MINT-Buch im September 2020
Beltz & Gelberg 2020. € 15,40.
Julia Dürr: Wo kommt unser Essen her?
Das Essen auf dem Tisch ist für viele Kinder ein täglicher Anblick. Vielleicht sind sie auch in die Zubereitungsprozesse miteingebunden, dürfen in der Küche mithelfen, die Lebensmittel verarbeiten, eigene Kreationen ausprobieren und Vorlieben entwickeln. Möglicherweise sind manche Kinder auch beim Einkauf der Waren dabei, nehmen diese aus dem Regal und tragen sie nach Haus e. Wer allerdings – und dabei sind Erwachsene nicht ganz ausgeschlossen – kennt eigentlich die genauen Vorgänge, die diese Lebensmittel vor dem Verkauf durchlaufen?
Im MINT-Buch „Wo kommt unser Essen her?“ stellt Julia Dürr ebenjene Fragen: Wer biegt das Hörnchen? Wo legt die Henne das Ei? Und wer melkt die Kuh?
In Zeiten, in denen das Ernährungsbewusstsein immer stärker im Alltag gelebt wird, aber auch Umwelt- und Tierwohlaspekte die Betrachtung der Lebensmittelindustrie beeinflussen, wird Kindern ab 6 Jahren ein erster Zugang zu diesen Thematiken ermöglicht. Die in großformatigen Illustrationen verarbeiteten Informationen über die kleinsten Schritte der Herstellung, hat Julia Dürr durch Besuche in dementsprechenden Betrieben gesammelt und dokumentiert. Dadurch ergeben sich exemplarische Darstellungen von Ställen, Höfen, Betrieben, Anlagen usw. die durch den Austausch mit Experten, sowie durch ihr persönliches Erleben entstanden sind.
Den sieben Nahrungsmittel - Milch, Brot, Fisch, Fleisch, Äpfel, Eier und Tomaten - wurden jeweils zwei Doppelseiten gewidmet. Diese wiederum stellen kleinere und größere Betriebe einander gegenüber. Auch wenn die Arbeitsschritte teilweise ähnlich sind, wird in der Darstellung der kleineren Betriebe noch stärker auf die menschliche Arbeitskraft zurückgegriffen, wohingegen in den größeren vermehrt Maschinen zum Einsatz kommen und sich dadurch auch die quantitative Produktion unterscheidet. Dadurch entsteht auch der Eindruck, als hätte man auf der linken Seite an den Betrieb ‚herangezoomt‘ um dann auf der rechten Seite wieder in eine entferntere Perspektive zu wechseln. Wie in einem Wimmelbuch können kleine Details erforscht und nachverfolgt werden und es lässt sich immer wieder etwas Neues entdecken: Ein Arbeiter, der das Mehl in die Bäckerei bringt, das Kind das freudig die Milch beim Milchautomaten entgegennimmt, das als Rasenmäher betitelte Schaft bei der Arbeit usw. Der Text begnügt sich mit einer Benennung einzelner Objekte und Personen und überlässt somit der Illustration das Wirkungsfeld. Die jeweils zweite Doppelseite stellt ebenfalls die schon gezeigten Betriebe gegenüber, doch steht hierbei mehr der Prozess der Herstellung im Vordergrund. So führen sowohl Illustrationen, aber auch beschreibender Text die Leser*innen von den ersten Vorbereitungen bis zur Auslieferung der Waren an die Supermärkte. Dabei werden keine Arbeitsschritte ausgelassen. Dieser Aspekt hat besonders dort Gewicht, wo Tiere Bestandteil der Produktion sind. Es wird zum Beispiel ungeschönt – aber realistisch und nüchtern – berichtet, dass männliche Küken größtenteils getötet werden, da nur die weiblichen fürs Eierlegen gebraucht werden. Aber auch die einzelnen Schritte der Schlachtung von Schweinen werden sowohl in Text als auch Illustration vermittelt.
Das Buch lädt zum Betrachten, Begreifen und Reflektieren ein, auch wenn der neutrale und sachliche Ton selbst keine Wertung trifft oder gar ausspricht. Inmitten der bunten, kleinen Illustrationen und gehäuften Informationen können eigene Gedanken gesät, reifen und geerntet werden.
LESEN – SPRECHEN – TUN
LESEN – Gelesen werden können sehr kompakte Informationstexte, die durch ihre reduzierte Präsenz, einfach und bewältigbar erscheinen. Aber auch die Szenen und Bildfolgen können gelesen, inhaltlich verknüpft und begriffen werden und sind nicht immer auf den Begleittext angewiesen, um die enthaltene Botschaft zu vermitteln.
SPRECHEN – Das Betrachten der Details kann immer wieder neue Gesprächsinhalte anregen und Vorerfahrungen, aber auch Wissenslücken schließen: Welche Vorstellung hatte ich davon, wo mein Gemüse oder auch Fleisch herkommen könnte? Habe ich mir darüber überhaupt schon Gedanken gemacht? Welche Herstellungsart würde ich lieber konsumieren? Interessieren mich bestimmte Arbeitsschritte oder Berufsgruppen? Etc. Möglicherweise können auch Verkäufer*innen in der nächsten Bäckerei befragt werden, wann diese mit dem Brötchen-backen beginnen oder Verkäufer*innen am Wochenmarkt, ob sie mit Schädlingsbekämpfung arbeiten.
TUN – Am Ende des Buches regt die Doppelseite mit der Überschrift ‚Wo kommt dein Essen her?‘ zum aktiven Nachdenken aber auch Nachforschen an. Die Leser*innen werden dazu aufgefordert die Lebensmittel zu Hause einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf manchen Verpackungen lassen sich die Herkunftsbetriebe der Lebensmittel nachvollziehen. Dafür liefert diese Seite die nötigen Entschlüsselungs-Codes aber auch Links zu Webseiten, auf denen weiter ermittelt werden kann. Ebenfalls wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Lebensmittel auch einen längeren Weg zurücklegen müssen, wenn diese in einem anderen Land hergestellt werden. Ein vertiefender Umweltaspekt bleibt hierbei innerhalb des Buches aus, obgleich dies einen Anlass zum weiteren Besprechen, Tun und Forschen liefert. Weiters bietet es sich an Höfe, Bäckereien, Betriebe in der Umgebung selbst zu besuchen oder innerhalb der Klasse einen Ausflug zu organisieren. Es können auch weitere Lebensmittel ausgewählt werden, die nicht im Buch vorgekommen sind, dessen Herstellungsabläufe recherchiert werden können. Nicht zuletzt birgt das Selbst-Tun, wie das Anbauen von Gemüse und Obst sowie das Backen von Brot, einen großes Erfahrungspotenzial.
Tamara Kurzbauer
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