Kröte im September 2025
Kunstanstifter 2025.
144 S.
Lena Raubaum und Verena Pavoni: Schlich ein Puma in den Tag
Was ich nicht wusste:
Leguane häuten sich.
Sie tun es, weil ihre Haut nicht mitwächst. Daher bildet sich unter ihrer jeweiligen Hautschicht stets neue. Die alte Hautschicht platzt auf, fällt ab und die neuen, beim Leguan drachenartigen Schuppen zeigen sich. Bei Jungtieren alle paar Wochen, bei älteren Tieren oft nur noch einmal jährlich. Der Name des Grünen Leguan – Iguana iguana – scheint also über eine biologische Systematisierung hinaus auch wie das semiotische Konzept einer doppelten Existenz: Unter der „alten“ Haut der Schuppenkriechtiere verbirgt sich stets eine neue.
Damit erscheint der Grüne Leguan prototypisch für ein künstlerisches Konzept, das ebenfalls auf solche Häutungen setzt: In Kratzbildern verbirgt sich unter dem Schwarz bereits jene farbige Schicht, die im künstlerischen Prozess „abfällt“, sprich durch das Wegkratzen schwarzer Bildelemente hervorgebracht wird. Zuletzt hatte Linda Wolfsgruber mit ihrer Variante der Schöpfungsgeschichte gezeigt, zu welch künstlerischer Perfektion und Fülle diese Technik gebracht werden kann. „Sieben“ wurde 2024 nicht nur mit dem Österreichischen gleichermaßen wie miit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis, sondern ermöglichte auch eine wunderbare Ausstellung im Kardinal König Haus – samt festlichem Abend mit Linda Wolfsgruber und Heinz Janisch. (>>> hier geht es zum Tagebuchbericht)
Einen Schöpfungsprozess der ganz anderen Art – aber basierend auf derselben Technik – inszeniert nun die Schweizer Künstlerin Verena Pavoni. Nicht allein das Endergebnis der künstlerischen Häutungen wird zur Illustration ihrer Bildfolgen (hier sind es nicht sieben mal sieben, sondern fünf mal zwölf), sondern die Häutung selbst. Oder genauer formuliert: der Entstehungsprozess selbst. Im vorerst leeren Bildraum formen sich Farbschichten schrittweise zu noch unbestimmten, flächigen Figurationen. Darübergelegt wird eine Schicht weißer Ölkreide – das Unbestimmte wird damit nochmals künstlerisch verschleiert und dann in seiner Gesamtheit überdeckt. Aus dem schwarz übermalten Bild, in dem sich das Darunterliegende immer noch erahnen lässt, werden dann nach und nach detailliert und diffizil Tierkörper herausgekratzt.
Auf diesen Rhythmus, der Puma, Frosch, Kugelfisch, Leguan und Schleiereule hervorbringt, reagiert ein lyrischer Text – und bringt entlang assoziativer Gedanken nicht nur das jeweilige Tier ins Jetzt, sondern mit ihm auch das Ich der Betrachter*innen. Additiv schichtet Lena Raubaum dafür ihre Verszeilen übereinander. Spürt nach, wiederholt, überrascht mit kleinen Wendungen.
Werde still
und lautlos
Werde still
und lautlos
werde still
und lautlos
Werde still
und lautlos
werde still
und lautlos
langsam alte Haut los
Das Faszinosum, das von den Bildern ausgeht, beginnt sich mit jedem neuen Schritt im Text zu spiegeln. Während man gebannt verfolgt, wie sich das Schwarz über den Pumakopf legt und Auge um Auge der Blickkontakt entsteht, beruhigen die Verszeilen die wilden Gedanken. Lenken deren Bewegungen. schrittleise / pfotenweise. Bis zu jenem Punkt, an dem die Idee vom Puma, die Idee einer Illustration und die Idee eines Gedichtes zu einem faszinierend intensiven Miteinander von Bild, Wort und Tier werden.
Zur Dritten im künstlerischen Bund des bibliophil gestalteten Buches wird die Designerin Franziska Walther. Ihr obliegt die grafische Gestaltung. Ihr obliegt es, dem Arrangement der Fragmente die Materialität hinzuzufügen und mithilfe von Farbkonzept, Papier und Bildfolgen die fünf Tiere, Texte und illustratorischen Enttarnungen miteinander zu verknüpfen. Die individuelle Kraft jeder einzelnen Passage fügt sich damit in ein Gesamtkonzept der Verlangsamung. Staunend folgt man jeder neuen Idee, jedem neuen Bilddetail, jeder neuen Verszeile. Bis dorthin, wo es dem Kugelfisch reicht, uns aber noch lange nicht. Bis dorthin, wo die Nachtaktivität der ohrenlosen Schleiereule dazu führt, dass man jene hört, die im Stillen / ihre Hilfeschreie schweigen. Bis dorthin, wo entlang der Amphibienfinger des Frosches zweifelsstill danach gefragt werden kann: Wann hab ich alles?
Als Liebhaberin von Literatur, als Liebhaberin von Büchern, als Liebhaberin der Varianten des Miteinanders von Bild und Text kann man getrost sagen: Jetzt. Denn Verena Pavoni und Lena Raubaum bringen nicht nur fünf wunderbare Tiere verbal, bildlich und gedanklich ins Jetzt. Sie regen nicht nur zum Philosophieren und Weiterdenken an. Sie sorgen nicht nur für Atemlosigkeit, wenn man dem Prozess künstlerischen Schaffens folgt. Sie sorgen auch für das Gefühl, angekommen zu sein. Zumindest für jenen Moment, in dem man dieses Buch zuschlägt, dem Puma noch einmal ins Auge blickt und glücklich ist.
Heidi Lexe
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