Kröte des Monats Februar
2015
Residenz 2014.
256 S.,
€ 26,00.
Ich bin ich. Mira Lobe und Susi Weigel.
Ausstellungskatalog. Hrsg. v. Ernst Seibert, Georg Huemer, Lisa Noggler-Gürtler.
Ich war ich. Als ich klein war. Oder anders herum: Als ich klein war, war ich das kleine Ich bin ich. Wir haben Mira Lobe und Susi Weigels Bilderbuch 1986 im Kindergarten aufgeführt, nur für uns, ganz ohne elterliches Publikum, aber immerhin: Ich durfte Flatterohren und einen langen, bunten Schwanz aus Wollfäden tragen und – auf Schweizerdeutsch! – rufen: „Sicher git’s mich: Ich bi ich!“
Solcherart sind wir also auch über die Landesgrenzen hinaus von dem berühmtesten Buch des „erfolgreichsten Duos der jüngeren österreichischen Kinder- und Jugendliteraturgeschichte“ ermutigt und ermächtigt worden: Von jenem „Jahrhundertwerk“ (Renate Welsh), das sich als titelgebendes Motto und als buntkarierter Faden durch die aktuelle Sonderausstellung des Wien Museums und durch den dazu publizierten Katalog zieht.
45 gemeinsame Bücher haben Mira Lobe und Susi Weigel geschaffen, zahlreiche Arbeiten in der vom kommunistischen Wiener Globus-Verlag herausgegebenen Kinderzeitschrift „Unsere Zeitung“ kommen dazu. Doch während sich „Das kleine Ich bin ich“ im kollektiven Gedächtnis mehrerer Generationen auch über die Landesgrenzen hinaus gehalten hat, wurden und werden die anderen „Mira-Susi-Bücher“ vorwiegend in Österreich rezipiert. Und auch dort gerät der Name der Künstlerin Weigel gegenüber demjenigen der Autorin Lobe offenbar allzu oft in Vergessenheit. Ausstellung und Katalog bieten nun eine Bühne für das Werk beider Frauen – einzeln und im Verbund können sie (neu) entdeckt und in ihrer ganzen Schaffensvielfalt erkundet werden.
Die Zusammenstellung ihrer Bildwelten und Sprachbilder ist, wie Georg Huemer vom Kurator*innenteam im Vorwort schreibt, zu einem „Erinnerungslabyrinth“ geworden, durch das sich jedeR einen eigenen Weg suchen darf, suchen muss: Denn die Geographie des 256 Seiten schweren, großformatigen Bandes wird durch magische Schwellen, fluide Landschaften und unscharfe Grenzen in der Schwebe gehalten, von kleinen Geschichten mehr denn von großen Narrativen durchzogen und von Wegweisern abgesteckt, die keine Anweisungen geben, sondern Einladungen aussprechen. Im "Ich bin ich" zu verweilen, etwa, und dort die bewegten, durchaus auch konfliktreichen Biografien der beiden Frauen nachzuvollziehen, die in Wort und Bild mit der Zeit-, Literatur-, Verlags- und Kulturgeschichte verwoben werden. Dann vorzublättern und jene "Sehnsuchtsorte" zu besuchen, an denen Utopie und Alltag Hand in Hand gehen, um die Selbstermächtigung des Kindes voranzutreiben; voranzuschreiten und jene "Freiräume" einzufordern, in denen Solidarität und Selbstbehauptung keine Widersprüche bleiben müssen. Dann, vielleicht, einen Schritt zurückzutreten und den "Gemeindebau" auszuloten, in dem die Verhältnisse oft allzu beengt sind, der aber auch Nähe verspricht und an dem es passieren kann, dass zwei „nach Raufen und Schupsen / zärtlich die Nasen zusammenstupsen.“ (Lobe/Weigel, Die Geggis, Kapitelmotto) Und nicht zuletzt lädt der wunderschön gestaltete Band dazu ein, einzutauchen in jenes „Umspannwerk“, mit dem Mira Lobe und Susi Weigel die Brücke und den Bogen zwischen "Alten, Mittleren und Jungen" schlagen.
Orte für alle gibt es in dieser Landschaft auf jeden Fall genug, um mehr als einen Winntersonntag zu verträumen: Warum sich nicht verlieren in Winfried Opgenoorths Wimmelbildern, mit denen er etwa in Lobes "Es ging ein Schneemann durch das Land" (1980) dem ganz normalen Winterchaos eine fantastische Note und zugleich eine in der ganz konkreten Not des Außenseiters verankerte Erfahrungsdimension verleiht? Warum nicht verweilen bei einem der vielen Entwürfe, die Susi Weigel und Mira Lobes "gemeinsame Elternschaft" bei der Genese eines Werkes ganz plastisch vor Augen führen? Gerade als Schweizer*in mag man sich auch der Verlockung einer österreichischen "Fortbildung in der Disziplin Kreatives Schimpfen"(Wolfgang Kos) hingeben, die mit Kreationen wie "Gatschler" und "Schluchtenhaxler" aufwartet. Vor allem aber besticht der Band nebst aller Bild- und Klangfülle durch 18 kurze, prägnante Analysen, die sich dem Werk und dem zeitlichen und politischen Hintergrund der beiden Künstler*innen widmen. So fragt etwa Karl Müller danach, ob in Lobes aufklärerischem, demokratisierendem Werk spezifisch weibliche und jüdische Lebenserfahrungen sichtbar werden und kommt zum Schluss, dass ihre für ein erwachsenes Lesepublikum verfasste Erzählung "Die Lüge" (1972) gewissermaßen die tragische, dunkel-abgründige Fassung von Anliegen darstelle, die in ihren Kinder- und Jugendbüchern "ins Helle, ins Optimistische, ins für die Leser und Leserinnen psychisch Stärkende gewendet" werden: „Mira Lobes literarische Welt ist eine unsichere, gefährliche, eine durch Standes- und Klassenunterschiede, durch geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten, eine durch Leistungsfetischismus entsolidarisierte und nicht zuletzt durch Rassismus bedrohte und auch zerstörte Welt“, schreibt Müller. Ihr Erzählen sei deshalb stets ein "Dennoch-Erzählen"; ein Erzählen, in dem sich autoritätskritische mit utopischen Zügen mischen und Vorurteile als Ausdruck kollektiver Ängste entlarvt werden. Letzterem Phänomen nähert sich Heidi Lexe von einer anderen Seite: Sie deutet die Monster-Figuren in Lobes Werk als Projektionsflächen von Ängsten und Albträumen, als "soziale Herausforderung", die für "Irritationen im sozialen Gefüge" sorgen und dadurch gesellschaftliche Bruchstellen und Herrschaftsgefüge zutage treten lassen. Sylvia Zwettler-Otte schließlich liefert neben ihrer psychoanalytischen Interpretation von Lobes Roman „Die Räuberbraut“ auch eine interessante – und rare – Kritik am "Ich bin ich": Die dort behauptete Identitätsbildung könne auf diese Weise nicht stattfinden; es bedürfe immer "eines anderen, der die schrittweise Entdeckung des kindlichen Ichs bestärkt, anerkennt und verbal bestätigt" – die Beliebtheit der Geschichte sei wohl mehr dem "Lustgewinn der Erwachsenen zu verdanken, für die der narzisstische Rückzug, sich alles selbst geben zu können, eine trostvolle Illusion sein kann im frustrierenden Alltag“.
Der Ausstellungskatalog "Ich bin ich" ermöglicht sowohl einen sinnlichen und emotionalen als auch einen analytischen Zugang zum Werk zweier Künstlerinnen, die hier ganz stark auch als politisch geprägte und engagierte Figuren zum Vorschein treten. Immer wieder wirft er Fragen nach der Position künstlerisch tätiger und spezifisch mit Kinderliteratur beschäftigter Frauen auf. Er idealisiert und verklärt weder Werk noch Zusammenarbeit der beiden Frauen, verweist auf Mira Lobes privilegierte Stellung und die fehlende Würdigung Susi Weigels, deutet „Auflösungserscheinungen“ in ihrer Teamarbeit und Vorwürfe fehlender politischer Korrektheit in Bezug auf ihre Darstellung schwarzer Figuren (wenn auch nur am Rande) an und macht auf die politischen Spannungen aufmerksam, vor deren Hintergrund vor allem Lobe agierte. Und begeistert, ganz nebenbei, mit einer Fülle an entzückenden, wenig bekannten Details. Oder wussten Sie bereits, dass das Bimbulli früher „das Fetzerl“ hiess?
Manuela Kalbermatten
Bis 1. März 2015 ist im Wien Museum die empfehlenswerte Ausstellung „ICH BIN ICH. Mira Lobe und Susi Weigel“ zu sehen.
Am Dienstag, 17. Februar um 16:30 Uhr wird es für STUBE-Interessent*innen eine Spezialführung mit Co-Kurator Dr. Georg Huemer geben. Bei Interesse bitten wir um baldige Anmeldung an folgende Mail-Adresse stube@stube.at
Treffpunkt ist am 17. Februar 2015, um 16:00 Uhr im Foyer des Wien Museums, der Eintritt inklusive Führung kostet ermäßigt 6 Euro pro Person. Wir freuen uns darauf, gemeinsam durch die Text- und Bildwelten von Mira Lobe und Susi Weigel zu wandern.
Die Autorin der Rezension, Manuela Kalbermatten, war im Jänner in der STUBE zu Gast. Einen Rückblick auf die Veranstaltung zum Thema "Dystopien" finden sie
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