Thema: Wer braucht schon Apps? Bücher, die Aktionen fordern.
Jörg Mühle: Nur noch kurz die Ohren kraulen?
„Social reading“ und interaktive Kinderbücher liegen im Trend. Neben der elektronischen Interaktivität entwickelt sich zusehends auch eine rein haptische Methode des Mitmachens, die bereits die Kleinsten zum Vorantreiben der Handlung und zum Be-Greifen des Mediums Buch einlädt. Es wird geschüttelt, geklopft, umgedreht oder – wie in diesem Fall – gestreichelt. Schon das Cover des Pappbilderbuches bietet Anlass zum Verlieben: „Nur noch kurz die Ohren kraulen?“, fragt Hasenkind, fest seine Decke umklammernd. Will man der Aufforderung folgen (und ja – man will), stellt sich heraus, dass der Weg zum Schlafengehen doch ein bisschen länger ist. Hasenkind muss sich noch umziehen, der Polster muss noch zurechtgeklopft und die Bettdecke gerichtet werden. Seite für Seite können kleine Betrachter*innen das Geschehen vorantreiben: „Die Zähne sind geputzt. Der Schlafanzug liegt bereit. Klatsch in die Hände – schon hat es ihn an“, heißt es da, oder: „Super! Jetzt kann Hasenkind ins Bett! Sag Simsalabim – schwupps liegt es drin.“ Mit verschiedenen Aktionsaufforderungen wird der Weg vom Bad zum Schlaf geebnet. Die sympathische Hauptfigur, die pastellwarmen Hintergrundfarben und die einfache, zärtliche Sprache schaffen eine wohlige Atmosphäre, die Sehnsucht nach dem eigenen Bett weckt.
Moritz 2015
22 S.
Christie Matheson: Funkle, heller Stern!
Dem Trend entsprechend hat auch Loewe mit „Naturkind“ eine auf Umweltverträglichkeit ausgelegte Reihe entwickelt, in der dieses außergewöhnliche Buch entstanden ist. Müde sehen die aus Papier geschnittenen Tiere auf dem Cover aus. Hier und am Vorsatz herrscht tiefe Nacht, sanft werden Betrachter*innen aufs Schlafen eingestellt – aber erst muss noch der Tag verabschiedet werden! In Pastelltönen beginnt die Dämmerung: „Sage zuerst den letzten Sonnenstrahlen auf Wiedersehen.“ Mit jeder Seite wird der aquarellgestaltete Himmel ein wenig dünkler und vieles ist zu tun. Wenige Schnittfiguren akzentuieren die voranschreitende Nacht, auch der Text ist stark zurückgenommen. Tiefes Blau, seit der Romantik die Farbe der Unendlichkeit, dominiert die Seiten, erleuchtet nur von den Lichtern, die die Betrachter*innen „anzünden“ – Glühwürmchen zuerst, dann, wenn das Reh in den Schlaf gestreichelt wurde, die Sterne und der Mond. Eine schwarze Doppelseite zeigt anschließend die Mitte der Nacht an, die aber nicht das Ende des Buches ist: Nach der Nacht darf man sich freuen auf den „Zauber eines neuen Tages“.
Loewe 2015
48 S.
Die Krickelkrakels: Das bewegte Buch
Am Anfang war das Ei – pardon, zwei Eier: „Wer will denn da schlüpfen? Klopfe vorsichtig auf die Eier und finde es heraus.“ Es sind … ein Dinosaurier (der große Bo) und ein Vogel (der kleine Bert)! Wohin ihr Weg sie führt? Überallhin! Die Krickelkrakels (ein elfköpfiges Künstlerkollektiv) zaubern das Publikum von einem (abgeschlossenen) Abenteuer ins nächste, und jedes Mal können die Betrachter*innen aktiv in die Handlung eingreifen bzw. müssen das sogar – denn wenn sie den Frosch nicht küssen, wie kann er sich dann je zurück in einen Prinzen verwandeln? Ständig werden Leser*innen und Zuhörer*innen zur Mithilfe aufgefordert, was zusätzlich zu den ohnehin lustigen Szenen den Lesespaß erhöht. In bewährter Krickelkrackelmanier wird nicht einfach nur geschüttelt, sondern auch noch gesungen, geklopft, gestampft, gepustet, gedichtet und vor allem viel gelacht. Am Ende des Buches sind wir wieder beim Ei – und alles kann von vorne beginnen …
Oetinger 2011
80 S.
Ramadier; Bourgeau: Da kommt der Wolf!
„Blätter um! Halt das Buch schief! Dreh es auf den Kopf! Puuh! Der Wolf ist weg!“ In diesem Buch gibt es keine Helden, es sind die Leser*innen, die die Geschichte vorantreiben. Im Klartext: die olivgrün-knallgelben Seiten so oft umblättern und schütteln, bis der Wolf aus der Bildfläche fällt. Was sich als gar nicht so einfach erweist, denn der tierische Bösewicht par exemple (der hier nichts als seine klischeehafteste Rolle spielen darf) ist hartnäckig. Was am Buchrücken wie ein Zitat aus dem Text aussieht, ist in Wahrheit die letzte Seite. Erst das Zuschlagen des Buches vertreibt den Wolf – bis zum nächsten Mal, denn das Spiel gefällt („Fangen wir gleich noch mal von vorne an?“). Der Zugang zum Medium Buch wird hier sehr haptisch gelegt: Es geht darum, das Buch anzugreifen, umzudrehen, sich mit Form und Funktion der Seiten vertraut zu machen. Und natürlich darum, den Wolf zu besiegen.
Moritz 2014
24 S.
Théo Guignard: Labyrinthe
Beim ersten Aufschlagen des Buches geht es wahrscheinlich noch gar nicht darum, den Weg durch die kleinteilig, verwinkelten Labyrinthe zu finden. Die witzige Idee des Buches, die unterschiedlichen Fantasiewelten und der sich ins Aberwitzige steigernde Schwierigkeitsgrad regen dazu an, einmal ganz durchzublättern. Das Konzept ist nicht neu: Neben Kreuzworträtsel und Sudoku darf das Bleistiftlabyrinth in der beliebten „Rätselrevue“ nicht fehlen. Innovativ ist jedoch die Verbindung mit der ästhetischen Gestaltung, die an den Clip-Art-Stil der 1990er-Jahre erinnert und die dieses Buch aus den Niederungen der trivialen Ratespaßecke in den Bereich der avantgardistischen Illustrationskunst hebt. Und so geht es auf kunstvolle Weise von einer römischen Palastanlage in eine bunte Mikrobenwelt oder auch an einen maßlos überfüllten Adriastrand. Das ständige Spiel mit der Perspektive lädt zu immer neuen Betrachtungsweisen ein und so sieht man sich aus der Vogelperspektive dem labyrinthischen Gang zwischen Badetuch, Sonnenschirm und Luftmatratze ausgesetzt.
Jungbrunnen 2017.
34 S.
Andy Lee / Heath McKenzie: Finger weg von diesem Buch
„Lies was anderes!“ steht auf dem Schild, das ein dürres blaues Monster im Graffiti-Stil auf dem Cover hochhält. Beim Aufschlagen werden die Leser*innen dann weiter direkt zum Lektüreabbruch aufgefordert. Auf keinen Fall soll weitergelesen werden! Bitte nicht umblättern! DAs Verbot, das mittels Leser*innenansprache nachdrücklich in verschiedenen Modi von bittend über flehend bis hin zu drohend vermittelt wird, macht natürlich erst recht Lust, herauszufinden, warum wir es nicht tun sollten. Dass das Monster um seine Existenz fürchtet, wird erst nach und nach klar. Ein witziges Buch, das metafiktionales Erzählen ebenso gut inszeniert, wie die schrillen und schrägen grafischen Möglichkeiten dieser zeitgenössischen Illustration.
Aus dem Engl. v. Christine Spindler.
arsEdition 2017.
26 S.
Anna Clara Tidholm: Klopf an!
Wenig eigene Aktion, aber viel zu entdecken gibt es bei Tidholms Mitmachbuch: Der kleine Junge, den man auf dem Cover von hinten sieht, ist im Buch verschwunden, die Betrachter*innen nehmen seine Position ein und werden aufgefordert, an die blaue Tür zu klopfen. Im Raum dahinter versteckt sich ein anderer Junge und – eine rote Türe. Auch hier muss angeklopft werden … Sechs Türen hat das Haus, sechs Räume, bewohnt von Menschen und Tieren, die sowohl als Haustiere als auch in anthropomorphisierter Gestalt auftauchen. Szenen des Alltags, die jedem Kind vertraut sind. Die letzte Türe, wieder eine blaue, führt nach draußen. Unbemerkt ist die Nacht hereingebrochen, unausgesprochen aber klar ist die letzte Aufforderung: Schlafengehen! Auch ohne viel Bewegung kann viel weitergehen: In den textuell wie graphisch zurückgenommenen Sequenzen bleibt viel Raum für eigene Geschichten. Das repetitive „Klopf an“ bietet einen Rhythmus, an den sich schon die Kleinsten anlehnen können.
Hanser 1999
20 S.
Michael Escoffier / Matthieu Maudet: Bitte aufmachen!
„Klopf! Klopf! – Wer ist da?“ Das ist der bekannte Beginn vieler Witze und nun auch der eines Pappbilderbuchs, das sehr gekonnt mit Überraschungseffekten spielt und Nacht-Angstgefühle humoristisch umkehrt. Erzählt wird die Geschichte vom Hirsch, der beim Hasen anklopft und um Einlass bittet, weil er vom Wolf verfolgt wird. Sekunden später klopft auch der Wolf, weil er wiederum von einem Monster verfolgt wird. Der Einlass wird ihm von Hase und Hirsch – natürlich – verwehrt, aber da ist schließlich noch die Einstiegsmöglichkeit durch den Kamin … Als Hase und Hirsch nach draußen flüchten, sehen diese sich plötzlich dem tatsächlichen (?) Monster gegenüber, was sie zur wilden Umkehr bewegt. Nun rufen sie umgekehrt flehentlich zum Wolf: „Bitte aufmachen!“ Die titelgebende Aufforderung „Bitte aufmachen!“ ist doppeldeutig auch ans Lesepublikum gerichtet, das beim Aufklappen der mehrschichtigen, stabilen Pappseiten viel zu entdecken hat. Da öffnen sich Fenster und Kellerräume, und so manches, was Angst macht, zeigt sich beim Umblättern und genauen Hinschauen in überraschender Vertrautheit. Mit viel Mut zum großflächig eingesetzten Schwarz und viel Augenzwinkern wird textlich ausschließlich in Sprechblasen und onomatopoetischen Ausdrücken erzählt. Ein Klopf!-Klopf!-Spaß für (fast) jedes Alter!
Moritz 2014
52 S.
Andreas Nemet / Hans-Christian Schmidt: Gwendolin Giraffenkind
Dass die Identifikation mit einem Tierkind bei Problemen des kindlichen Alltags hilft, haben schon viele Bilderbücher bewiesen. Selten aber war die rührende Anteilnahme, die wortwörtlich in die Hände der Kinder gelegt wird, so direkt: Das kleine Giraffenkind Gwendolin ist krank „hängt am Tisch, nichts geht geschwind. Schlaff sind ihre Augenlider, auch die Ohren hängt sie nieder“, erfahren wir in den stimmigen Reimen. Aber besorgte Eltern und ebenso empathische Betrachter*innen wissen Rat und die vielen kleinen Ausziehklappen werden zur besten Diagnose bzw. Medizin: Fiebermessen im Po (39 Grad!), Zunge rausstrecken („Alles rot!“), Tee trinken („Schlafen, liebe Gwendolin, ist die beste Medizin.“) oder zudecken können durch die Papier-Mechanik des Bilderbuchs ganz konkret vollzogen werden. Bis zur Genesung, als Gwendolin aus dem Bett hüpft und nur die Eltern verdächtig müde aussehen. Ein entzückendes Pappbilderbuch für die Kleinsten, das seinen Reiz vor allem auch daraus bezieht, die eher unmenschlich aussehende Giraffe in ganz und gar menschliche Situationen zu stecken.
Moritz 2014
12 S.
Isabel Pin: Wenn ich ein Löwe wäre
Schon die Buchform macht neugierig: Da ist ein Griffloch durch jede Pappseite gestanzt, und ein Halbkreis in der Mitte des Buchrückens – dort, wo das Gesicht des titelgebenden Löwen wäre. Öffnet man das Buch, zeigt sich zunächst ein irritierendes Bild, das sich mit gesichtslosen Katzen, Ziegen, Vögeln und anderen Tieren wiederholt. Begleitet wird jedes Bild von drei kurzen Zeilen: „Wenn ich ein Löwe wäre, würde ich brüllen, damit alle zu mir kommen.“ Moment – wenn ich ein Löwe wäre? Jetzt ist es an der Zeit, sich an die Griffe zu erinnern: Richtig gehalten, wird aus dem Buch eine Maske, und aus der Löwenmähne schaut plötzlich ein Kinder- oder Erwachsenengesicht heraus. Mit kräftigen Farben und einfachen Formen führt Isabel Pin durch entlegene Landschaften, über Wasser, Land und Luft. Das letzte Bild zeigt einen menschlichen Kopf zum Durchschauen: „Wenn ich ein Mädchen oder ein Junge wäre, würde ich dir was Lustiges erzählen, damit du ganz laut lachst.“
Bajazzo 2015
22 S.
Sarah Neumann / Renate Habinger: Ich male mir ein seltsames Tier
An einem grauen, langweiligen Tag nimmt die kindliche Protagonistin kurzerhand selbst die Zügel in die Hand. Nur Stift und Pinsel braucht es und schon ist ein neuer bunter Spielgefährte erfunden. In flotten gereimten Verszeilen erzählt die junge steirische Kinderbuchautorin von kindlicher Schöpfungs- und Imaginationskraft. Die verspielte Kreativität der Geschichte weiß Renate Habinger in Ihren farben- und detailreichen Illustrationen aufzugreifen. Das „seltsame Tier“ wird darin zu einem Fabelwesen, dessen Körper an einen Malkasten erinnert und dessen gesamte Technik- und Farbpalette voll ausschöpft. Wenn am Rande der Doppelseite noch die Stifte und andere Malutensilien herumliegen, ist es, als würde man auf den Maltisch des kleinen Mädchens blicken, von dem sich das Fabeltier loslöst und in die Wirklichkeit des Mädchens eintritt. So regen die Erzählung und der beigelegte Malbogen dazu an, selbst kreativ zu werden.
NordSüd 2017.
32 S.
KeinBuch. 86 Dinge, die du schon immer mit einem Buch tun wolltest, aber nie durftest
Ein Buch ist nicht zum Lesen da. So in etwa könnte das Motto von "KeinBuch" lauten. Denn auf knapp 180 Seiten können, nicht zuletzt die bibliophilen Leser*innen einmal nach allen Richtungen über die Stränge schlagen und werden dazu angehalten, Dinge mit diesem Taschenbuch durchzuführen, bei denen man normalerweise nur beim Gedanken daran die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Einige Beispiele: "Lass dein Haustier am Buch knabbern.", "Wie viele Buntstifte kannst du in eine Hand nehmen? Male etwas mit allen gleichzeitig" oder "Benutze das Buch als Sitzunterlage im Gras". So wird, Doppelseite für Doppelseite, das zu Beginn noch relativ unbefleckte Buch verunstaltet – das aber nicht ohne Ziel, denn: "Das fertige Buch kann Spuren von Kunst enthalten." Und so verwandelt sich das Buch vom respektvoll und sorgsam gepflegten Schatz zur Spielwiese für lustvolle Zerstörung und ungezügelte Auswüchse der eigenen Kreativität. Resultate anderer tätig gewordener Leser*innen können im Internet unter http://www.keinbuch.com/ begutachtet werden.
mixtvision 2009
176 S.
Zum Mitmachen wird auch im Zuge des MINT-Programms des Österreichischen Bibliothekswerke eingeladen. Im Zuge dessen stellt die STUBE jedes Monat ein MINT-Buch vor, dass sich unter den Schlagworten LESEN – SPRECHEN – TUN mit einem Buch aus den Kategorien Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie beschäftigt. Zu den gesammelten MINT-Büchern geht es >>> hier.