Elizabeth Wein: Codename Verity.
Aus dem Engl. v. Petra Koob-Pawis.
dtv 2024.
464 S.

Erzählen unter widrigen Umständen

Teil der Gestaltung von Texten kann sein aus welcher (meist fiktiven) Situation heraus sie erzählt werden: Beschaulich im Lehnsessel am Ende eines erfüllten Lebens, an die Nachkommen gerichtet, oder auch mitten im Geschehen in Form von Briefen. Diese Erzählhaltung ist im ersten Teil dieses US-amerikanischen Jugendromans ebenso ungewöhnlich wie drastisch: Denn seine Erzählerin „Verity“, so der Codename einer jungen britischen Spionin, sitzt im von den Nazis besetzten Frankreich in Gestapo-Haft und wird unter Folter gezwungen aufzuschreiben, was sie weiß. Diesen Text lesen die Leser*innen -und haben es damit auch mit einer raffinierten Form des unzuverlässigen Erzählens zu tun: Denn natürlich wird in einem solchen Text auf falsche Fährten geführt, Dinge in einem bestimmten Licht dargestellt und Geheimnisse verraten, die ja vielleicht gar keine sind. Die Erzählstimme hat dabei einen ebenso trockenen wie treffenden Tonfall, mit dem sie auch die Grausamkeiten der Haft kommentiert. Und jenes Schicksal vorwegnimmt, das ihr bewusst ist, denn als Spionin kann nicht einmal die Genfer Konvention sie retten: „Vielleicht sterbe ich in aller Ruhe an einer Blutvergiftung und komme so um die Kerosinbehandlung herum.“ Ergänzt wird ihr subjektiver Bericht durch andere Textsorten wie Telegramme oder Briefe. Der zweite Teil des Romans wird schließlich von „Kittyhawk“ erzählt, der Pilotin des Flugzeuges, mit dem die beiden Freundinnen abgeschossen wurden. Sie hat ebenfalls überlebt und wird von der Résistance versteckt; nach und nach erfährt sie, was mit Verity passiert ist. Die Raffinesse der Komposition des im Original bereits 2012 erschienenen Textes liegt nun darin, dass lange offen bleibt, wie sich die beiden Teile zueinander zeitlich verhalten. Erst nach und nach werden sie zueinander beziehungsweise eigentlich ineinander geführt, als schließlich „Kittyhawk“, eigentlich Maddie, Veritys Aufzeichnungen zu lesen bekommt. Im Nachwort legt die Autorin, selbst Pilotin, offen, was ihr beim Schreiben wichtig war: Bei aller historischen Recherche ging es nicht darum, eine gute geschichtliche Darstellung zu schaffen, sondern vielmehr „eine gute Geschichte“. Das ist ihr in vielerlei Hinsicht gelungen: während die beiden Hauptfiguren durch ihre Resilienz überzeugen, changieren viele der anderen Figuren zwischen „Gut“ und „Böse“. Seinen atemberaubenden Höhepunkt findet der Text schließlich in einer letzten Begegnung der beiden Freundinnen und einer Entscheidung, die ein Leben beendet.

Kathrin Wexberg

 

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