Booklet im April

Marie Gamillscheg / Anna Süßbauer: Café Käfer. Leykam 2024.
Elisabeth Steinkellner / Michael Roher: Heupferdchen, hüpf! Tyrolia 2024.
Krabbler am Weg in den Frühling
Miniaturwelten sind von der Kinderliteratur schon immer mit großem Interesse in den Blick genommen worden: Die versteckten Orte in Baumhöhlen und Blumenkelchen, hinter Dielen und unter Treppen werden dabei zu Handlungsräumen, in denen die kleinsten der Kleinen ihre Abenteuer erleben – vom Däumelinchen über die Biene Maja bis zu den Borgern oder Heinzelmännchen. Doch gerade Insekten eignen sich aufgrund ihrer Größe und Vielfalt, insbesondere aber durch ihre beträchtliche Anzahl auf besondere Weise, um eine Miniaturwelt wimmelnd zu beleben und dabei menschliche Charakterzüge zu spiegeln.
Hat sich im Animationsfilm „Antz“ noch die enervierte Ameise mit der Stimme von Woody Allen auf die Therapie-Couch gelegt, war es im Insektenkrimi „Die Wanze“ von Paul Shipton ein Käfer mit dem Spitznamen Bug Muldoon, der im Hard Boiled-Stil eines Sam Spade im Garten ermittelt und dabei immer wieder auf einen Drink in Dixies Bar vorbeigesehen hat. Wichtigste Regel für den Insektenbesuch in Dixies Gartenbar: Was nicht auf der Speisekarte steht, wird nicht verspeist.
Zu einer prekären Fress-Situation dieser Art kommt es im Café Käfer nur einmal; als sich nämlich die Marienkäfer futtertechnisch an jenen Läusen vergreifen wollen, die den Ameisen als Haustiere (und Honigtau-Spender) dienen. Die allgemeine Aufregung, für die auch ein Zwist zwischen (zugewandertem) Japankäfer und (heimischem) Hirschkäfer sowie Genderfragen zwischen Regenwurm und Wanze sorgen, wird von Käfer Karli, der Cafébesitzerin, mit einer kleinen Polit-Ansprache über Insekten-Diversität befriedet. Denn schließlich soll es im Café Käfer darum gehen, die unterschiedlichsten Insekten-Mentalitäten zu einer zünftigen Insekten-Sause zusammenzuführen und damit ein lebendiges Zeichen gegen die zunehmende Leere am Fuße des Menschenhauses zu setzen.
Marie Gamillscheg und Anna Süßbauer verorten ihre Gartencafé-Story im Bilderbuchformat zwischen dem bunten Treiben, zu dem nur die Vielfalt führt, und dem ökologischen Seufzer, der sich in einem Menschenfuß verdichtet. Rasch wäre es vorbei mit dem Café Käfer, würde dieser Fuß nur einige Zentimeter weiter links auftreten. Dann wäre Schluss mit lustig und der unausgesprochenen Parole, die der bunten Party eingeschrieben ist: Insekten sind für den Menschen und das ihn umgebende Ökosystem wichtig. Biologische Besonderheiten der Cafébesucherinnen werden daher immer wieder transformiert ins Geschehen eingebracht – sei es als Animosität zwischen Wildbienen und Honigbienen oder als Nachtaktivität der Partygäste, für die das Café nicht nur einem krabbeligen Frühjahrsputz unterzogen, sondern auch mit allerlei Leuchtkörpern ausgestattet wird. (Das Team Ameise zum Beispiel macht mit seinem Talent für innenarchitektonische Details kleine Centmünzen zu Discolichtern.) Dazu Urwald-Sounds und Starkregen-Beats aus der Jukebox und schon steht dem krabbeligen, summenden Miteinander nichts mehr im Weg.
Der explizite Fiktionscharakter samt aller menschlichen Zuschreibungen animaler Wesenszüge wird durch die Illustrationen betont, die der Feingliedrigkeit der Kerbtiere eine plakativ-effektvolle Absage erteilen. Gestreifte, gepunktete, vielfärbige Flächen werden auf charmante Weise zu kugeligen Insektenkörpern zusammengefügt und streichen die Materialität des Bild-Arrangements heraus. Farbintensiv werden Räume angedeutet und puppenhausartig mit einzelnen Requisiten bestückt, durch die das Café seinen ganz individuellen Charakter erhält und der Witz der Ereignisse herausgestrichen wird.
Heuschrecken und Grashüpfer tauchen bei der rauschenden Party nicht auf. Die Frage nach dem Warum? könnte ein Buchstart-Pappbilderbuch von Elisabeth Steinkellner und Michael Roher beantworten. Die beiden schicken das große und das kleine Heupferdchen auf den Weg – doch mit dem kindlichen Interesse am Balancieren, am Horchen, Schnuppern, Staunen und Sammeln sind einfach keine großen Hüpfer zu machen. Vielmehr scheint der Heupferdchen-Nachwuchs ganz und gar der Entschleunigung und Achtsamkeit verpflichtet: „Nicht in die Pfütze ruf das Große. / Doch es hilft kein Flehen: / Kleines wollte immer schon / mal im Wasser stehen.“ Ohne jede Gender- oder Diversitätsaufladung entsteht hier eine entzückende Kindergeschichte über die Aufregungen, die der Weg von hier nach dort bietet. Michel Roher wählt dafür dieselbe Farbfamilie wie Anna Süßbauer im Café Käfer: Magenta, Schattierungen von Grün und strahlendes Gelb weisen den Weg in den Frühling, der mit aufmunterndem Heupferdchen Hüpf! durch Collage- und Drucktechniken zu einer wunderbaren Welt einander überlagernden Farben und Formen wird. Insektiationell!
Heidi Lexe
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