Kröte des Monats Oktober 2018
Mixtvision 2018. € 20,50.
Ein Nilpferd steckt im Leuchtturm fest - Tiergedichte für Kinder
Welches Tier findet in den meisten Haushalten Unterschlupf? Welches Tier wurde schon von den alten Ägypter*innen verehrt? Wie lautet der Titel eines Musicals, das nach einem Tier benannt ist? Welches Tier führt in einer Romanreihe Krieg und geht weg wie warme Semmeln? Welches Tier regiert das Internet? Die Antworten lauten: Katze, Katze, Cats, Katze und Katze.
Daher gehört die Katze auch zu den Spitzenreiter*innen in diesem tieraffinen Lyrikband, betrachtet man die Anzahl der Erwähnungen. Geschlagen wird das Kätzchen nur vom Streber unter den Tieren, dem besten Freund des Menschen: der Hund. Und so geht die Schlacht um Platz eins auf der ewigen Haustierrangliste in die nächste Runde.
Das STUBE-Team sieht das natürlich etwas anders und hat sich eine eher eigenwillige Entourage zusammengeschustert: Neben der Katze widmet sich das STUBE-Team der Tarantel, dem Wolf, natürlich der STUBEnfliege sowie einer recht umfangreichen Tierparade, die allesamt von namhaften Autor*innen und Illustrator*innen humor- und kunstvoll in Szene gesetzt wurden: Michael Augustin, Tanja Dückers, Heinz Janisch, Mathias Jeschke, Arne Rautenberg und Ulrike Almut Sandig zeichnen für die Texte verantwortlich, während Nadia Budde, Julia Friese, Regina Kehn und Michael Roher collagierten, druckten, malten, ritzten, tupften und allerlei weitere elaborierte Illustrationstechniken einsetzten, um dem Band ein hochwertiges Erscheinungsbild zu verleihen. Dieses Konzept ist vollends aufgegangen und so liegt seit rund einem Monat ein quadratischer Lyrikband vor, der auch durch Satz, Layout und Farbgestaltung nicht nur für Lyrikliebhaber*innen ein abwechslungsreiches Sammelsurium an tierischer Kürzestgeschichten bereithalten wird.
Nun aber zurück zur Katze, die es in ihren drei Gedichten nicht leicht hat, wird sie auch hier zwei Mal von ihrem Erzrivalen flankiert. Zuerst gehört sie wie der Hund zu einer Auswahl an Lebewesen, über die sich Arne Rautenberg die Frage stellt: „Können Tiere nicht einfach nur süß und niedlich sein?“ Nein sagt die Katze. Warum fragen Sie sich? Tja warum wohl? „warum zerkratzt die katz so überhaupt nicht nett / die ledercouch / und legt mir halbe mäuse vors bett?“ Noch fragwürdiger wird es in Michael Augustins Gedicht „Kätzchen & Hund“: „Mein Hund / der heißt Kätzchen / mein Kätzchen / heißt Hund. / Warum / weiß ich auch nicht, / es gibt keinen Grund.“ Augustin entwirft ein herrlich absurdes Verwirrspiel, das in Regina Kehns Positiv-Negativ-Illustration eine perfekte Entsprechung findet. Im dritten Katzengedicht hat sie sich nun endlich des Hundes entledigt, leider aber auch jeglicher Manieren, wie Tanja Dückers feststellen muss: „Mein liebster Freund ist Hannibal. / Aber heut dacht ich echt: der kann mich mal. / Pinkelt mir erst ins Bett, / dann – besonders nett – noch in die Tasche, / sogar in die neue Trinkflasche. / Dann weiter untern Küchentisch. / Das hab ich sofort weggewischt.“ Michael Roher setzt dem Text eine in gelblichen Ton gehaltene Illustration gegenüber, die die ungustiösen Schweinereien der Katze mit dem Blumenkleid der stämmigen Hausbesorgerin parallel führt. Da setzt man sich doch lieber mit dem einen oder anderen Ressentiment auseinander…
Peter Rinnerthaler
Die Stubenfliege
Als STUBE-Mitarbeiterin ist man außer mit Ruhm und Ehre auch mit mancherlei Zuschreibungen, ja sogar Vorurteilen konfrontiert – man sei immer nur drinnen, lese immer nur Bilderbücher… Es ist sehr erfreulich, dass sich mit Mathias Jeschke nun einer der wichtigen Stimmen der gegenwärtigen Kinderlyrik dieses Themas angenommen hat. Das geballte Vorurteil wird hier künstlerisch verdichtet in der Figur eines grünen Krabbelkäfers, den Nadia Budde mit madenmäßig fettem Körper und breitem Grinsen darstellt – dass dieser Käfer tatsächlich krabbeln kann, mag man sich gar nicht so recht vorstellen. Er verteidigt jedenfalls sein Revier, nämlich das Draußen, sehr entschieden, und so bleibt der Stubenfliege nichts anderes, als mit großen, traurigen Augen und schlapp herunterhängenden Flügeln dorthin zurück zu kehren, wo sie hingehört – in die STUBE. Es bleibt die Hoffnung, dass auf der karierten Tischdecke zumindest irgendetwas Erfreuliches wie zum Beispiel ein Bilderbuch oder sogar eine Lyrik-Anthologie liegen wird.
Kathrin Wexberg
Zwei Wölfe. Ein Autor. Und Regina Kehn.
Was passiert mit einem ordentlich durchgeschüttelten Wolf? Er könnte zum Flow werden und seine dieserart gewonnene Stromlinienförmigkeit nutzen, um einfach zu entschwinden. Damit würde er auch dem Jäger entkommen, der ihm Rot auf Schwarz bestätigt, dass zwar der Wolf an die Vorstellung von raubtierhafter Zutraulichkeit glaubt, nicht aber der Mensch:
„Der Schuss bleibt
ungerecht
ungerächt“
Der homophone Anklang am Ende von Mathias Jeschkes Gedicht„Der Wolf ist tot“ entlässt die Leser*innen mit dem Gefühl, dass die Tragik der davor liegenden Ereignisse zumindest in sprachlicher Schwebe gehalten wird. Denn egal ob im Kontext dieses zivilisationskritischen Gedichtes oder dort, wo ein traditionelles Märchen lyrisch neu inszeniert wird: Der Wolf gehört schlicht zu den Verlierern.
Aber Halt! Dort wo Wortelemente heftig permutiert werden, wo einleitende und ausleitende Laute vertauscht, gemixt, geswitcht werden, bekommt auch der Wolf seine Chance:
„Der Honul daß fras Kätroppchen
Mit Haat und Haur
Wund eil die sa westorben gar,
lun drebt nie sicht hehr meute."“
Nicht nur das Wortmaterial erfährt hier seinen humorigen Letterkehraus, sondern auch die Märchenkonvention. Das traditionelle „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ wird – wiederum durch Mathias Jeschke – sprachspielerisch und (!) zugunsten des Wolfes verkehrt.„Häää…?“ flötet da das kleine Vögelchen, das von Illustratorin Regina Kehn als Beobachterin (wortwörtlicher) figuraler Verschiebungen platziert wird: So wie im Gedicht selbst die Bestandteile von Wortpaaren miteinander verschränkt werden und damit für eine bewusste Irritation im Lesefluss sorgen, werden im Bild die fragmentierten Figuren ineinander verschoben, sodass die Irritation weitergedacht und ausgedeutet wird. Weder der wöse Bolf noch das Kätroppchen können noch auf ihre märchenhafte Hermetik hoffen. Sie
werden zu Versatzstücken, die auf unterschiedlichen künstlerischen Ebenen neu collagiert werden können. Regina Kehn lässt die verbleibenden Versatzstücke ihrer Figuren gegenläufig hinter Bäumen verschwinden / hinter Bäumen hervortreten. In welche Richtung sich Neu-Inszenierungen dieser Art weiterentwickeln, eibt bloffen.
Heidi Lexe
Vom Spinnentango
Die tanzende Tarantel erfreut wohl auch Personen, die Achtbeiner lieber in weiter Ferne wissen. Durch die ständige Wiederholung der ,,die tarantel tanzt‘‘-Phrase wird gelungen simuliert, wie man eben eine heiße Sohle auf’s Parkett legt, wenn man mehr als zwei Beine hat – da wird getrippelt und getrappelt, und viele Schrittmöglichkeiten hat man nicht. Die wundervollen Wortreim-Kreationen Firlefanztanz, Rattenschwanztanz und der wunderbare Mumenschanztanz (wie der wohl aussieht?) stellen sicher, dass auch Wortverliebe bei diesem Gedicht auf ihre Kosten kommen. Das tuchschwenkende Spinnchen sieht zwar auf den ersten Blick etwas zu sehr nach Menschenschreck als nach Tanzkumpane aus, durchbrochen wird die Illustration durch drei knallrote (der viere fehlt wohl) Stöckelschuhe, mit denen über das Parkett gewetzt wird. Ob textliche Anspielungen an den 80er-Industrial-Hit ZNS („Es tanzt der Kreislauf […] es tanzt den Unfallschock / tanzt den totalen Schock […] tanzt das ganze Ballett / tanzt das weiße Rauschen“) von den legendären Berlinern Einstürzende Neubauten absichtlich vorhanden sind oder nicht kann wohl nur der Autor beantworten, bildsprachlich passt es auf jeden Fall wunderbar.
Gabriel Niederberger
Fasching im Tierpark
Den Tieren, die Mathias Jeschke in seinem Gedicht in den Fasching schickt, mangelt es nicht an Einfallsreichtum. In tollkühnen Sprachspielen bedienen sie sich allen erdenklichen Möglichkeiten der Wort- und Bedeutungsvariation, um facettenreiche Metamorphosen zu vollziehen. Es werden Anagramme (Der Tapir geht als Pirat), Homonyme (Die Schwalbe geht als vorgetäuschtes Foul) und Minimalpaare gebildet (Der Seelöwe geht als Seemöwe), metaphorische Bedeutungen wörtlich genommen (Das Zebra geht als Fußgängerüberweg), zusammengesetzte Wörter uminterpretiert (Der Apfelschimmel geht als verschimmelter Apfel), und sogar andere Sprachen herangezogen (Das Gnu geht als Gewehr). Fasching ist bekanntlich verkehrte Welt, und so werden auch die Tiere in ihr Gegenteil gekehrt. Die Drossel geht als Beschleuniger, die Ente als Anfang, die Gans als Halb – ganz im Sinne des fantasievollen Spiels mit Sprache und Bedeutungen, das die orthographischen Vorgaben nicht immer ganz so ernst nimmt. Einmal schnell Drüberlesen empfiehlt sich bei diesem Gedicht jedoch nicht. An mancher Stelle muss man schon genauer hinschauen, um die Verwandlungen auch sprachlich nachzuvollziehen. Jede Zeile ist ein kleines Rätsel, das Lust auf einen kreativen Umgang mit Sprache macht. So vielseitig wie die sprachlichen und tierischen Transformationen sind auch die Bilder dazu, die von allen vier Illustrator*innen des Bandes, Nadia Budde, Julia Friese, Regina Kehn und Michael Roher, stammen. Wer die Zeichner*innen besonders gut kennt, kann Memory spielen. Ein wirklich tierischer Fasching! (Doppelbedeutung intendiert)
Claudia Sackl
Wie die Faust aufs Auge passt zur Kröte eine aktualisierte Buchliste zum Thema "Kinderlyrik", die ab sofort >>>hierabzurufen ist. Und nicht nur diese Zusammenstellung wurde über den Sommer vom STUBE-Team überarbeitet, auch alle weiteren Buchlisten zu vielen unterschiedlichen Themen versammeln sich in neuer Gestalt unter folgendem >>>link.
>>> hier geht es zurück zu den Kröten 2018.