Nikola Huppertz / Tobias Krejtschi: Meine Mutter, die Fee. München: Tulipan 2018.

Irgendetwas stimmt nicht mit Fridis Mutter. Stundenlang starrt sie in die Leere, morgens kommt sie nicht aus dem Bett und auch ihre Querflötenmusik wird immer melancholischer. Die anderen sagen, ihre Mutter sei „verrückt“, aber Fridi wehrt sich gegen diese Zuschreibung. Als sie dann aber nicht einmal mehr Musikschüler*innen mehr empfängt, wird Fridi richtig wütend. Erst als der Vater erklärt, dass ihre Mutter eine Fee, ein Wesen der Dunkelheit in der Welt der Menschen sei, erkennt Fridi in den seltenen Momenten, in denen ihre Mutter lächelt, deren feengleiche Schönheit. Nun aber müssen Feen von Zeit zu Zeit in ihr Feenreich zurück. Schon nach zehn Tagen vermisst Fridi ihre Mutter unheimlich. Aber sie weiß, sie wird zurückkommen, denn: „eine Fee (gehört) für immer zu den Menschen (…), denen sie sich zu erkennen gibt.“ 

Es ist ein berührendes Zugeständnis an die Perspektive einer kindlich-magischen Weltsicht, der sich Nikola Huppertz und Tobias Krejtschi mit dieser feinfühligen Metapher der Fee verschreiben. Sie lassen der Mutter feine, zarte Feenflügel wachsen, die ihrer sichtbaren körperlichen, sowie auch ihrer dahintersteckenden geistigen Zerbrechlichkeit Ausdruck verleihen. Die Feingliedrigkeit von Text und Bild erhält durch die vielschichtig eingeflochtenen intermedialen Verweise aus Literatur- und Kunstgeschichte eine zusätzliche Tiefendimension. In den Tagen, in denen sich die Mutter zurückzieht und sich so sonderbar verhält, dass Fridi schon fast selbst glaubt, was die anderen über ihre Mutter sagen, sind es Gespräche über Bilder oder vorgelesene Gedichte, die zwischen Mutter und Tochter eine zarte Verbindung entstehen lassen. Es scheint fast wie immer, wenn die Mutter Fridi Bilder zeigt, die ihr besonders gut gefallen, oder ihr Gedichte vorliest, vom Rauschen der Erde und dem Wort der Quellen. Wenn Tobias Krejtschi Arnold Böcklins „Die Toteninsel“, Edvard Munchs „Melancholie“ und Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ in seine
Illustrationen integriert, verdichten sich die Motive des Textes in den vielschichtigen Bedeutungsebenen der Gemälde. Und so wie die Nacht, in der Traum und Wirklichkeit verschwimmen, in Eduard Mörikes Gedicht „Um Mitternacht“ den ewigen, unaufhaltsamen Fluss der Zeit vergessen will und die geheimen Vorkommnisse der Welt, wie in Josef von Eichendorffs Text „Der Abend“, sicht- und hörbar macht, scheint auch die Mutter diesem „Rauschen der Erde“ zuzuhören, das sonst niemand zu hören meint. 

Ohne Wörter wie „Depression“ oder „Therapie“ jemals auszusprechen, lässt dieses kunstvolle Bilderbuch Raum für Dialog und individuelle Erfahrungen. Anstatt die Mutter zu diagnostizieren spürt es durch seine verflochtenen Bild- und Textreferenzen den leisen Resonanzen in der (kindlichen und erwachsenen) Wahrnehmung nach. 

Claudia Sackl 

>>> hier geht es zu den Religiösen Büchern 2019