Thema: Sommer-Bücher

Holly Goldberg Sloan: Elefantensommer. Ein 2 ½ Tonnen schwerer Grund, morgens aufzustehen
Sommer ist nicht nur die Zeit von Entspannung und Müßiggang, sondern für Jugendliche oft auch die Gelegenheit, in Form von Ferialjobs erste berufliche Erfahrungen zu sammeln. Protagonistin Sila ist mit ihren elf Jahren dafür eigentlich noch ein bisschen jung. Und die Aufgabe doch eher ungewöhnlich: Eine Elefantendame namens Veda zu versorgen, die wiederum der nach einem Lottogewinn reiche Gio einem Impuls folgend einem aufgelassenen Zirkus abgekauft hat. Mit dabei ist ihr autistischer Schulkollege Mateo. So skurril dieses Szenario klingt, so wunderbare Lektüre ist dieser Roman: Denn jede der Figuren, ob tierisch oder menschlich, hat ihr Päckchen zu tragen. Silas Mutter wurde in ihr Herkunftsland, die Türkei, abgeschoben, nachdem sie Missstände an ihrem Arbeitsplatz aufgedeckt hat. Gio leidet unter dem Tod seiner Frau, die wiederum in der Grundschule Silas Lehrerin war. Und auch Elefantendame Veda hat in ihrem Zirkusdasein schmerzliche Erfahrungen machen müssen. Gekonnt führt Holly Goldberg Sloan die Handlungsfäden zu einem Happy End für alle Beteiligten zusammen – und endet mit einer Ermutigung für jene Sommertage, die sich nicht luftig-leicht anfühlen: Man musste weitermachen, auch wenn das Leben nicht immer fair war. Man musste an die Möglichkeit solcher Tage wie heute glauben. Und man musste daran arbeiten, dass sie Wirklichkeit wurden.
Aus d. Engl. v. Katharina von Savigny.
Hanser 2023.
240 S.
Magdalena Ahrer: Limettensommer
Der 15-jährigen Ophelia steht ein Sommer voller Nichtstun bevor. Immer noch in der Verarbeitung der gescheiterten Ehe ihrer Eltern gefangen, bleibt die Ich-Erzählerin lieber für sich oder mit ihrer Mutter – der Vater spielt indessen mit der neuen Frau und dem Stiefbruder glückliche Familie.
Aber es soll alles anders kommen und für Ophelia beginnt ein aufregender Sommer mit neuen Freund*innen inmitten von schrillen Second-Hand-Klamotten und allerhand Schnickschnack. All das ist Teil des charmanten Vintage-Ladens von Madam Temperley, der kürzlich in der Stadt eröffnete, und der für die Hauptfigur Wohlfühlort und Liebe auf den ersten Blick bedeutet. Als Sommerjob übernimmt sie die Aushilfe in eben jenem Laden, wo sie auch Rose kennenlernt. Rose hat etwas Anziehendes an sich und mit ihr probiert sie neue Dinge aus; bis sie schließlich bemerkt, dass da mehr ist als freundschaftliche Gefühle. Der Roman lebt vor allem durch die besondere Atmosphäre in dem Laden, der durch Madame Temperleys britische Wurzel einen englischen Touch erhält und für Ophelia Selbstermächtigungsraum bedeutet: Dort kann sie die neue Familiensituation ein Stück weit verarbeiten, trifft auf spannende Menschen und schafft sich gemeinsam mit Rose ihr ganz persönliches Refugium, in dem sie ihre Gefühle für einander erkunden können.
arsEdition 2024.
204 S.
Ella Kaspar und Sonja Stangl: Echte Camper oder wie Benni Papas Traumurlaub überlebte
Ein moderner Campingvan mit Dachzelt. Was für viele der Traumurlaub ist, bedeutet für den 12-jährigen Benni: Brösel im Bett, das mit der kleinen Schwester geteilt werden muss, vier Menschen auf viel zu wenig Raum und wenig Platz für Privatsphäre, von mangelnden Hygienebedingungen auf Campingplätzen, wenn es denn überhaupt einer ist, ganz zu schweigen. Bennis Vater denkt nostalgisch an seinen perfekten Campingurlaub zurück und möchte die Familie mit dem Campingzauber anstecken, was nicht so ganz gelingen mag. Der liebenswürdige Ich-Erzähler mit kleinen Sauberkeitsneurosen (Ekelskala 100 bis 900) erlebt trotz widriger Umstände doch noch einen aufregenden Sommer. Denn sind erst einmal die ersten Gewitter, sanitäre Notsituationen und Ekelcampingplätze überstanden, findet die vierköpfige Familie doch zu Urlaubserlebnissen, die sich für alle stimmig anfühlen. In ihrem Debüt, in dem das Geschehen von Sonja Stangl dynamisch in Szene gesetzt wird, entwirft die Autorin eine Figur, die inmitten eines Campingplatzes neue Freund*innen findet und mit Herausforderungen konfrontiert wird, bei denen Benni über sich hinauswachsen kann.
Tyrolia 2024.
160 S.
Regina Wenig und Lilane Oser: Bauer Errfin und der Kongokäfer
Familie Kongokäfer würde tunlichst Urlaub benötigen: Die Eltern sind von ihrem Leben aber derart gestresst, dass das Kongokäferkind kurzerhand alleine auf den Bauernhof von Bauer Erfin und Bäuerin Hulda geschickt wird. Und wie ginge das besser, als ganz klimaneutral mit U-Bahn und Zug? In Regina Wenigs Kinderbuchdebüt entführt die deutsche Autorin in eine tierische Welt, in der auf ganz selbstverständliche Weise die unterschiedlichsten Tiere auf einem von Menschen geführten Bauernhof Urlaub machen: Zum Kongokäfer gesellen sich mit jedem Wochentag ein neues Tier, denn auch der Kakadu, der kleine schwarze Hengst, der Tiger, die Flamingos und das Lamakind sind urlaubsreif.
Entlang der Wochentage wird auf amüsante Weise davon erzählt, wie sich die Tiere artspezifisch auf den Weg machen, was durch die witzig und fein gezeichneten Illustrationen noch untermauert wird. Angereichert wird der Text mit Sprachwitz, direkten Leser*innenansprachen und dem Spiel von Perspektiven der unterschiedlichen (tierischen) Figuren, bis am Ende das Bauersehepaar dringend Urlaub von den urlaubenden Tieren benötigt …
Moritz 2022.
88 S.
Alina Bronsky: Schallplattensommer
Ein abgelegener Ort, kaum Freizeitbeschäftigung. Dafür eine Gaststätte, die gemeinsam mit der Großmutter geführt wird. Eine Lebensrealität, die nicht jede*r Jugendliche für sich erwählen würde und doch genau der Ort, an dem sich Maserati wohl fühlt. Maserati liebt es zu schwimmen, lebt ihr Leben fernab von Social Media und greift ihrer Großmutter unter die Arme. Verortete wird der Text in einem ländlichen Umfeld, in dem im Winter nichts los ist, im Sommer aber dafür umso mehr. Diesen einen Sommer kommt es aber anders: Es tauchen Casper und Theo auf der Bildfläche auf und recht schnell wird klar, dass alle drei jugendlichen Figuren ein Geheimnis haben, wodurch sie auf sonderbarer Weise miteinander verbunden sind. Im Zentrum steht dabei eine Schallplatte mit dem fiktiven Song „My girlfriend is a ghost“, um den sich die Handlung entspinnt. Theo findet in dem Song Trost, während Maserati versucht, eines der Bandmitglieder, ihre Mutter, von sich fernzuhalten und Casper vertuscht, dass sein Vater für jenen Shitstorm verantwortlich ist, der Maserati zum Leben bei ihrer Großmutter geführt hat. Gekonnt bringt Alina Bronsky die Fäden der drei Figuren zusammen, zeichnet dabei unkonventionelle (Liebes-)Beziehungen und lässt ihren Figuren ein Stück weit ihre Geheimnisse und einige Leerstellen zwischen den Zeilen.
dtv 2022.
192 S.
Gulraiz Sharif: Ey hör mal
Ein langer, heißer Sommer steht für den 15-jährigen Mahmoud in der Plattenbausiedlung vor der Tür, der vor allem eines zu werden verspricht: langweilig. Mahmoud stromert mit seinem einäugigen Freund durch die Gegen, zeigt seinem aus Pakistan angereisten Onkel die Stadt und versucht irgendwie die Zeit totzuschlagen. Hinzu kommt sein kleiner Bruder, der sich im eigenen Körper nicht recht wohl fühlt – oder dem vielmehr das Gefühl gegeben wird, dass er sich, weil er als Junge mit Puppen spielt, nicht wohlfühlen darf – und der in Mahmoud seine Vertrauensperson sucht und findet: Damit schlüpft der 15-Jährige in eine Rolle, um die er nicht gebeten hat, die er wohl oder übel aber ausfüllen muss.
Im jugendsprachlichen Slang skizziert der norwegische Autor in seinem Debüt eine Pakistani-Familie, die in humorigen Ton ihre Kultur von jener in Norwegen abgrenzt. Der Text lebt von Sprachwitz, wenn in frechem teils provokativem Ton durch die unterschiedlichen Figuren gesellschaftspolitische Positionen und Diskurse eingebunden und zugleich aus einer Außenperspektive Fragen der Zugehörigkeit und kultureller, religiöser und sexueller Identität gestellt werden.
Aus d. Norweg. v. Meike Blatzheim und Sarah Onkels.
Arctis 2022.
208 S.

Jihyun Kim: Sommer
Das Bilderbuch nimmt die Betrachtenden mit auf eine Sommerreise in die Natur. Den Ausgangspunkt ihrer Geschichte stellt die koreanische Künstlerin Jihyun Kim bereits auf dem Vorsatzpapier dar: ein durch und durch urbanes Setting, dem die Natur folgt. Denn mit dem Auto geht es hinaus aus der Stadt, über Landstraßen in einen Wald zu einem kleinen Häuschen, in dem ein älteres Paar, wohl die Großeltern, schon wartet. Der Blick des Kindes fällt sehnsüchtig durchs Fenster, wo der Wald und damit das Abenteuer beginnt. Mit seinem Hund geht der Junge eben in diesem Wald auf Entdeckungstouren. Die Perspektiven, die die Künstlerin dabei in ihrer ausschließlich auf der Bildebene erzählten Geschichte einnimmt, erinnern stark an filmisches Erzählen: Der kindliche Protagonist wird manchmal in Close-ups, fokussiert auf sein Staunen über all das, was ihm bei seiner autonomen Naturerfahrung begegnet, dann wieder in Totalen dargestellt, wodurch die Natur, die er erkundet, noch eindrucksvoller wirkt.
Im Nachwort schreibt die Künstlerin, dass sie in diesem Silent Book eigene Kindheitserfahrungen und das Berührt-sein durch die Begegnungen mit der Natur verarbeitet hat. In ihren Bildern zeigt sie die besonderen Momente im Alltag.
Urachhaus 2021.
48 S.
Jenn Bennett: Wiedersehen mit Lucky
Für Josie ist es Alltag immer wieder umzuziehen: Doch der bevorstehende Umzug ist anders – sie soll mit ihrer Mutter wieder an den Ort ihrer Kindheit zurück. Dort wartet nicht nur ein Familienstreit, sondern auch Lucky, ihr bester Freund aus Kindheitstagen. Josie verfolgt im erzählten Sommer aber einen strikten Plan: Schulabschluss und dann zur Fotografielehre zu ihrem Vater nach Amerika. Ein Plan, der mächtig durcheinandergewirbelt wird … Denn sie sieht sich nicht nur mit ihrer chaotischen Mutter konfrontiert, sondern auch mit der Vergangenheit. Das titelgebende Wiedersehen mit Lucky verspricht eine atmosphärische Widerannäherung und zeichnet eine vorsichtige Liebesbeziehung nach, die aber auch zeigt, dass das mit dem Vertrauen nicht immer so einfach ist. Jenn Bennett wählt für den Text eine besondere Form der Intermedialität: Josie ist stets mit Kamera unterwegs und hat eine besondere Vorliebe für Schilder in all ihren Formen und Größen: Straßenschilder, Informationsschilder, Straßenreklamen … Diese werden nicht als Bild in den Text gesetzt, sondern als Bildbeschreibung je an den Beginn eines Kapitels gestellt und verleihen dem Roman eine besondere Note.
Aus dem Engl. von Claudis Max.
Carlsen 2021
382 S.
Elisabeth Steinkellner: Esther und Salomon
Einmal mehr zeigt Elisabeth Steinkeller ihr vielseitiges literarisches Talent. Der Text folgt zwei jugendlichen Figuren; mit einem Perspektivenbruch in der Mitte, aber zeitlich aufeinander aufbauend. Zum einen ist da Esther, die mit ihrer kleinen Schwester Flippa und den im Streit liegenden Eltern auf Urlaub ist. Dort trifft sie auf Salomon, der wiederum mit seiner Schwester am Strand ist, während seine Mutter in einem der Hotels arbeitet. Die kleinen Schwestern freunden sich an, wie auch Esther und Salomon, die ihre ganz persönliche Sommerzeit verbringen, von der am Ende wenig zu bleiben scheint: Wenn es jemanden gibt, / den man so sehr mag, / dass man denkt: / es zerreißt mich / wenn ich mich / trennen muss, / ist das dann Unglück / oder ... Während Esthers Erzählteil Polaroids an die Seite gestellt werden, die die Spanne dieses einen Sommers umfassen und diesen weiter und die Leerstellen (aus)erzählen, setzt Salomons Stimme ab der zweiten Hälfte des Textes mit assoziativen Bildern von Michael Roher ein. In stimmiger lyrischer Prosa treffen so Sommerliebe auf Fluchtgeschichte, und auf die Sehnsucht nach einer anderen, weit entfernten Figur. Die Komposition aus Text und Bild lässt viel Raum fürs Weiterdenken, -lesen und -fühlen und verknüpft zwei sehr unterschiedliche jugendliche Charaktere in einer ganz besonderen Atmosphäre, in der am Ende ein leises Danke für die Nähe des/der Anderen steht.
Mit Bildern v. Michael Roher.
Tyrolia 2021.
336 S.

Annika Scheffel: Sommer auf Solupp
Mari hat sich ihren Sommer eigentlich ganz anders vorgestellt: mit ihrer besten Freundin gemeinsam auf einem Fußballcamp, für das sie schon so intensiv trainiert haben. Stattdessen geht es mit ihrer Familie auf die kleine Insel Solupp. Denn Maris Mutter ist sich sicher, dass ein Familienurlaub zur Erholung für alle nötig ist, nachdem die schwere Erkrankung des Vaters überstanden ist. Der Rest der Familie ist von diesem Plan hingegen nicht begeistert. Maris älterer Bruder Kurt zieht sich, seit der Vater wieder aus dem Krankenhaus zurück ist, am liebsten in seinem Zimmer zurück. Bela will statt Kindergarten bzw. Solupp viel lieber in den Ferienpark.
Nach wenigen Tagen sind aber alle von der Idylle Solupps begeistert. Genauso schnell stößt die 12-jährige Mari auf rätselhafte Dinge. Wer ist der alte Mann, der manchmal durch die Straßen zieht? Was hat es mit dem Wort Keilkliff auf sich? Und gibt es tatsächlich auf der Insel einen Schatz? Gemeinsam mit ihren neuen Bekanntschaften Ema und Joone will sie den Geheimnissen auf die Spur kommen. So wird in kürzester Zeit aus dem Aufenthalt auf der langweiligen, vereinsamten Insel doch noch ein abenteuerlicher Urlaub, und die Lektüre bringt Spannung und Unterhaltung gleichermaßen.
Thienemann 2021.
320 S.
Barbara Zoschke: Sonnengelb & Tintenblau oder: Der Sommer, in dem ich zu schreiben begann
Ebenso rätselhaft wie Maris Urlaub ist auch Eddys Sommer, doch Barbara Zoschkes Roman ist im Gegensatz dazu kein spannender Abenteuerroman, sondern vielmehr eine unterhaltsame Wohlfühl-Geschichte, mit etwas Liebesdrama, die zum Schreiben anregt.
Da die Familienkasse leer ist und ihre Eltern ständig am Streiten sind, flüchtet die 13-jährige Eddy zu ihrer Oma, die ein Hotel führt und hilft dort bei der Verpflegung der Gäste mit. Bei einem Ausflug zum Badesee lernt sie den Jungen Matti kennen, in den sie sich sofort verliebt, sein Interesse an ihr ist aber nur von kurzer Dauer. Berg, der sich für Eddy anfangs eher wie ein Babysitter als ein Freund anfühlt, bleibt hingegen viel länger an ihrer Seite. Er ist es auch, der ihr hilft, das Rätsel zu lösen. Denn eines Tages taucht in Eddys Zimmer plötzlich ein Schreibauftrag auf, nur von wem und warum? Jemand will Eddy zum Schreiben motivieren und versteckt im Laufe des Sommers immer wieder Aufträge für sie. So finden sich eingebaut in die Geschichte immer wieder Schreibanlässe für die Lesenden, die am Ende des Buches gesammelt nochmal erklärt werden. Diese sind sehr vielfältig – von Freewriting-Übungen über Gedichte zu Brainstormings, was etwa Charaktereigenschaften von Figuren sein könnten oder mögliche Buchtitel. Wer im Sommer nicht nur lesen möchte, sondern weitere Beschäftigung sucht, findet also in „Sonnengelb & Tintenblau“ zahlreiche Anregungen.
Ueberreuter 2021.
224 S.
Jason Reynolds: Brüder
Die Sommerferien sollen die zwei afroamerikanischen Brüder Genie (11) und Ernie (13) am Hof der Großeltern im ruralen Virginia verbringen, während die Eltern auf Jamaika ihrer Ehe eine letzte Chance geben wollen. Eine Herausforderung für die beiden Großstadtjungs aus Brooklyn – nicht einmal Internet gibt es dort, dafür aber jede Menge zu tun: Zwischen Hof kehren und Erbsen pflücken lernen sie nicht nur das Leben im ländlichen Süden der USA besser kennen, sondern auch ihren blinden, starrsinnigen Opa und ihre tatkräftige, strenge Oma, die sie aufgrund eines tiefgehenden Zerwürfnisses zwischen Vater und Großvater bisher kaum gesehen hatten. Sie entdecken ein geheimnisvolles Haus im Wald, besuchen das resolute Nachbarsmädchen Tess und füttern die Vögel in Opas besonderem, ganz persönlichen Rückzugsort. Erzählt wird die atmosphärische Familiengeschichte aus der Ich-Perspektive des wissbegierigen Genie, der eine nummerierte Liste mit (bereits über 400!) Fragen führt, die er googeln möchte – wenn er doch nur endlich wieder Zugang zum Internet bekäme! Letztlich wird deutlich, dass Mut nicht immer Tapferkeit, sondern vor allem Ehrlichkeit und das Eingestehen von Fehlern bedeutet – selbst, oder gerade dann, wenn diese bereits weit in der Vergangenheit zurückliegen.
Aus dem Amerikan. v. Klaus Fritz.
dtv 2020.
384 S.
Marianne Kaurin: Irgendwo ist immer Süden
Alle fahren in den Urlaub, nur Ina sitzt zu Hause, inmitten der Betonhochaussiedlung fest. Der Sommer könnte so schön sein, hätte Ina nicht ihrer Klasse erzählt, dass sie in den Süden fährt. Sie wollte dazugehören und mithalten können bei den großen Auslandsreisen der anderen. Um nicht aufzufliegen postet sie Fotos aus dem Katalog in den Klassenchat und bleibt den ganzen Tag zu Hause. Nach ausgiebigem Trübsal blasen schnappt sie sich kurzerhand den zuvor gemiedenen neuen Klassenkollegen Vilmer, der auch aus Geldmangel nicht auf Urlaub fahren kann, im Gegensatz zu ihr aber dazu gestanden ist. Gemeinsam schaffen sie ihr ganz persönliches Urlaubsparadies in der verlassenen Hausmeisterwohnung: inklusive Sandkisten-Sandstrand, Planschbecken-Pool und Tapeten-Sonnenuntergang als Selfie Hintergrund. Doch Inas Lüge wird nach den Sommerferien ihre Folgen haben. Ohne zu Moralisieren erzählt Marianne Kaurin von zwei Außenseiter*innen, die mit viel Vorstellungskraft ein sommerliches Abenteuer erleben, ohne dabei in den Flieger steigen zu müssen und dabei auch noch das erste Verliebt-sein erleben.
Aus dem Norweg. v. Franziska Hüther.
Woow Books 2020.
240 S.
Ashley Herring Blake: Mein neues Herz lernt, wie man l(i)ebt
Nach einer gelungenen Herztransplantation steht der Sommer vor der Tür. Sunny hat drei Pläne für den Sommer: Sie will neue Dinge erleben, die sie davor nicht tun konnte, eine neue Freundin finden und den ersten Kuss bekommen. Mit der blauhaarigen, meeresbegeisterten Quinn erledigen sich die ersten zwei Punkte. Anstelle des Kusses sieht sich die 11-Jährige mit ihrer Mutter konfrontiert, die sie als Kind an ihre Freundin weggegeben hat und nun eine Beziehung zu ihrer Tochter aufbauen will. Anfangs will Sunny mit ihrer Mutter, die gerade auf Alkoholentzug ist, nichts zu tun haben, findet aber beim gemeinsamen Surfen mit ihr nach und nach eine neue Vertrauensperson.
Leichtfüßig erzählt die Autorin von einer gerade noch kindlichen Figur an der Schwelle zur Pubertät: die Ereignisse überschlagen sich und wie nebenbei stellt sich die Frage, ob es okay ist, in der heutigen Gesellschaft queer zu sein? Der Text ist dabei keineswegs mit den unterschiedlichen Problemfeldern überladen. Durchbrochen wird der erzählende Text immer wieder von kursiv gesetzten Gedichten, die die Autorin ihre Protagonistin verfassen lässt, um ihr Innerstes nach außen zu kehren.
Aus dem Amerikan. v. Bernadette Ott.
dtv 2020
352 S.
Espen Dekko: Sommer ist trotzdem
Normalerweise verbringt die Ich-Erzählerin jeden Sommer bei ihren Großeltern an der norwegischen Küste. Doch nach einem Todesfall ist alles anders. Selbst der Sommer, der sonst verbunden ist mit unbeschwerten Erfahrungen wie mit Gummistiefeln durch das Watt stapfen, mit Opa Traktor fahren oder Omas wunderbare Waffeln essen, fühlt sich für die elfjährige, namenlos bleibende Ich-Erzählerin völlig anders an: Denn es ist der erste Sommer nach dem Tod ihres Papas. Nichts ist mehr wie früher. Die Ich-Erzählerin zieht sich immer wieder in ihre Gedankenwelt zurück und versucht zu funktionieren. Der Autor Espen Dekko, ein bekannter norwegischer Puppenspieler, erzählt einfühlsam von den vielen Aspekten des Trauerns: Der Schwierigkeit, den widersprüchlichen Gefühlen Raum zu geben, der Wut, der Ratlosigkeit, wie ein Leben ohne Papa überhaupt sein soll. Erst nach einem Unglück erkennt die Hauptfigur, dass sie nicht immer sein stark sein muss. Ein Buch, das man bei aller Traurigkeit am liebsten ganz langsam lesen möchte.
Aus dem Norweg. v. Karoline Hippe.
Thienemann 2020.
203 S.

Will Gmehling: Freibad. Ein ganzer Sommer unter dem Himmel
Das Meer. Der See. Oder doch nur das Freibad? An welchem sommerlichen Wasser-Ort dem Müßiggang gefrönt wird, ist nicht nur eine Frage persönlicher Präferenzen, sondern auch ökonomischer Rahmenbedingungen. Will Gmehling erzählt von einer Familie, die soziologisch betrachtet zu den „working poor“ gezählt werden kann: Obwohl beide Eltern hart arbeiten, Papa als Taxifahrer und Mama als Verkäuferin in der Bahnhofsbäckerei, reicht in der Familie Bukowski das Geld hinten und vorne nicht, schon gar nicht für Urlaub. Doch als der zehnjährige Ich-Erzähler Alf und seine beiden etwas jüngeren Geschwister Katinka und Robbie im Hallenbad ein Kleinkind vor dem Ertrinken retten, dessen Mutter gerade mit ihrem Handy beschäftigt war, bekommen sie als Dank eine Saisonkarte fürs Freibad geschenkt und verbringen anschließend jeden einzelnen Sommertag dort. Jedes der Kinder setzt sich für diesen langen Zeitraum ein sehr konkretes Ziel, vom Sprung vom 10 Meter Brett bis zu 20 Bahnen Kraulen am Stück. Als Geschwister-Kollektiv hingegen möchten sie zumindest einmal ein richtiges, regelwidriges Abenteuer erleben und heimlich im Bad übernachten …
Peter Hammer Verlag 2019.
155 S.
Stefanie Höfler: Sommer mit Mucks
Auch in Stefanie Höflers Roman geht es nicht auf große Urlaubsreise, sondern wie bei Will Gmehling ins Freibad. Zonja ist eher eine Einzelgängerin und sehr neugierig. Sie beobachtet ihre Umgebung sehr genau, mag Statistiken und hat einen großen Fragenkatalog, den sie versucht abzuarbeiten. Deshalb liebt sie Antworten. Antworten geben Kontrolle in ihrer beschaulichen Welt, die mit Beginn der Ferien auf das Freibad verkleinert scheint. Doch plötzlich entdeckt sie während ihren Beobachtungen einen Jungen, der am Beckenrand steht und den sie plötzlich aus dem Wasser retten muss. Mit seinen abstehenden Ohren, seiner Statur und einem blauen Fleck wirkt er auf sie seltsam. Ein einziges großes Fragezeichen bis hin zu seinem Namen: Mucks. Die beiden Außenseiterfiguren entwickeln in langen Freibadstunden eine innige Freundschaft. Mit wenigen Dialogen und klugen Andeutungen erzählt Stefanie Höfler von Dingen, die bisweilen zu groß für einen empirischen Geist wie Zonja sind. Mit (tragi-)komischem Zugang literarisiert die Autorin ein oft erzähltes Motiv der Kinderliteratur – Gewalt in der Familie – und weiß die Härte des Themas mit behutsamer Sprache und stilistischem Geschick zwischen den Zeilen zu verstecken.
Mit Vignetten v. Franziska Walther.
Beltz&Gelberg 2015.
138 S.
Lara Schützsack: Sonne, Moon und Sterne
Es ist kurz vor Beginn der Sommerferien und der 12. Geburtstag der Protagonistin, die alle Gustav nennen, steht bevor. Doch dieses Jahr ist alles anders als sonst: Der jährliche Dänemark-Urlaub der Familie wird von den Eltern aufgrund einer Beziehungskrise abgesagt. Die Mutter fliegt auf „Selbstfindungstrip“ allein nach Mallorca, der Vater schließt sich depressiv in seinem Arbeitszimmer ein. Auch die pubertären Schwestern sind vor allem mit sich selbst beschäftigt. Außerdem bahnen sich in Gustavs Leben noch weitere Veränderungen an. Zu ihrem eigenen Missfallen beginnen ihre Brüste zu wachsen und auch ihre bisherigen Freundschaftskonstellationen verschieben sich: Gustavs beste Freundin Anina hat unverständlicherweise begonnen, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, und als wäre das noch nicht genug, verbringt sie ihren Urlaub weit weg von Gustav in Frankreich. All dies löst in dem Mädchen unbestimmte Angst- und Verlustgefühle aus, mit denen sie von ihrer Familie weitgehend allein gelassen wird. Nur ihr in die Jahre gekommener Hund Sand steht dem Mädchen in der schwierigen Situation bei. Mit ihm begibt sich Gustav auf ziellose Streifzüge durch die heiße, verlassene Großstadt … und lernt dabei Moon kennen. Gustav und Moon, zwei sich spiegelnde Figuren im Begriff dem Kindesalter zu entwachsen, verbringen gemeinsam einen Sommer, der durch ihre Freundschaft etwas ganz Besonderes wird.
Sauerländer 2019.
238 S.

Åsa Anderberg Strollo: Karis magischer Sommer
Kari wollte mit ihrem Opa in den Sommerferien nach Spanien reisen. Stattdessen muss sie den Sommer in einem schwedischen Waldhäuschen ihrer verstorbenen Urgroßmutter verbringen. Ständig regnet es, ihre Familie nervt und im nächstgelegenen Dorf ist zunächst so gar nichts los. Doch etwas stimmt mit dem geerbten Haus nicht, das auf Kari einen bedrohlichen Eindruck macht. Denn es beginnen sich sonderbare Dinge zuzutragen, die in der kindlichen Perspektive ins Gruselhafte übersteigert und zugleich durch Karis gewitzte Notizbucheinträge humoristisch aufgelockert werden. In Alpträumen wird Kari von Menschen verfolgt, die ihren verstorbenen Verwandten zum Verwechseln ähnlich sehen, ein ominöser Riss in der Tapete wird immer größer und auch ihre Eltern scheinen Geheimnisse zu haben. Im Zuge ihrer Bemühungen, den rätselhaften Vorgängen auf den Grund zu gehen, begibt sich Kari auf eine Spurensuche, die sie bis in die Höhen (Dachboden) und Tiefen (Keller) der Vergangenheit ihrer Ururgroßeltern führt und setzt so Stück für Stück jenes Puzzle zusammen, das zum spannungsvollen Erzählantrieb wird.
Aus dem Schwed. von Annika Ernst.
dtv 2018.
203 S.
Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess
Eine Ferienwoche auf einer Insel – wo andere unbeschwerten Urlaub verbringen, spinnt der zehnjährige Samuel seine als seltsam geltenden Gedanken. Doch als er die etwas ältere, selbstbewusste Tess kennenlernt, steht plötzlich ein anderes Thema im Mittelpunkt: Deren Suche nach ihrem Vater. Anna Woltz liebt in sich geschlossene Raum- und Zeitkonzepte – und verleiht ihren Kinderromanen damit immer eine liebenswerte dramaturgische Spannung. Auch Sam (Samuel) und Tess stehen nur wenige Tage zur Verfügung. Um Ferien an einem niederländischen Inselstrand zu genießen; um sich selbst mit allen kindlichen Fragen an das Leben und den Tod zu erkunden; um dem Vater nachzuforschen, den man bisher nicht gekannt und hierher gelockt hat. Die empathische Erzählweise findet in den Illustrationen eine geniale Entsprechung: Mit Gespür für Symbolik, aber auch für Gegenständlichkeit, nehmen sie die jeweiligen Themen auf. Und so ist alles Seltsame letztlich kein Problem, sondern eine Besonderheit. Steven Wouterlood setzt in der gleichnamigen filmischen Adaption die windigen Dünenlandschaft, die langen Fahrradfahrten, die großen und kleinen Entdeckungen mit viel Gespür für filmisches Timing um.
Mit Bildern v. Regina Kehn. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann.
Carlsen 2018.
174 S.
Film von Steven Wouterlood. Nach dem Roman von Anna Woltz.
NL 2019. 94 min.
Als DVD und auf VOD.
Tamara Bach: Was vom Sommer übrig ist
Am Beginn dieses Sommers steht ein durchdachter Plan, den die 17jährige Louise gefasst hat: Zwei Ferienjobs sollen bewältigt, der Hund der Oma betreut und der Führerschein geschafft werden. Theorie und Praxis klaffen schon am ersten Morgen auseinander, wenn der so träge anlaufende Sommer erstmals seine stilistische Beschleunigung erfährt. Dann taucht die 13-jährige Jana auf. Sie blockiert Louises Weg – und weist doch in ganz neue Richtungen. Beide Mädchen – so zeigt sich – leben im Schatten des Krankenhauses, einem Un-Ort, der das Leben der beiden indirekt bestimmt: Louises Eltern arbeiten in abwechselnden Schichten im Krankenhaus, Janas Bruder liegt dort im Koma.
Unvermittelt, für die Lesenden erst im Verlauf der Texteinheiten erkennbar, wechselt Tamara Bach zwischen den Perspektiven der beiden Figuren und gestaltet doch deren Wahrnehmung sprachlich unverwechselbar. Selten wurde in einem Jugendroman so befreit von allem thematischen und stilistischen Rundherum von der Sehnsucht danach erzählt, dass die Bewegung stoppt und doch alles in Fluss kommt. Und jetzt gehen wir, bis uns was anderes einfällt. Aber erst mal gehen wir.
Carlsen 2015.
137 S.