STUBE-Freitag: Menuett
>>Und die Wolken fallen fast aus den Wolken <<
Verena Hochleitner bei ihrer finalen Illustrations-Performance zu Barbara Frischmuths Bilderbuchtext "Der Pluderich"
Die STUBE-Freitage stehen dieses Semester unter dem Motto „Aus der Reihe tanzen..." und finden deshalb – meistens – disloziert statt. Vom zuletzt erklommenen Dach des Naturhistorischen Museums ging es diesmal – auch – in den tiefen Keller der Alten Schmiede. Warum? Weil in Zusammenarbeit von STUBE, Alter Schmiede und anderen Institutionen Barbara Frischmuth gehuldigt wurde.
Das dreitägige Symposion „Und die Wolken fallen fast aus den Wolken" befasste sich mit Barbara Frischmuths Kinder- und Jugendliteratur und mit Kindheit in ihrer Literatur. Am Beginn stand der Befund, dass Kinder- und Jugendliteratur in Forschung und Literaturkritik, aber auch in der Rezeption durch Leser*innen und Autor*innenkolleg*innen als etwas Anderes, fast schon Fremdes und von der Allgemeinliteratur Unterschiedenes wahrgenommen wird. Entsprechend ließ sich auch feststellen, dass das Erzählen über und für Kinder in Barbara Frischmuths Werk von ihrem Erzählen über und für Erwachsene unterschieden wird und bei weitem nicht dieselbe Beachtung findet. Nicht zuletzt deshalb war ein allumfassender Brückenschlag, errichtet in den Beiträgen von Autor*innen und Wissenschaftler*innen, das Ziel des Symposions.
Zur Eröffnung veranschaulichten Heidi Lexe und Elisabeth Steinkellner den Kontext, in dem Barbara Frischmuths Kinder- und Jugendliteratur eingeordnet und fortgeschrieben wird. „Als ob" es viel einfacher wäre, für junges Publikum zu schreiben und „als ob" der Diskurs darüber in eine abgeschiedene Welt gehörte. „Cross the border" und „close the gap" findet in der Populärkultur statt, nicht aber im allgemeinen literarischen Diskurs.
Zur Frage von Kindheit und Literatur bzw. Kindheit in der Literatur sprach Ernst Seibert über die Variationen des Themas Kindheit bei Barbara Frischmuth und die poetologische Hilflosigkeit gegenüber vermeintlichen Kinderbüchern. Dabei wies er auf den Begriff des „dissidenten Kindes" hin, der sich gegen eine Infantilisierung von Kindheit stemmt.
Paulus Hochgatterer und Gabriele Kögl gewährten im Gespräch mit Heidi Lexe Einblick in das Erzählen von Unsagbarem und darüber, wie sie in ihren Werken eine schreckliche Kindheit erzählbar machen und welche Rolle vom/von der Lesenden zu füllende Leerstellen dabei spielen.
Cornelius Hell zeichnete sein persönliches und charmantes Selbstportrait mit Barbara Frischmuth, bevor die Autorin selbst im Gespräch mit Klaus Reichert und einer Lesung aus „Macht nix oder Der Lauf, den die Welt nahm" den Abschluss des ersten Tages gestaltete.
Der zweite Tag des Symposions beleuchtete zunächst das Thema Geschlecht und Alterität. Anna Babka schlüsselte dabei anhand von „Ida und Ob" die Konstruktion von Geschlecht und die Selbstermächtigung durch Neu-Benennung auf. Dabei sind Rollenbilder und binär kodierte Rollenzuschreibungen ein wesentlicher Faktor. Claudia Sackl sprach über Konstruktion und Dekonstruktion des Anderen und Eigenen, wie die Begegnung mit dem Fremden oft mehr über die eigenen Bilder davon aussagt und welche Rolle der Begriff des „Othering" dabei spielt. Zum Thema Genre/Überschreitungen steuerte Oliver Ruf seine medienkulturelle Spurensuche in Barbara Frischmuths Literaturästhetik bei, indem er auslotete, welches Potential in Literatur und Medien steckt und was intermediale Literaturwissenschaft leistet. Stefan Slupetzky zeichnete ein absurd komisches Bild der Etikettierungen im Literaturbetrieb, der Schreibende all zu schnell und erbarmungslos abstempelt. Peter Clar und Heinz Janisch nahmen Frischmuth-Texte zum Impulsgeber für ein Lyrik-Gipfeltreffen. Annalena Stabauer und Andreas Jungwirth beschlossen den zweiten Tag mit einer Präsentation des Hörspielschaffens von Barbara Frischmuth.
Am dritten Tag übersiedelte das Symposion ins Depot, wo es sich drei weiteren Themen widmete: Wirklichkeitsräume und Kindheit wurden wissenschaftlich von Lena Brandauer hinsichtlich der Kind-Erwachsenen-Beziehungen erforscht. Sie stellte dabei hierarchische Strukturen mit der Forschung zu Age – Gender – Sex in Zusammenhang. Literarisch wurde der Wirklichkeitsraum von Elias Hirschl mit reichlich Sinn für Absurdes durchwandert. Und im Anschluss sprach Silvana Cimenti über die Verschmelzung von fantastischen Erweiterungen und realen Räumen.
Literatur meets Naturwissenschaft hieß es für Christine Lötscher, die das Fadenspiel motivisch aufnahm, um eine Verbindung zwischen Frischmuth und Donna Haraway herzustellen, und – wie kann es anders sein – für Andrea Grill, die ihre Expertise zu Fischotter, Maus und Kröte einbrachte.
Topografie und Intermedialität war das abschließende Thema des Symposions. Verena Stauffer las ihre Fortsetzung des „Plusterich" vor. Marlene Zöhrer referierte zur Bilderbuchkunst im Werk von Barbara Frischmuth und sprach dabei ein Thema an, das im Lauf des Symposions auch deutlich wurde: Die Scheu der Germanist*innen vor der Bildhaftigkeit der Kinder- und Jugendliteratur. Dabei wurde deutlich, dass die interdisziplinären Brücken der KJL zur Kunstgeschichte und zu den Medien einer eigenen Expertise bedürfen, wie sie glücklicherweise in der STUBE gepflegt wird. Zum fabelhaften Abschluss der Tagung gab es eine Performance von Verena Hochleitner zum „Pluderich".
Drei Tage voll gepackt mit wissenschaftlicher Expertise und künstlerischem Esprit, gestaltet von einem ebenso kompetenten wie motivierten Team, hinterlassen das Publikum reich beschenkt. Besonders berührend sei auch berichtet, dass die große Barbara Frischmuth mit Energie, Gelassenheit und unendlicher Freundlichkeit alle drei Tage anwesend und zu jedem Gespräch bereit war.
Nach so viel Auswandern beim Aus-der-Reihe-tanzen bekommt man ein bisschen Heimweh. Zum Glück ist der nächste STUBE-Freitag wieder in der STUBE.
Bericht von Alexandra Holmes