Lektorix des Monats August 2006
Katy Couprie /Antonin Louchard:
Die ganze Kunst.
Gerstenberg 2006,
256 S., € 15,90
Keine Kunst
Die Kunst sei ein Weg zur Lüge. Und also abzulehnen, da sie nicht dem Finden der Wahrheit diene, meinte Platon. Moderne Museumspädagogik hingegen verweist darauf, dass sich gerade beim Betrachten von Kunst durch das Anbinden an eigene Erfahrungen innere Wahrheit erschließen kann. Während viele Bücher – auch Kinderbücher – sich eifrig darum bemühen, solchen Zugang zu öffnen, ebnen sie meist bloß/immerhin den Weg zu besserer Bildung: Nicht minder als das Museum selbst suchen sie, Epochen aneinander zu reihen, Künstler und ihre Kunstwerke nach Kategorien geordnet zu präsentieren, ihre Stilrichtungen anschaulich und pädagogisch sinnvoll aufzubereiten.
Aber erst der kreative Umgang mit Kunst kann den entscheidenden Schritt im Bewusstsein des Einzelnen vorantreiben, erst der Spieltrieb vermag nach Schillers Auffassung zu vereinen, was unvereinbar schien: Der Mensch „ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“.
Katy Couprie und Antonin Louchard haben bereits vorgeführt, wie sich „Die ganze Welt“ in Bildern, Arrangements, Fotografien und vielem mehr mit spielerischer Leichtigkeit einfangen lässt (Deutscher Jugendliteraturpreis 2002). Auch diesmal haben sie das ungewöhnliche Format von 15 cm im Quadrat darauf verwendet, um nichts weniger als „Die ganze Kunst“ vorzuführen: Indem die Beiden sich der Kunstwerke des Louvre spielerisch „bemächtigten“, führen sie gleichermaßen durchs Museum wie sie auch den Kunstbetrieb aufs Korn und die Frage „Was ist eigentlich Kunst?“ in ihren Diskurs nehmen. Freimütig wird auf zirka 200 Seiten Kunst und Alltag gemischt, werden persönliche Bezüge, überraschende Assoziationen hergestellt und thematische oder motivische Ketten gebildet. Reproduzierte Kunst - beispielsweise wird Fragonards „Der Riegel“ von 1784 in Form eines Schlüsselanhängers außerhalb der musealen Umgebung im neuen banalen Zusammenhang an einem Schlüsselbund baumelnd gezeigt – wird neuerlich zu Kunst stilisiert. Respekt- aber keinesfalls lieblos sind die Bildfolgen, wenn einem in Öl auf Leinwand gemalten Akt von Ingres auf der nächsten Doppelseite ein männlicher Akt folgt, diesmal allerdings ein Jüngling, gestickt im Kreuzerlstich. Und das Lächeln der Mona Lisa darf natürlich auch nicht fehlen! Ohne Worte stellt dieses Bilderbuch zum Gebrauch der ganzen Familie einen der besten Beiträge zum Umgang mit Kunst dar.
Inge Cevela
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