Holly-Jane Rahlens: Stella Menzel und der goldene Faden
Aus dem Engl. v. Brigitte Jakobeit. Rowohlt 2013.
Holly-Jane Rahlens mit dem bereits kultigen Notenständer.
Irgendwo im Hintergrund beginnt im Rahmen eines Science-Experimentes eine Maschine zu rattern; die Schlange an der Theke des Kindercafés kommt dem Lesetreff gefährlich nahe; und eine Familie hat sich neben mir gemütlich zur Jause niedergelassen – kleines Nickerchen inklusive. Der Begeisterung über die Performance-Künste von Holly-Jane Rahlens kann dieser Messetrubel keinen Abbruch tun. Wie immer hat sich seit vielen Jahren in Berlin lebende Amerikanerin sich im schwarzen, wallenden Gewand vor ihrem Notenständer aufgebaut und präsentiert gestikulierend und intonierend ihr zuletzt erschienenes Buch.
Das goldene Lesebändchen, das aus dem Buch ragt, zieht sich titelgebend als wortwörtlicher goldener Faden durch den Roman selbst. Daran geknüpft ist eine Familiengeschichte über mehrere Generationen hinweg. Als haptische Realisation auf der Erzählebene hält dieser Faden ein Stück Stoff aus blauem Seidensatin zusammen. Wie die silbernenn Sterne, die ihn zieren, sind diesem Stoff die Lebensgeschichten von Stella Menzels Mutter, Großmutter und Urgroßmutter eingewebt – in verkehrter Reihenfolge wohlgemerkt. Denn die Reise des ursprünglichen Wandbehangs quer durch die Welt beginnt 1919 in St. Peterburg und führt über Danzig und Berlin nach New York. Der Wandbehang wird zum Vorhang, zum Himmel einer Wiege, zum Babydeckchen, zum Kleid, zur Bluse, zum Bolero, zur Schleife an Stella Alisa Menzels Strohhut, den sie trägt, als sie erstmals einen Jungen küsst.
Stellas Älterwerden hat Holly-Jane Rahlens bis zu diesem Zeitpunkt parallel geführt mit dem Schicksal der jüdischen Familie, das sich wortwörtlich am blauen Seidensatin abzeichnet. Religiöse Alltagsvollzüge werden dabei zwanglos mit historischen Kontexten verknüpft, der humorige Blick auf das Leben eines jungen Mädchens bekommt Bodenhaftung durch die Erzählungen ihrer Großmutter. Es entwickelt sich ein ganz spezifisches Geschichten-Ritual zwischen den beiden, das stets von einer neuen Deformation des Seidenstoffes ausgeht und den a-historischen Blick von Stellas Mutter mit dem Festhalten an Familientraditionen durch die Großmutter zusammenführt.
Holly-Jane Rahlens weiß einmal mehr mit Situationskomik und Fabulierlust zu erzählen, wenn sie Stellas Alltag schildert – und ihre Freundschaft zu Mats, die durch eine Neue in der Klasse ins Wanken gerät und letztlich bei einer Riesenradfahrt wieder ins romantische Lot kommt. Wie verzaubert erscheint Stella in dieser Situation und Holly-Jane Rahlens schließt damit den Kreis zum Beginn ihres Romans, der märchenhaft anmutet und dennoch höchst geerdet ist: „Es lebte einmal ein Mädchen namens Stella Alisa Menzel, das besaß ein ziemlich großes Stück verzauberten Stoff.“
Verzaubern kann Holly-Jane Rahlens allein durch ihre Art Vorzulesen. Wer sich davon überzeugen will, darf sich schon jetzt den 8. Mai 2015 notieren. Da wird Holly-Jane Rahlens bei der STUBE-Fernkurstagung in Strobl zu Gast sein. Bereits jetzt zählen wir die Tage …