Kröte des Monats August 2021
Hanser 2021.
Aus d. Engl. v. Birgitt Kollmann.
€ 17,50.
Lauren Wolk: Echo Mountain. Ellie geht ihren eigenen Weg
In de Beag ist finsta.
Auf de Beag stengan Bam.
In de Beag wohnan d’Noan.
Aus de Beag mecht i ham.
So besingen der Wiener Liedermacher Ernst Molden und sein musikalischer Gefährte Willi Resetarits auf ihrem Album „Ohne di“ warnend die Gefahren der Berge (beziehen sich dabei jedoch mit dem ihnen eigenen Schmäh auf gefährliche Erhebungen wie den Kahlenberg oder den Nussberg). Ähnlich bedrohlich empfinden die Mutter und Esther, die ältere Schwester der Ich-Erzählerin Ellie, ihr Leben auf dem titelgebenden Echo Mountain. Ein Leben voll harter Arbeit und bitterer Armut, dem eine große Zäsur voranging: Die Handlung ist im Maine des Jahres 1934 verortet, nach dem Börsenkrach musste der Vater seine Schneiderwerkstatt in der Stadt aufgeben, die Mutter ihren geliebten Beruf als Musiklehrerin. Wie bereits in ihrem 2018 mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz ausgezeichneten Roman „Das Jahr, in dem ich Lügen lernte“ erzählt die US-amerikanische Autorin ihren Text also aus einem historischen Setting heraus. In jenem damals auf hohem literarischen Niveau erzählten Jahr wurde die Frage nach der ethischen Herausforderung einer Lüge, die ausgesprochen werden könnte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, und in weiterer Folge auch das komplexe theologische Thema der Schuldverstrickung (die Jurybegründung zum Nachlesen gibt es >>> hier) angesprochen. Um ähnliche Fragen geht es auch im neuen Text: Denn nach dem alles verändernden Unfall ihres Vaters, der seitdem in seinem Bett im Koma liegt, meint Ellie nicht nur als Einzige die Wahrheit zu kennen, sondern auch die Schuld auf sich nehmen zu müssen:
Das war der Moment, in dem ich beschloss, dass es schlimmer sein würde, anderen die Schuld zu geben, als sie selbst auf mich zu nehmen. Wenn ich irgendetwas vom Berg – und von meinem Vater – gelernt hatte, dann das: dass ich mich stärker und glücklicher fühlte, wenn ich es schaffte, etwas Schweres zu tun und es gut zu machen.
Dieses gut machen bedeutet für die zwölfjährige, ebenso tatkräftige wie willensstarke Protagonistin, auf eigene Faust nach einem Heilmittel zu suchen, das den Vater wieder gesundmachen kann – denn einen weiteren Besuch des Arztes kann sich die Familie niemals leisten. Auch moderne Annehmlichkeiten wie Apotheke oder Supermarkt, ganz zu schweigen von Möglichkeiten der Informationsbeschaffung wie dem Internet, gibt es am schroffen Echo Mountain nicht. Dafür bietet er mit seiner Fülle an Pflanzen und Tieren zahlreiche Naturheilmethoden, die Ellie unerschrocken anwendet. Dabei, und das macht jene Passagen besonders beeindruckend, handelt sie nie naiv, sondern ist sich stets bewusst, was ihr Handeln für das jeweilige Wesen bedeutet:
Eine der schwersten Lektionen, die ich je gelernt hatte, handelte von Honigbienen und der Tatsache, dass sie sterben, wenn sie stechen. Dass sie nicht einfach den Stachel zurücklassen können, sondern auch einen Teil ihres Körpers verlieren müssen. Und sterben. Wie die auf meinem Handschuh. Wie die, die mich in die Wange gestochen hatte. Mir leuchtete es nicht ein: Ich hatte ihnen keinen einzigen Tropfen Honig weggenommen. Ich war schon ein gutes Stück entfernt. Und doch hatte diese Biene ihr Leben gelassen.
Als alle Versuche zunächst vergeblich bleiben, beschließt Ellie sich gegen den Willen der Mutter an jene alte Frau zu wenden, die ganz alleine oben auf dem Berg lebt und die die Mutter nur „die Hexe“ nennt. Um festzustellen, dass diese selbst dringend Hilfe braucht. Und dann ist da noch Larkin, ein gleichaltriger Bub, der offenbar etwas mit jenen wunderschönen geschnitzten Geschenken zu tun hat, die Ellie seit einiger Zeit gefunden hat. Auf üppig auserzählten, manchmal ein wenig an der Grenze zum Naturkitsch schrammenden gut 370 Seiten führt Lauren Wolk all diese Erzählstränge zusammen, um schließlich offenzulegen, dass die Schicksale der Hauptfiguren schon lange vor dem Einsetzen der Handlung miteinander verknüpft waren. Am Ende ist Ellie in vielen herausfordernden Situationen über sich selbst hinausgewachsen, hat mutig Dinge getan, die schon beim Lesen ekelerregend sind. Und sich unermüdlich in dem geübt, was offenbar ihre Bestimmung ist: Heilen.
Kathrin Wexberg
Unter den beeindruckendsten Stellen des Romans sind jene, in denen Ellie versucht, den wilden Bienen Honig zu entlocken, ein wahres Wundermittel für unterschiedlichste Probleme. Dazu passend hat die STUBE mit Hilfe von Sommer-Praktikantin Julia Lückl eine Buchliste zum Thema >>> Bienen zusammengestellt.
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