Jacoby & Stuart 2024.
Aus d. Franz. v. Edward Jacoby.
40 S.

Jean-François Sénéchal / Chiaki Okada: Was ich dir noch sagen möchte

Der Wald ist still. Die Vögel sind stumm.
Ich möchte dir noch etwas sagen …
Aber ich finde nicht die richtigen Worte.

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, bleibt eine Lücke zurück. Nicht nur da, wo er Raum eingenommen hat und Teil des Lebens so vieler anderer war, sondern auch im Sprechen über ihn. Der Tod kann sprachlos machen. In diesem Bilderbuch des kanadischen Autors Jean-François Sénéchal und der japanischen Illustratorin Chiaki Okada ist es ein Fuchskind, das wortlos zurückbleibt, als seine Großmutter verstirbt. Der Tod kommt nicht überraschend, aber trotzdem mit voller Wucht – und ist so überwältigend, dass beim letzten Treffen die Worte ausbleiben.

Das Buch aber zeichnet nicht das Lebewohl vor dem Tod nach, sondern den Trauerprozess danach. In direkter Ansprache richtet sich das Fuchskind an seine Großmutter und schon bald wird den Leser*innen deutlich: Das ist ein Abschiedsbrief. Mit dem richtigen Gespür für kleine sprachliche Gesten wird auf die Leerstelle geschaut, die durch den Verlust aufgerissen wird. Und während der Text meist knapp bleibt, zeigen die zarten Buntstift-Illustrationen noch konkreter, was wegfällt. Die Orte, die die beiden gemeinsam besucht haben, das kindliche Spiel, das durch die Großmutter begleitet wurde, die kleinen und großen Geheimnisse, die nur zwischen den zweien bestanden.

Ich hab dich überall gesucht.
An all den Orten, die nur wir kannten.
Ich konnte dich nirgendwo finden.

Neben die großflächigen, doppelseitigen Illustrationen wird der typografische Text im Weißraum des unteren Seitenrands gestellt – eine Seitengestaltung, die wie aus der Zeit gefallen scheint und doch gerade dadurch ihre Wirkung entfaltet. Wo die Sprache verknappt und auslässt, erzählen die Bilder weiter und stellen für die Leser*innen die gemeinsame Vergangenheit mit der Gegenwart des schreibenden Fuchskindes gegenüber. Die Orte bleiben dieselben, auch die Gegenstände, aber die Welt ist eine andere. Das bildet sich auch in eindrucksvollen Naturbildern ab, die wie ein Spiegel für die wechselnden Emotionen des zurückbleibenden Kindes wirken.

Zwischen den Baumwipfeln ziehen dunkle Wolken auf, ein Blitzeinschlag bringt die Luft zum Zittern und am Wasser legt sich die rote Abendsonne über die Wellen – Chiaki Okadas Illustrationen übersetzen Gefühle in klassische Motive, die durch sanfte Lichtstimmungen und warme Farbtöne eine stille Poesie mitbringen. Am Ende findet das Fuchskind Worte für das, was es lange nicht ausdrücken konnte. Und die Welt, in die eine so große Lücke gerissen wurde, wird langsam wieder ein wenig heiler. Die Spuren, die die Großmutter hinterlässt (umgesetzt als gemeinsam gebastelte Figuren, in den Orten und Dingen, die für die Beziehung wichtig waren), bleiben ein bedeutungsvoller Teil dieses Alltags, der mutig im Schreibprozess neu erschlossen wird.

Denn ich wollte dir noch sagen …
Ich hab dich lieb.
Lebewohl.

Sarah Auer

 

Die gesammelten Religiösen Bücher des Monats finden Sie im
>>> Archiv