Thema: Spiele-Lesen: Außergewöhnliche Videospiele für jeden Geschmack
Innerhalb der Medienlandschaft fristeten Videospiele lange eher ein Nischendasein: Zumindest breitenwirksam wurden sie gerne nur anhand der beiden Maßstäbe Gefahrenpotenzial (sprich Ego-Shooter) und didaktische Nutzbarkeit (sprich Lernspiel) gemessen. Die Branche hat sich dessen ungeachtet über Jahre hinweg vergrößert, professionalisiert und künstlerisch ausdifferenziert; und langsam aber doch wendet sich ihr jetzt auch eine größere Öffentlichkeit zu. Videospiele haben ihre ganz eigenen Erzählweisen entwickelt, die von der visuellen, akustischen und sprachlichen Gestaltung ebenso leben wie von der Interaktion mit und unter den Spieler*innen. Sie unterhalten selbstverständlich, erfordern aber genauso Aufmerksamkeit, Kreativität, häufig auch Taktik und Empathie. Außerdem erreichen sie oft Zielgruppen, die vor traditionellen Medien eher zurückscheuen. Allen Facetten des Videospiels Rechnung zu tragen, ist mit dieser Liste zwar nicht möglich, aber sie soll zumindest ein paar der narrativ und ästhetisch spannendsten Titel der letzten Jahre vorstellen, die sich besonders auch an Kinder und Jugendliche richten. Sie ist sozusagen eine erste Auslese zum Schmökern und Bekanntmachen – und vielleicht inspiriert sie ja auch dazu, das eine oder andere Spiel einmal selbst auszuprobieren!

Broken Age (2014)
Die Leben der beiden Jugendlichen Vella und Shay könnten verschiedener nicht sein – sie scheinen sogar in unterschiedlichen Welten angesiedelt. Vella wohnt mit ihrer Familie im beschaulichen Örtchen Zuckerdosendorf, sieht ihr Leben aber von einer uralten Tradition bedroht: Alle 15 Jahre werden die Dörfer in der Umgebung von riesigen Monstern, den sogenannten Mogs, die jenseits des mysteriösen Pestdamms leben, heimgesucht. Um diese zu besänftigen, muss jedes Dorf einige junge Mädchen opfern – getarnt als große Ehre für die Kandidatinnen. Aber Vella wehrt sich. Bei der Opferzeremonie überlistet sie das Monster und flieht, entschlossen einen Plan auszutüfteln, der die Mogs ein für alle Mal zurückschlägt.
Ganz woanders, eingekapselt in ein vermeintliches Raumschiff, führt Shay ein behütetes, aber einsames Leben. Zwei Schiffsroboter namens Mama und Papa sind seine einzige Gesellschaft und so ergibt er sich gelangweilt seinem Alltagstrott; bis er durch Zufall entdeckt, dass das Schiff auch einen blinden Passagier beherbergt, der ganz eigene Pläne verfolgt.
In der Parallel- und Zusammenführung dieser beiden Geschichten liegt der besondere Reiz von „Broken Age“. Denn in welcher Reihenfolge die einzelnen Episoden gespielt werden, entscheiden die Spieler*innen, die nach Lust und Laune zwischen den beiden Figuren wechseln können (um nach Akt 2 zum Finale zu gelangen, müssen dann aber beide Handlungsstränge abgeschlossen sein). Gespielt wird nach klassischem Point-and-Click-Prinzip, durch einfaches Klicken wird also die Bewegung der Figur im Raum gesteuert oder eine Interaktion mit der Umwelt eingeleitet. Um den Spielverlauf voranzutreiben, müssen teilweise ausgesprochen knifflige Rätsel gelöst werden; meist geht es darum, Gegenstände zu finden und miteinander zu kombinieren oder in einem Gespräch die richtigen Fragen zu stellen. Die Kombination aus liebevollen 2D-Designs, fordernden Aufgaben und abwechslungsreichen Geschichten über Freiheitsdrang und Solidarität hat „Broken Age“ den Status eines Indie-Klassikers eingebracht, der noch immer mehr als empfehlenswert ist.
Studio: Double Fine Productions.
Plattformen: Android, iOS, Linux, macOS, Microsoft Windows, Nintendo Switch, PlayStation 4, PlayStation Vita, Xbox One
Ungefähre Spielzeit: 8-10 Stunden
Ab ca. 12 Jahren
Concrete Genie (2019)
Das Hafenstädtchen Denska hat seine besten Zeiten längst hinter sich: Eine Ölkatastrophe hat dort vor Jahren nicht nur die Natur, sondern auch die sozialen Gefüge zerstört. Nur die erloschenen Lichterketten entlang der Gebäudemauern erinnern noch an vergangene Feste und Überfluss. Der Junge Ash aber kann das Denska seiner Kindheit nicht loslassen; Tag für Tag streift er mit seinem Skizzenblock durch die trostlosen Gassen und zeichnet neben allerhand Fantasiefiguren das blühende Städtchen seiner Erinnerung. Selbst an diesem Rückzugsort muss er jedoch auf der Hut sein. Denn eine Gruppe Jugendlicher hat es auf ihn abgesehen und macht ihm das Leben schwer. Die Eskalation lässt entsprechend nicht lange auf sich warten: Sie zerreißen Ashs wertvolles Skizzenbuch und sperren ihn in die Seilbahn, die zum Leuchtturm führt. Dort angekommen macht der Junge eine außergewöhnliche Entdeckung. Eines der von ihm gezeichneten Wesen scheint zum Leben erwacht zu sein und beschert ihm einen magischen Pinsel. Mit dessen Hilfe sowie der Unterstützung von ihm gemalter Hilfsgeister (der Genies) soll er den verfallenen Fassaden Denskas zu neuem Leben verhelfen. „Concrete Genie“ ist ein 3D-Action-Adventure, in dem die Spieler*innen mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten: Mit dem Zauberpinsel müssen Wände bemalt und die vielen Lichterketten zum Leuchten gebracht werden, zusätzlich gilt es, die verlorenen Seiten aus dem Skizzenbuch wiederzufinden, Kämpfe gegen die sich ausbreitende Dunkelheit zu führen und sich vor dem jugendlichen Schlägertrupp in Acht zu nehmen. Die Genies übernehmen für Ash selbst nicht durchführbare Aktionen und erschließen somit immer neue Wege durch das Städtchen. Die große Stärke des Spiels liegt in seiner interaktiv-gestalterischen Komponente mit fast schon meditativen Qualitäten; ohne Zeitdruck können einzelne Gestaltungselemente beliebig an den Hauswänden kombiniert werden, bis sich Denska in eine farbenprächtige, organische Kulisse verwandelt. Der atmosphärische Soundtrack ermuntert zusätzlich zum kreativen Austoben.Studio: Pixelopus.
Plattformen: PlayStation 4, PlayStation VR
Ungefähre Spielzeit: 6-8 Stunden
Ab ca. 12 Jahre

Life is Strange (2015)
Um an der renommierten Blackwell Academy Fotografie zu studieren, kehrt die 18-jährige Maxine Caulfield nach fünf Jahren in Seattle in ihre kleine Heimatstadt Arcadia Bay zurück. Ihre sozialen Ängste machen es ihr jedoch schwer, sich wieder einzuleben – anvertrauen kann sie sich vorerst nur ihrem Tagebuch. Zusätzlich bedrückt sie das mysteriöse Verschwinden der Studentin Rachel Amber, deren Vermisstenanzeigen das ganze Stadtbild dominieren. An einem sowieso schon seltsamen Tag wird Max’ Selbstverständnis schließlich vollkommen auf den Kopf gestellt: Sie flüchtet vor dem sozialen Druck der Schule auf das Mädchenklo und wird dort Zeugin eines Mordes. In ihrer panischen Reaktion realisiert sie, dass sie mithilfe einer bestimmten Handbewegung die Zeit zurückzudrehen vermag – so verhindert sie rückwirkend den Mord, der aber nur das erste Glied einer Reihe von beunruhigenden Ereignissen ist. „Life is Strange“ ist eine manchmal schwermütige, trotzdem hoffnungsvolle und kunstvoll mit fantastischen Elementen durchzogene Coming-of-Age-Geschichte, die ihre Spieler*innen emotional fordert und dabei Freiraum zur individuellen Spielführung lässt. Wirklich besonders macht die Spielmechanik nämlich die Handhabung der Dialoge. Für jede von Max’ Aussagen stehen den Spielenden mehrere Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung, die jeweils unterschiedliche Handlungsverläufe (teils mit dramatischen Folgen) bedingen. Oft sind dabei Feingefühl und Empathie gefragt: Tröste ich das Mädchen, das mich eben noch verspottet hat, oder begegne ich ihrem Unglück mit Schadenfreude? Zeige ich Courage, wenn jemandem Unrecht widerfährt, oder halte ich mich zurück? Verrate ich, was ich gesehen habe, oder behalte ich es für mich? Unterlegt sind die insgesamt fünf Episoden mit einem Soundtrack aus Indie- und Folk-Songs, der gemeinsam mit der stets in warmes Licht getauchten Spielwelt von Arcadia Bay die immer auch etwas nostalgische Stimmung des Spiels ausmacht.
Studio: Dontnod Entertainment.
Plattformen: Android, iOS, Linux, macOS, Microsoft Windows, PlayStation 3, PlayStation 4, Xbox 360, Xbox One
Ungefähre Spielzeit: 12-15 Stunden
Ab ca. 14 Jahren
What Remains of Edith Finch (2017)
Ein eigenwilliges und faszinierendes Spieleerlebnis bietet „What Remains of Edith Finch“, das am passendsten wahrscheinlich als bespielbarer Film zu beschreiben ist. Die Spieler*innen finden sich zu Beginn in einer unklaren Situation wieder, wahrgenommen aus der Egoperspektive einer vorerst unbekannten Figur. Sie setzen auf einer Fähre zum Standort eines alten Hauses über, in der Hand das Tagebuch einer gewissen Edith Finch; und mit dem Öffnen des Buchdeckels wird bereits der erste Perspektivenwechsel eingeleitet. Edith ist nun die handelnde Figur, ihre Aufzeichnungen sind die von den Spieler*innen erlebte Realität. Entsprechend leitet die Schrift auch die Spieler*innen an: Die Buchstaben formieren sich im animierten Raum, zeigen den Weg und weisen auf notwendige Aktionen hin. Das verlassene Haus der Finches wird erkundet, denn im Zentrum des Spiels steht ein Fluch, der angeblich für die zahlreichen frühen, teils mysteriösen Tode in der Familie verantwortlich ist. Die Geschichten der einzelnen Figuren werden jeweils aus deren Perspektive erlebt und durch ein immer anderes Schriftstück eingeleitet: So begeben sich die Spielenden beispielsweise in einen Horror-Comic über den ehemaligen Kinderstar Barbara Finch, in ein psychologisches Gutachten über Ediths Bruder Lewis oder ein Gedenkgedicht für den jung verstorbenen Gus. Die surrealen und geheimnisvollen Episoden sind von jeweils ganz unterschiedlichen Stimmungen geprägt, individualisiert durch Musik, Licht und detailreiche Raumgestaltung. Nach und nach füllen die Spieler*innen so die blinden Flecken auf dem Stammbaum im zu Beginn eingeführten Tagebuch. Falsch gemacht kann in diesem kurzen, aber überaus immersiven Spiel nichts werden, weist die Schrift doch den Weg durch das Haus, ohne groß Möglichkeiten zum Abschweifen zu lassen. Langweilig oder unterfordernd ist „What Remains of Edith Finch“ dennoch keineswegs; es ist ein fesselndes und zugleich unaufgeregtes Spiel über die große Angst vor dem Tod, das besondere Schicksal einer Familie, und die Frage danach, was am Ende von einem Menschenleben bleibt.
Studio: Giant Sparrow.
Plattformen: Microsoft Windows, PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch
Ungefähre Spielzeit: 1-3 Stunden
Ab ca. 15 Jahren
Old Man’s Journey (2017)
Das im Wiener Museumsquartier angesiedelte Studio Broken Rules hat 2017 ein herzerwärmendes und mittlerweile mehrfach preisgekröntes Indie-Spiel veröffentlicht. Bei „Old Man’s Journey“ ist der Titel Programm: Als alter Mann machen sich die Spieler*innen nach Erhalt eines Eilbriefs auf die Reise, ohne gleich zu erfahren, wohin es geht. Erst nach und nach, wenn der Reisende zwischen seinen Etappen ausruht, wird durch animierte Erinnerungssequenzen die Vorgeschichte zum plötzlichen Aufbruch nacherzählt. Einzige Aufgabe in diesem Point-and-Click-Adventure ist es, dem alten Mann seine Weiterreise zu ermöglichen: Die in wunderschönen 2D-Animationen gestalteten Schauplätze sind beweglich, es müssen also beispielsweise Berge verschoben, Schienen umgelegt oder wie in Wimmelbildern versteckte Wege durch Natur und Dörfer gefunden werden. Auch in den filmisch umgesetzten Passagen verzichtet das Spiel vollkommen auf Dialoge und setzt auf seine visuelle Erzählkraft. Die atmosphärischen Bilder, ebenso wie der folkloristische Instrumental-Soundtrack, lassen die Spieler*innen während der ein bis zwei Stunden Gesamtspielzeit ganz in die animierte Welt eintauchen. „Old Man’s Journey“ ist unaufgeregt, berührend und dabei immer auch ein wenig wehmütig, sagt das warme Abendlicht doch schon die Melancholie eines späteren Abschieds voraus. Die kleineren Rätselaufgaben sind unterhaltsam, aber leicht zu lösen, was das Spiel für alle Zielgruppen zugänglich und leicht bewältigbar macht.Studio: Broken Rules.
Plattformen: Android, iOS, macOS, Microsoft Windows, Nintendo Switch, PlayStation 4, Xbox One
Ungefähre Spielzeit: 1-2 Stunden
Ab ca. 6 Jahren
Spiritfarer (2020)
„Spiritfarer“ war 2020 so etwas wie ein Indie-Überraschungshit in der mittlerweile fast unüberschaubaren Welt der Videospiele, und das zu Recht: Was Nintendo als cozy management game about dying bezeichnet, ist ein entspanntes, vor allem aber unerwartet berührendes Spiel für alle Tüftler*innen und Entdecker*innen. Das Mädchen Stella wird dazu ausgewählt, Charon als Fährmeister nachzufolgen, ihre Aufgabe ist es folglich, die Geister Verstorbener sicher ins Jenseits überzusetzen. Damit ist die Haupthandlung eigentlich schon auserzählt, was für durchschnittlich 40 Stunden Spielzeit nach reichlich wenig Inhalt klingen mag. Diese Ausgangssituation wird aber auf zwei Arten weiter unterfüttert: Einerseits ist „Spiritfarer“ ein typisches Management Game. Die Spieler*innen müssen als Stella also Rohstoffe sammeln, Ressourcen richtig nutzen und ihren Alltag effizient gestalten; das bedeutet beispielsweise, dass die Fähre instandgehalten werden muss und die einzelnen Geister an Bord täglich mit mehreren Mahlzeiten verpflegt werden möchten (was aufgrund der vielen Sonderwünsche gar nicht so einfach ist). Andererseits sind viele der Geister noch nicht dazu bereit, ihr irdisches Leben endgültig hinter sich zu lassen – sei es aufgrund eines offenen Streits oder einer wichtigen Aufgabe, die erst zufriedenstellend erfüllt werden will. Stellas Auftrag ist es, jeder dieser Figuren zu einem Abschluss zu verhelfen, der nach der gemeinsam verbrachten Zeit umso mehr zu Herzen geht. Die immer mit einer Umarmung eingeleiteten Übergänge haben jedoch auch etwas Tröstliches. Mit zunehmender Expertise und wachsenden Möglichkeiten wird „Spiritfarer“ kontinuierlich vergnüglicher zu spielen; die zauberhafte, mit Manga-Anleihen gestaltete Spielwelt lädt zum Abschalten und Verweilen ein.
Studio: Thunder Lotus Games.
Plattformen: PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch, Microsoft Windows
Ungefähre Spielzeit: 30-50 Stunden
Ab ca. 12 Jahren

Journey (2012)
Am Anfang von „Journey“ finden sich die Spieler*innen als anthropomorphe Figur in roter Kutte wieder, ausgesetzt in einer schier endlos scheinenden Wüstenlandschaft. Zwischen den Dünen ragen die Überreste einzelner Säulen und großer Ruinenkomplexe auf, deren bildhafte Inschriften von einer untergegangenen Zivilisation zu erzählen scheinen. Auch das Ziel des Spiels wird auf diesen Speichermedien offenbart: Es gilt, den Gipfel des großen Bergs in der Ferne zu erreichen, der als Quelle des Lichts und des Lebens dargestellt wird. Die eindrucksvolle visuelle Levelgestaltung, zusammen mit dem entrückten (von Cello und Bassflöte getragenen) Soundtrack, machen die Spielwelt von „Journey“ zu einem Ort des Staunens und Verweilens. Die Grundstimmungen der einzelnen Ebenen variieren dabei stark;,sie reichen von meditativen oder verspielten Passagen bis hin zu beunruhigenden Sequenzen in den unterirdischen Ruinenkomplexen. Hier werden die Spieler*innen auch auf eine emotionale Reise geführt, deren Erzählung rein nonverbal erfolgt. „Journey“ nimmt sich als Gerüst die große Metapher vom Leben als Reise und kann – mit dem abschließenden Eingehen in die Transzendenz – durchaus auch spirituell ausgelegt werden. Bemerkenswert ist an diesem Spiel neben seiner herausragenden ästhetischen Gestaltung auch die spezielle Form des Multiplayer-Modus, in dem nicht bewusst eine zweite Partei zugeschaltet wird, sondern andere Spieler*innen im eigenen Gameplay können unvorhergesehen auftauchen können. Mit ihnen kommuniziert werden kann nur innerhalb der Logik des Spiels, durch die Erzeugung einzelner Töne und durch Bewegung. Ob die Reise zum Berggipfel dann gemeinsam oder alleine angetreten wird, kann individuell entschieden werden, es hat aber einen durchaus ganz eigenen Zauber, sich mit einer unbekannten Person bis zum Ende durchzukämpfen. Auch gut zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung kann „Journey“ ohne Zweifel als Musterbeispiel für die ästhetische Nutzung des Mediums Videospiel angesehen werden, das auch nach mehreren Spieldurchgängen nicht seinen Reiz verliert.
Studio: thatgamecompany.
Plattformen: PlayStation 3, PlayStation 4, iOS
Ungefähre Spielzeit: 2-3 Stunden
Ab ca. 7 Jahren
GRIS (2018)
Deutlich in der Tradition von „Journey“ steht der ebenso faszinierende Titel „GRIS“: Die Anfangskonstellation zeigt das Erwachen einer weiblichen Figur in der Hand einer Frauen-statue. Sie hebt zu singen an, verliert aber ihre Stimme und stürzt; die Statue zerfällt unter ihr. Diese Figur steuern die Spieler*innen anschließend durch eine traumhaft gestaltete Spielwelt, doch ihre Beweglichkeit kommt erst nach und nach zurück – der schwarze Boden scheint sie immer wieder nach unten zu ziehen. „GRIS“ funktioniert als Jump'n'Run-Spiel ohne größere Tücken: Der Spielfortschritt verläuft linear und wird durch Laufen, Springen und das Lösen einfacher Rätsel vorangetrieben. Doch während die Spielmechanik relativ simpel bleibt, formen das visuelle und akustische Design eine tiefgründige Welt in modernen, flächigen 2D-Animationen. Auf allegorischer Ebene ist „GRIS“ eine Reise durch die Trauer nach dem am Beginn stehenden Tod der Mutterfigur. Die Spieler*innen sehen sich stets durch einen möglichen erneuten Einfall der anfänglichen Dunkelheit gefährdet und navigieren ihre Figur durch Level, die sich immer auch wie die Überführung in einen anderen emotionalen Zustand anfühlen. Die Ebenen zeigen unter anderem Wald-, Ruinen- und Unterwasserlandschaften, die durch ihre bedachte Ausgestaltung beruhigend, oft aber auch melancholisch oder aufwühlend wirken. Am Ende muss die eigene Stimme zurückerkämpft werden, mit der die umliegende Welt weiter belebt und verändert werden kann. „GRIS“ ist im Grunde die Reise durch ein Kunstwerk; es ist gleichermaßen ein ästhetisches Erkunden von Gefühlszuständen wie ein Meisterwerk des visuellen Erzählens. Das Erfreuliche daran: Es ist zugleich zugänglich und für Spieler*innen aller Zielgruppen gut bewältigbar.
Studio: Nomada Studio.
Plattformen: Android, iOS, macOS, Microsoft Windows, Nintendo Switch, PlayStation 4
Ungefähre Spielzeit: 4-6 Stunden
Ab ca. 7 Jahren

Trüberbrook (2019)
Es ist das Ende der 1960er-Jahre und der Kalte Krieg bestimmt die mediale Berichterstattung, als Hans Tannhauser – seinerseits Doktorand der Quantenphysik in den USA – ein Preisausschreiben gewinnt, an dem er gar nicht teilgenommen hat. Weil er aber ohnehin eine Denk- und Schreibblockade überwinden muss, packt er kurzerhand seine Sachen und tritt die gewonnene Reise in das westdeutsche Luftkurörtchen Trüberbrook an. Gleich in der ersten Nacht erfährt er jedoch schmerzlich, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht: Ein mysteriöser Dieb entwendet seine Dissertation, deren Rückholung fortan natürlich oberste Priorität hat. Unterstützt wird er von der Paläoanthropologin Gretchen Lemke, die in Türberbrook eigentlich einem neugermanischen Kult auf der Spur ist. Bald schon zeigt sich, dass Tannhausers Abschlussarbeit im Rätsel um das Dörfchen nur ein Puzzlestein von vielen ist, und aus dem anfänglichen Schreiburlaub wird rasch ein turbulentes Science-Fiction-Abenteuer. Das Mystery Adventure mit Point-and-Click-Steuerung nimmt offen Anleihen an der Serie „Twin Peaks“, deren Einfluss sowohl in der wunderlichen Figurengestaltung als auch im eigenwilligen Humor des Spiels deutlich greifbar wird; auch viele andere Klassiker der Film- und Fernsehgeschichte werden anzitiert. Die in „Trüberbrook“ zu lösenden Rätsel sind zwar nicht übermäßig anspruchsvoll (und manchen geübten Spieler*innen vielleicht sogar ein wenig zu einfach), wettgemacht wird diese Tatsache aber durch die liebevolle Gestaltung der Spielwelt. Für jeden Schauplatz wurde zuerst ein Miniaturset gebaut, das anschließend durch das sogenannte Fotogrammetrieverfahren digitalisiert wurde. Das verleiht dem Spiel den visuellen Charme eines aufwendigen Stop-Motion-Films und macht es zu einem Genuss, die unterschiedlichen Räume und Landschaften zu erkunden. Ein zusätzliches Schmankerl: Unter den Synchronsprecher*innen sind auch bekannte Stimmen wie Nora Tschirner oder Jan Böhmermann zu hören.
Studio: bildundtonfabrik.
Plattformen: Android, iOS, Linux, macOS, Nintendo Switch, PlayStation 4, Microsoft Windows, Xbox One
Ungefähre Spielzeit: 6-8 Stunden
Ab ca. 12 Jahren
Child of Light (2014)
Die Geschichte von „Child of Light“ nimmt im österreichischen Kaisertum des auslaufenden 19. Jahrhunderts ihren Ausgang, genauer noch im Herzogtum Krain. Die Tochter von Herzog und Herzogin, Prinzessin Aurora, erkrankt schwer und schlummert ein, wonach sie in der fantastischen Welt von Lemuria wieder erwacht. Dort trifft sie auf die Dame des Waldes, die ihr eine besondere Aufgabe überantwortet: Die Königin der Nacht hält Sonne, Mond und Gestirne gefangen, Aurora soll sie besiegen und so für die Bewohner*innen von Lemuria das Licht zurückerobern. Zwar ist „Child of Light“ als klassisches Rollenspiel mit Jump'n'Run-Steuerung angelegt (die Spieler*innen bewegen Aurora laufend, springend und fliegend durch die unterschiedlichen Landschaften), allein die kindliche Protagonistin hebt das Spiel aber bereits von vielen ähnlichen Produktionen ab. Zudem haben die Entwickler*innen alle Möglichkeiten aufgefahren, um diese narrativ eher konventionelle Held*innenreise ästhetisch harmonisch und entrückt darzustellen: Märchenelemente werden anzitiert, es wird ausschließlich in Reimen gesprochen und der unaufdringliche Soundtrack erzählt die Handlung atmosphärisch mit. Besonders faszinierend ist aber die zauberhafte Aquarell-Ästhetik der 2D-Animationen, für die amerikanische Märchenillustrationen des späten 19. Jahrhunderts als Inspiration dienten. Die erzählenden Zwischensequenzen sind großteils nicht filmisch umgesetzt, sondern werden durch Illustrationen im Stil bunter Glasfenster gestützt. Neben dieser ausgewogenen Spielgestaltung hat „Child of Light“ aber auch ein ausgeklügeltes Kampfsystem vorzuweisen, das zum Taktieren einlädt, sei es alleine oder zu zweit – im Multiplayer-Modus schlüpft die zweite Person in die Rolle des Irrlichts Igniculus, das Aurora jederzeit tatkräftig zur Seite steht.
Studio: Ubisoft Montreal.
Plattformen: Microsoft Windows, PlayStation 3, PlayStation 4, PlayStation Vita, Wii U, Xbox 360, Xbox One
Ungefähre Spielzeit: 10-12 Stunden
Ab ca. 7 Jahren
Diese Buchliste wurde von Sarah Auer im Rahmen ihres Praktikums in der STUBE erarbeitet.
