Kröte des Monats März
2014
Übersetzt von Tobias Scheffel.
Moritz 2013.
96 S., € 13,40.
Claude K. Dubois: Akim rennt
Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs herrscht im uns umgebenden europäischen Gebiet relativer Friede. Der, wie sich aktuell in der Ukraine zeigt, schneller als gedacht aus dem Gleichgewicht geraten kann. Denn die historische Urkatastrophe der Moderne, als die der Erste Weltkrieg heute rezipiert wird, setzt sich auf persönlicher Ebene für zahllose Menschen auf allen Kontinenten durch ihre Erfahrungen von Krieg und Flucht fort. Die belgische Künstlerin Claude K. Dubois versucht diese traumatischen Erfahrungen am Beispiel des individuellen Schicksals des jungen Akim für Kinder erfahrbar zu machen. Ihr Blick richtet sich dabei auf die Krisenregion des Kaukasus – wobei dabei viel weniger eine konkrete zeitgeschichtliche Verortung, als vielmehr eine Lenkung des Blicks auf die Peripherien des Weltgeschehens vorgenommen wird. Wenn jeder Christ und jede Christin aufgefordert ist, den Mut zu haben, Randgebiete zu erreichen, wie Papst Franziskus es so nachhaltig in Evangelii Gaudium formuliert, liegt der Beginn unseres davon bestimmten Handelns in der Fähigkeit, das menschliche Erleben jener zu begreifen, die aus dem geordneten Miteinander herausfallen. Das gilt auch und insbesondere für Kinder, deren ethisches und religiöses Handeln sich erst herausbildet.
Doch wie eine Sprache für das Unaussprechliche finden? Claude K. Dubois wählt das Mittel der Bildsprache: Sie arrangiert skizzenhaft festgehaltene Momente zu einer Bildgeschichte und folgt in deren Sequenzierung der Bewegung von Akims Flucht.
Wie eine Naturgewalt kommt der Krieg über das schlichte Leben des Jungen, als ein aschefarbener Wirbelsturm am Horizont auftaucht und ihm erste Detonationen folgen. Irritiert bleibt Akim in der Trümmerlandschaft zurück, bis er unvermittelt an der Hand genommen und mit Flüchtenden mitgerissen wird. Dann jedoch passiert, was Akims weiter Geschichte bestimmt: Er verliert die Hand jenes Erwachsenen, an den er sich geklammert hat und bleibt wortwörtlich mutterseelenallein zurück. Von diesem Moment an fokussieren die Bilder auf die Einsamkeit und das Verlorensein Akims, der in ganz unterschiedliche Szenarien des Kriegsgeschehens gerät. Als würde sie das Geschehen dokumentarisch begleiten, hält die Illustratorin diese Szenen in ihren Bleistiftzeichnungen fest, die in ihrem raschen Strich den jeweils einzelnen Moment zu fassen und zu konservieren versuchen – und ihn dennoch in seiner Flüchtigkeit belassen. Als Akim sich einer Flüchtlingsgruppe anschließen kann, werden diese Momentaufnahmen zunehmend als modernes Exodusgeschehen lesbar – wobei das Meer sich nicht teilt, sondern überfüllte Flüchtlingsboote an neue Ufer gelangen wollen.
„Rette mich, Herr, mit deiner Hand vor diesen Leuten, vor denen, die im Leben schon alles haben“, heißt es in Psalm 14. Mit den Geschehnissen im Flüchtlingslager rückt Claude K. Dubois ihre Geschichte ins Zentrum medialer Alltagserfahrungen der westlichen Welt und zeigt auf berührende Weise das Ausmaß der Trauer, die Akims Leben bestimmt: Egal ob inmitten anderer Kinder, im Spiel oder alleine in den Bildraum gesetzt – er vermisst sein früheres Leben und seine Eltern.
In der Traumatherapie ist es wichtig, die Aufarbeitung existentieller Erlebnisse dieser Art immer positiv einzubetten. Und so wird auch hier Akims Erleben von einem harmonischen Beginn und einem versöhnlichen Ende umrahmt: In der letzten Bildsequenz findet Akim seine Mutter wieder – und mit ihr jene Heimat, Geborgenheit und Zugehörigkeit, auf die jedes Kind ein Recht haben sollte.
Heidi Lexe
Claude K. Dubois erhält für ihr außergewöhnliches Kinderbuch den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2014. Der Preis wird von der Deutschen Bischofskonferenz ausgeschrieben und von einer Fachjury unter dem Vorsitz von Weihbischof Robert Brahm an Bücher vergeben, die religiöse Erfahrung vermitteln, Glaubensweisen erschließen und christliche Lebenshaltungen verdeutlichen. Heidi Lexe, Leiterin der STUBE, gehört dieser Jury seit 2011 an.
Dem Preisbuch wird eine Empfehlungsliste mit 14 weiteren ausgewählten Büchern zur Seite gestellt. Die jeweiligen Bücher wurden von der STUBE bereits alle in der Broschüre "Seitenweise Kinderliteratur 2013" vorgestellt.
Eine Zusammenstellung der Bücher der Ehrenliste mit den Annotationen der STUBE finden Sie >>> hier
Die offizielle Präsentation des Preises und seiner Geschichte, des Preisbuches, der Ehrenlistenbücher und der Jury finden Sie auf der Website des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises
Claude K. Dubois wird den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2014 am 7. Mai in Bonn entgegennehmen.
Ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit religiösen Aspekten in der Kinder- und Jugendliteratur steht auch der Studientag "Arche Brot und Christentum", den die STUBE am 28. März unter anderem in Kooperation mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuch-Preis veranstaltet. Das Detailprogramm finden Sie
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