Aus d. Franz. v. Anja Kootz.
Aladin 2025.
32 S.

Charles Berbérian: Groß werden

Was für ein schöner Tag!
Ich bin so froh,
heute mit dir hier zu sein.



Sagt die Mutter zu ihrem Sohn zu Beginn dieses Bilderbuches, in dem sich auf den folgenden Seiten eine Wald-Wunderwelt eröffnet. Die Mission der beiden Figuren ist so einfach wie persönlich: ein kleiner Baum soll gepflanzt werden, um künftig an den kürzlich verstorbenen Großvater zu erinnern. Und wo wäre dieser besser aufgehoben als zwischen seinesgleichen im Wald.

Illustratorisch geschieht das eindrucksvoll: Der aus dem Irak stammende Comic-Künstler Charles Berbérian, der für Text und Bild verantwortlich zeichnet, liefert hier ein Gesamtkunstwerk ab: Rein in schwarz-weiß-gezeichnete Illustrationen treffen auf Wasserfarben-Szenarien, in die der Künstler das Figurenpaar setzt. Sie – die Illustrationen gleichermaßen wie die Figuren – ergänzen einander, erzählen einander aus und verweisen auf der Ebene der Farbgebung auf die Doppelbödigkeit, die auch durch den rein in Dialogen gehaltenen Text transportiert wird.

Auf der inhaltlichen Ebene wird vordergründig die Beziehung des Menschen zum Wald verhandelt. In einem einfachen Frage-Antwort-Spiel löchert der Junge die Mutter: Gehen Bäume auch zu Schule? Heiraten Bäume eigentlich auch und bekommen Kinder, die dann groß werden? Die Mutter quittiert mit teils sehr kurzen, aber gut überlegten Antworten, die die kindliche Neugierde aber nicht versiegen lassen und ganz dem kindlichen Dasein verpflichtet Folgefragen hervorrufen.
Hintergründig erkunden diese Fragen aber auch eine philosophische Dimension und versuchen, den Wald und den Menschen – durchaus auch in einer transzendenten Dimension gedacht – in Beziehung zu setzen. Fragen nach der Zeit – des Menschen wie des Baumes –, nach dem Zusammenspiel beider und nach der Schöpfungsverantwortung schwingen stehts mit. Und dann ist da natürlich noch der verstorbene Großvater, dem die Mutter versprochen hat, einen Baum zu pflanzen. Dadurch erhält das Thema von Werden und Vergehen Raum. Stets an den Baum als Metapher gekoppelt, philosophiert die Mutter: Genau, und er wird Früchte tragen und Samen bilden, aus denen wieder neue kleine Bäume wachsen.

Und genau hierin besteht die Besonderheit dieses Buches. Auf das Wesentliche reduziert verhandelt der Künstler weltliche und spirituelle Fragestellungen, schafft durch die konsequente Fragen-Antwort-Form und die daran gekoppelte Neugierde des Kindes abseits des Trauerprozesses der Mutter eine Balance auf bildlicher wie textlicher Ebene, die immer wieder dazu einlädt, innezuhalten und der Frage nachzugehen, was es heißt, in eine Gemeinschaft eingebettet zu sein. Denn:

Im Wald ist ein Baum niemals allein, um ihn herum wachsen ja überall andere Bäume.

Alexandra Hofer

 


 

 

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