Picus 2022.
64 S.

Andrea Karimé und Raffaela Schöbitz: Planetenspatzen

Die eine wurde im April mit dem >>> Preis der Jungen Literaturhäuser (der für besonders gelungene Literaturveranstaltungen verliehen wird) ausgezeichnet – die andere war im April (bei einem besonders gelungenen STUBE-Freitag) >>> zur Gast in der STUBE. Im vergangenen Jahr haben die beiden zusammen einen Kinderlyrikband produziert, in dem aus der Buntheit von Mehrsprachigkeit heraus sprachspielerische Inspirationen für Leser*innen aller Altersklassen geboren werden. In „Planetenspatzen“ tanzen Andrea Karimés Wortspiele um klangliche und schriftbildliche Geschwisterlichkeit verschiedener Sprachen und finden in Raffaela Schöbitz’ flächigen Illustrationen narrative Erweiterungen: 27 Gedichte finden ihren Ausgangspunkt in 27 Wörtern aus unterschiedlichen Sprachen. Von Kroatisch über Russisch bis hin zu Kurmandschi (gesprochen im Irak, Iran und der Türkei) reicht das Spektrum jener Sprachen, die hier eine Bühne bekommen und beweisen, dass man nicht immer alles verstehen muss, um zu trotzdem zu begreifen.
hamuschte und schiduschte zum Beispiel stammen aus dem in Eritrea gesprochenen Tingrinya und bedeuten fünf und sechs. Deren Lautlichkeit und Semantik aufgreifend baut Andrea Karimé daraus ein spritziges Badezimmer-Wonnegedicht:

ein mädchen aus hamuschte
beherrschte gut schiduschte
sie duschte 5, 6 tausendmal
in einem kleinen duschregal
mit zahlen fuhr sie fünfmal schi
tusch sang sie, mi, und sechsmal nie
die hamuschte schiduschte melodie

Sinn und sinnbefreite Freude an der Sprache und dem Sprachmaterial selbst finden hier zueinander und spiegeln die Grenzverwischung von „richtig“ und „falsch“ wider, die dem Sprachspiel innewohnt. Diese nimmt eine wichtige Rolle im Sprach- und Schrifterwerb ein und kann dabei auch als Entlastungsventil für die eigene Fehlerhaftigkeit fungieren. kinderländerkwatschlatein – so benennt Andrea Karimé in einem anderen Gedicht dieses befreite (nicht nur kindliche) Spiel mit Wortsinn und -klang, das die Autorin in „Planetenspatzen“ in eine lyrische Poetik überführt, auf treffende Weise. Begleitet werden die so entstandenen Gedichte von ganzseitigen Bildern, in denen Raffaela Schöbitz den kindlichen Alltag ins Fantasievolle oder Phantastische kippt. Durch effektvoll miteinander arrangierte Farbflächen denkt die österreichische Illustratorin die sprachspielerischen Vexierbilder der deutschen Autorin weiter und verdichtet deren emotionalen Kern in jeweils einer Szene. Das Ergebnis ist oft überraschend, weckt Neugierde auf andere Sprachen und animiert dazu, die Wortschöpfungen beim Lesen selbst in den Mund zu nehmen und den Handlungsanleitungen (zwischendurch leise lachen!) Folge zu leisten.

Claudia Sackl

 

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