eines der Zentren aller drei monothetischer Religionen. Nirgendwo sonst sind wichtige Gotteshäuser der drei abrahamitischen Religionen auf so engem Raum zu finden. Die al-Aqsa-Moschee, die Klagemauer und der Felsendom stehen für das einende und trennende. Wo heute diese drei wichtigen Kultstädten stehen, wurde das Gebiet Jerusalems und Israels einst von Kreuzzügen zur Verbreitung des Christentums erschüttert und ist ein Ort, der für Juden und Jüdinnen durch die Geschichte hinweg Zufluchtsort war: Ob die Judenverfolgung im späten 19. Jahrhundert in Russland oder der Holocaust der Nationalsozialist*innen. Eindrücklich schafft der Autor dunkle Stunden der Menschheitsgeschichte mit Zeitzeug*innen-Aussagen zu einem Sachbuchtext zu verweben, der nicht nur informiert, sondern vor allem auch betroffen macht. Ob ein Anschlag auf ein Flüchtlingslager in Palästina oder Erfahrungsberichte, wie herzlich man als Jüdin in Israel empfangen wurde: nah an den Erlebnissen der Menschen vor Ort entsteht so ein umfangreiches Buch, dass die Fäden der Vergangenheit mit aktuellen politischen Problemen zusammenzubringen weiß.

Am Ende steht die Frage, ob es ein unlösbarer Konflikt sei? Ein Israeli subsummiert, was vielen denken: Von klein auf sah ich Kriege. Ich selbst kämpfte im Unabhängigkeitskrieg, im Suezkrieg, im Sechs-Tage-Krieg, im Jom-Kippur-Krieg [für Araber*innen auch Ramadankrieg genannt] und in vielen weiteren Einsätzen. Min Sohn kämpfte. Mein Enkel kämpfte. Er liegt verwundet im Krankenhaus. Und ich glaube, der Enkel meines Enkels wird auch kämpfen.

Auf der anderen Seite steht eine Palästinenserin: Meine Mutter kam während der osmanischen Besatzung auf die Welt. Ich wurde während der englischen Besatzung geboren, meine Kinder während der jordanischen, deren Kinder während der israelischen. Es gibt immer jemanden, der dieses Land haben will, aber niemanden, der uns will. Ist das keine Tragödie?

Es zeigen sich konträre Lebensrealitäten, die dicht an dicht leben; die Aussicht auf eine friedliche Zukunft aber ist kaum darunter… Bei aller Drastik des Themas und der scheinbaren Ausweglosigkeit des Konfliktes erscheint es aber umso wichtiger, fundiert informiert zu sein, was mit diesem Buch hervorragend gelingt. Für all jene, denen der Sachtext zu dicht ist, liefert der Autor Abhilfe: Im Anschluss an jedes Kapitel finden sich nämlich nicht nur die Quellen und weitere Recherchehinweise, sondern auch Medientipps in Form von Filmen und erzählenden Romanen, darunter auch das >>> Religiöse Buch des Monats im Juni 2023

Alexandra Hofer


 

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