Aus dem Kanadischen v. Inge Wehrmann.
Beltz & Gelberg 2020. € 16,95.

Kenneth Oppel: Bloom.
Die Apokalypse beginnt in deinem Garten

25. März 2020: Kenneth Oppels aktueller Roman erscheint am deutschsprachigen Buchmarkt. Der sogenannte „Lockdown“ aufgrund der sich weltweit rasant ausbreitenden Krankheit COVID-19 läuft in Österreich gerade neun Tage lang. Und dennoch sind in diesem neon-grünen Buch bereits Sätze zu all den beängstigenden Aspekten einer Pandemie zu lesen: Überlegungen zu Hamsterkäufen „Es kann nicht schaden, ein paar Vorräte anzulegen.“ sind ebenso zu finden wie die Furcht vor einem unvorhersehbaren „Stromausfall.“ „Warum?“ „Sie wissen es noch nicht.“ Aber auch die Einschränkungen im öffentlichen Raum werden behandelt: Dies betrifft das Freizeitleben „Wird sie alle Parks und Spielplätze schließen lassen?“ genauso wie das Bildungssystem und das private Leben Die Schule war geschlossen worden. Und die Menschen wurden aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben. Dem nicht genug, beschreibt der kanadische Autor einem Orakel ähnlich, Beschwerden, die den gegenwärtigen medizinischen Entwicklungen entsprechen: Für die meisten Kranken war es so, als hätten sie eine schlimme Erkältung oder die Grippe. Aber einige Leute zeigten ernste Symptome […] Selbst die langersehnte Lösung findet Platz in diesem Buch, die endgültig den Eindruck erweckt, es sei seiner Zeit auf gespenstische Weise vorausgeilt: „Wenn wir sie erforschen, könnte es uns gelingen, einen Impfstoff zu entwickeln, durch den andere ebenfalls gesund bleiben.“ Ist Kenneth Oppel ein Prophet, der sich bis März 2020 unauffällig als Kinder- und Jugendliteratur tarnte? Die Antwort lautet: Nein, aber ein aufmerksamer Beobachter, der mit seinem Bio-Horror-Abenteuer-Apokalypsen-Hybrid genau ins Schwarz getroffen hat; und nicht – wie vielleicht anzunehmen ist – ins Grüne.

Denn obwohl die Bedrohung von einer alles überwuchernden Riesenpflanze ausgeht, färbt der Autor das blühende Monstrum tiefdunkel ein und lässt es einem riesigen Alien gleich die Welt verschlingen. Nicht nur, dass das Gewächs alle anderen Pflanzen überwuchert und dadurch eine internationale Hungersnot zu befürchten ist, verschlingen blutrünstige Ableger zudem ganze Tiere und Menschen, wenn diese gerade über die unterirdisch entstandenen Falllöcher spazieren. Der Protagonist dieser fiktionalisierten und höchst spannend erzählten Endzeitstudie scheint die obendrein Allergien auslösende Plantae zu sein. Narrativiert wird dies jedoch nicht von der Pflanze selbst (auch das wäre interessant), sondern aus der Sicht von drei Jugendlichen, die sich selbst auch nicht ganz unheimlich sind. Denn während die halbe Welt durch die sich verändernde Atmosphäre an allergischen Anfällen verendet, mutieren Anaya, Petra und Seth zu eigentümlichen Superheld*innen, die – wie es das humorvoll eingebettete, kanadische Klischee will – auch mit einer Kettensäge gegen die Bestie vorgehen. In dieser mit ordentlichem Thrill aufgeladenen Dystopie wird jedoch nicht völlig auf die Charakterzeichnung und das nie ganz einfache Verhältnis innerhalb eines Trios mit Eifersucht, Liebe und Freundschaft vergessen. Der Fokus liegt in Oppels rasantem Erzählstil jedoch stets auf dem Gefühl des immer näher kommenden Endes der gesamten Erdbevölkerung. Das zeichnet sich auch sprachlich ab, da der dialoglastige Text am Ende von einer handlungsorientierten Actionerzählung abgelöst wird.

Der Ausgang der sogenannten „Corona-Krise“ ist weiterhin offen. Auch über das nervenaufreibende Grande Finale dieses Pageturners dürfen an dieser Stelle klarerweise keine Worte verloren werden. Ein einprägsamer Satz gilt jedoch wieder für die Welt zwischen und außerhalb der Buchdeckel: Sie atmete langsam aus. Schule und Geburtstagsparty schienen etwas aus einer anderen Zeit zu sein.


LESEN – SPRECHEN – TUN

LESEN – Neue Begriffe haben in unseren Alltag gefunden: Homeoffice, Social Distancing, Quarantäne, Der menschenleere Raum, Virus, Seuche, Schutzanzug. Das STUBE-Team hat zentrale Begriffe der aktuellen Entwicklungen aufgegriffen und eine assoziative >>>Corona-Medienliste mit annotierten Buch- und Filmtipps onlinegestellt. Diese Begriffe und die dazugehörenden Medienbeispiele können beim Entschlüsseln des Romans hilfreich sein und bei der Lektüre stets mitgedacht werden.

SPRECHEN – … sollte man nicht nur in Krisenzeiten viel miteinander. Gerade aber in schwierigen Zeiten ist es wichtig, eigene Gedanken, vielleicht auch Ängste zu teilen. Im Kollektiv und mit Humor kann einer ausweglosen Situation der Schrecken genommen werden. Kenneth Oppel versieht seinen Horror immer wieder mit lustigen Formulierungen und Ereignissen. Diese Passagen können aufgegriffen und gemeinsam darüber nachgedacht werden, warum diese spezifischen Situationen zum Lachen anregen und ob auch in der Gegenwart amüsante Seiten an der Krise auszumachen sind.

TUN – Der Roman ist eine wahre Fundgrube, um mit einem Buch selbst tätig zu werden. Drei einfache Beispiele zeigen, auf welch unterschiedlichen Ebenen man mit dem Text arbeiten kann: A) Recherchearbeit: Petras Vater ist Biologe. Aber auch die Protagonistin weiß mittlerweile viel über die Pflanzenwelt. Ihre wissenschaftlichen Inputs können der Start für eine selbst angelegte Wissensdatenbank über Pflanzen sein (digital oder in Karteikartenformat). B) In der Rezension wird erwähnt, dass die Erzählung aus drei Perspektiven erzählt ist und dass es interessant wäre, wenn die Killer-Pflanze selbst erzählen würde. Diese Idee kann die Aufgabenstellung für eine Neuerzählung sein: Verfasse die Geschichte aus der Sicht der alles verschlingenden Pflanze. C) Das Buch regt aber auch dazu an, sich die eigenen Hände schmutzig zu machen. Zuallererst sind die Figuren des Romans beeindruckt, wie schnell die unheimliche Pflanze wächst. In eigenen Versuchen am Balkon oder im Garten, kann ausprobiert und mit regelmäßigen Messungen in einem Wachstumsprotokoll festgestellt werden, welche uns bekannten Pflanzen am schnellsten Wachsen.


Peter Rinnerthaler

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