STUBE-Freitag am 8. November 2024: Erinnern & Essen
Zu Gast: Kathrin Steinberger im The Stepford Studio
Dieser STUBE-Freitag war klein und groß zugleich: Klein und fein der Rahmen, weil im Stepford Studio nur fünfzehn Teilnehmer*innen Platz haben (die Plätze wurden nach dem first come-first serve-Prinzip vergeben); großartig und groß alles andere, weil eine Zeitreise in mehreren Etappen zusammenführte, was zusammengehört, auch wenn sich das nicht auf den ersten Blick erschließt.
Was das alles mit Kathrin Steinberger, „Männern mit hinnigen Haxen“, Rosen und der Germanistik zu tun hat, wird gleich enthüllt. Zuvor aber ist spontaner Applaus angebracht, denn Kathrin Steinberger hat für Der Rosengarten. Rosa, der Krieg und das Niemandsland nicht nur 2018 den Kinder- & Jugendbuchpreis des Landes Steiermark für das Manuskript erhalten, sondern auch 2024 den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien. Wir gratulieren herzlich!
Nach dem einem Privatissimum ähnelnden Ankommen im schicken Stepford Studio erklärte Heidi Lexe den Zusammenhang: Im Sommersemester 2002 fand sich an der Germanistik der Universität Wien in ihrem Proseminar eine illustre Runde Studierender ein, der neben Kathrin Steinberger auch Kevin Ilse (http://blog.thestepfordhusband.at) angehörte, in dessen Leben seit geraumer Zeit die Germanistik dem Kochen, Fotografieren und Food-bloggen Platz gemacht hat.
Er fungierte als Gastgeber und gemahnte mit seinem erlesenen Catering wohl an die kulinarisch besten Zeiten des „Rosengartls“. Befürchtungen hinsichtlich Kriegsbrot, Ersatzkaffee und ähnlicher Mangelerscheinungen waren also unbegründet.
Im Werkstattgespräch ging es zunächst um den Ersten Weltkrieg, der in der Kinder- und Jugendliteratur stark unterrepräsentiert ist. Kathrin Steinberger, bekannt für ihre fundierte Recherchearbeit, erwähnte Quellen wie die Ausstellung „Es ist Frühling und ich lebe noch“ in der Wienbibliothek oder ANNO, die Datenbank historischer Zeitungen und Zeitschriften an der Österreichischen Nationalbibliothek. Die komplexen Ursachen des Ersten Weltkriegs und in welcher Weise die Geschehnisse Vorstufe zum Zweiten Weltkrieg waren, faszinierten sie dabei besonders.
Neben der Frage nach den Formen historischen Erzählens und dem „Eindampfen“ der Informationsfülle auf die Facetten, die die Autorin letztlich über ihre Figuren und die äußeren Umstände preisgibt, ging es um das Erzählen einer Kriegsgeschichte, die nicht im Krieg spielt. Dabei steht ihre Hauptfigur Rosa, die aus dem Waisenhaus als Kostkind an eine verwitwete ehemalige Wirtin vermittelt wird, für das Ausgeliefertsein eines jungen Menschen, für die Hilflosigkeit einer empathischen Person und für den Gewissenskonflikt zwischen Unrecht, Lüge und ausgleichender Gerechtigkeit gegen alle Regeln. Die Gier und Verlogenheit der Wirtin, der Mangel an Solidarität, die man sich wohl auch erst leisten können muss, und die trotzt allem möglichen Freiräume sind der Hintergrund für Rosas Emanzipation. Simon, der am Bein schwer verletzte Fahnenflüchtige, fast noch ein Kind wie Rosa auch und familiär genauso gestrandet, eröffnet die Perspektive nach außen und in eine vorstellbare Zukunft.
Die politische Situation und auch eine dezente Vorschau auf die folgenden Jahre bilden die beiden Ärzte zwischen akademischer Elite und Wohlfahrtsmedizin ab, aber auch die miterzählte Zeitungslandschaft im Spannungsfeld von Propaganda und Aufklärung.
Während sich in Kriegsschilderungen Pathos und Realismus oft ein waghalsiges Tauziehen liefern, beherrscht Kathrin Steinberger den Balanceakt, so nüchtern wie möglich zu erzählen, ohne in das eine oder andere zu kippen. Unfreiwillige Parallelen zur gegenwärtigen Situation in der Ukraine (der Text entstand bereits vor Kriegsbeginn) können mitgelesen werden und sind in ihrer Sachlichkeit erschütternd.
„Erinnern & Essen“ war das Motto dieses STUBE-Freitags. Beides wurde aufs beste eingelöst. Um die einzig offene Frage, nämlich wer der zweite Mann „mit hinnigem Haxen“ ist, zu klären, muss man Kathrin Steinbergers „Manchmal dreht das Leben einfach um“ lesen. Und wenn man schon dabei ist, sollte man auch „Die Brüder von Solferino“ nicht links liegen lassen. „Es warat“, wie man in Wien sagt, „wegen dem historischen Erzählen“ und wegen eines preisgekrönten literarischen Schaffens.
v.l.n.r. Kevil Ilse, Kathrin Steinberger, Martina Rényi und Heidi Lexe. Einst im Proseminar, heute beim STUBE-Freitag
Ein Bericht von Alexandra Holmes