Ill. Julia Neuhaus.
Nilpferd 2019. € 16,95.

Till Penzek: Als die Großen klein waren
Ein Album verschwundener Dinge!

Die Digitalisierung, was auch immer konkret darunter verstanden wird, ist in aller Munde. Doch wie sehr sich unser aller Alltag in den letzten 20 Jahren verändert hat, wird erst so richtig deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele alltägliche Handlungen vor gar nicht so langer Zeit noch völlig anders abgelaufen sind. Eine Autofahrt etwa, auf der man den Weg nicht kennt. Einen Film aussuchen und anschauen. Die Klassenkolleg*innen darüber informieren, dass die Turnstunde ausfällt. Diesem Phänomen widmet sich das Hamburger Duo Till Penzek und Julia Neuhaus in ihrem „Album verschwundener Dinge“. Referenzpunkt ist dabei ihre eigene Kindheit in den 1980er Jahren. In ihrem Vorwort grenzen sich die beiden explizit von einer Glorifizierung jener Zeit ab und formulieren, dass sie gerne einen möglichst neutralen Standpunkt einnehmen, dabei aber auch nostalgisch-sentimentalen Gefühlen Platz lassen möchten. Begleitet wird das Vorwort, wie jede der folgenden Doppelseiten, von einem anthropomorphisierten Wesen, das sowohl in seinem Outfit (neonfarbene Sportkleidung mit Legwarmers, Rollschuhe) als auch mit dem Songtext, der in einer Sprechblase abgedruckt ist (Girls just wanna have fa-han), bereits umfassend Assoziationen zu den 1980er Jahren weckt.

Anschließend werden Phänomene von Alltags- und Populärkultur gezeigt, die sich vorrangig im Bereich von Kommunikation und Medien bewegen, aber auch weit darüber hinaus gehen: Als die Großen klein waren, durften die Erwachsenen überall rauchen. Und das taten sie auch! Diese Alltäglichkeit wird zunächst wertfrei beschrieben, um dann aber auch auf problematische Aspekte einzugehen: Es war noch nicht so bekannt wie heute, dass auch Passivrauchen (also von anderen vollgequalmt zu werden) ungesund ist. Am Ende jedes Abschnitts werden Fragen, Kommentare oder Anregungen formuliert und optisch ansprechend in Sprechblasen oder Extra-Kästchen gesetzt, die sich manchmal ausschließlich an die Großen richten (Wann habt ihr früher eine Telefonkette gestartet?), oder Hinweise an alle geben (Probiert doch mal gemeinsam ein Pen & Paper-Rollenspiel aus!). Zu guter Letzt wird festgehalten, wie viele der vorher dargestellten Tätigkeiten mittlerweile von einem einzigen Gerät übernommen werden, dem Smartphone. Um es nicht bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit zu belassen, wird schließlich auf der allerletzten Doppelseite der Bogen in die Zukunft gespannt und Fragen aufgeworfen. Gesammelte Antworten dazu können per Mail eingeschickt werden und werden auf www.alsdiegrossenkleinwaren.de, einer Website zum Buch, veröffentlicht.

„Als die Großen klein waren“ mag auf den ersten Blick „nur“ wie ein peppig aufgemachtes Bilderbuch über Alltagsphänomene wirken, zeigt sich bei genauerer Betrachtung aber als MINT-Buch in einem sehr differenzierten Sinn: Durch das Aufzeigen der technologischen Entwicklungen von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart wird sehr klug und ohne dabei je den moralischen Zeigefinger zu erheben, zu einer Reflexion des eigenen Umgangs mit Technik angeregt.

LESEN – SPRECHEN – TUN

LESEN – Durch seinen Aufbau in einzelne Abschnitte, die jeweils als Doppelseite gestaltet sind, kann das Buch auch gut „häppchenweise“ bzw. in Fortsetzungen gelesen und/oder betrachtet werden.

SPRECHEN – Am Ende einiger Abschnitte werden Fragen „an die Großen“ formuliert, wie das damals war. Darüber kann miteinander generationenübergreifend gesprochen werden.

TUN – Das Buch macht neugierig auf Alltagsgegenstände, die nicht mehr in Gebrauch sind und nach denen man sich auf die Suche machen könnte – wer kann z.B. im Keller oder im Abstellkammerl noch eine Musikkassette oder ein Telefonbuch auftreiben? Diese Gegenstände können bewundert und ausprobiert, aber natürlich auch im Sinne von Upcycling kreativ zu Kunstwerken gestaltet werden.


Kathrin Wexberg

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