Religiöses Buch im Juni 2018
Sarah Glidden: Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger. Aus dem Englischen von Gerlinde Althoff. Berlin: Reprodukt 2018.
Birthright – eine US-amerikanische Non-Profit-Bildungseinrichtung, die jungen Juden und Jüdinnen einen Trip durch Israel ermöglicht, um ihnen ihre Kultur, Religion und Herkunft ein Stück weit näher zu bringen. 2007 macht sich die Autorin und Illustratorin, selbst bekennende Skeptikerin gegenüber der israelischen Politik, auf, um sich die Realität auf der anderen Seite der grünen Linie selbst anzusehen. (S. 15) Anhand ihrer eigenen Erfahrungen und Erinnerungen begleitet sie die Lesenden in dieser Graphic Novel durch Israel.
Ah wir sind im Heiligen Land! Ist das nicht wunderbar? Spürst du nicht auch so ein spirituelles Gefühl? (S. 11) – mit diesen Worten heißt Sarah Glidden die Leser*innen in Israel willkommen. Dieses spirituelle Gefühl, mit dem sie den Boden des Heiligen Lands betritt, scheint aber nur von kurzer Dauer zu sein. Mit einer gehörigen Portion Skepsis, Misstrauen und (Selbst-)Ironie führt die
Künstlerin durch dieses widersprüchliche Land. Dieser „Willkommens“-Satz widerspricht zwar der Grundeinstellung der Protagonistin, die der festen Überzeugung ist, dass diese Reise mehr einer Gehirnwäsche gleichen wird, als dass die Expedition sie wirklich ihren religiösen und kulturellen Wurzeln näherbringt. Im Verlauf des Plots wird jedoch deutlich, dass sich ihre
Vorstellungen und vielleicht auch Vorurteile nicht in allen Bereichen mit der Realität decken. Mit dem Voranschreiten der Handlung überträgt sich die Zerrissenheit des Landes mehr und mehr auf das Innere der Protagonistin und sie findet sich inmitten eines Gefühlschaos wieder, mit dem sie nicht so richtig umzugehen weiß. Ihr zurechtgelegtes Bild von Israel beginnt zu bröckeln...
Strukturiert wird diese Graphic Novel durch sieben Kapitel, die jeweils einem Ort, einer Region gewidmet sind. Kapitel 1: Orientierung sowie Kapitel 7: nach Birthright bilden einen Rahmen für die Golanhöhen, Der Kinneret oder See Genezareth, Tel Aviv & Umgebung, Die Wüste und den krönende
Abschluss Jerusalem. Der / die Leser*in wird nicht nur mit den aktuellen ambivalenten Zuständen in Israel konfrontiert, sondern findet sich in den geschichtlichen Entwicklungen, Unruhen, Streitigkeiten zwischen verschiedenen Volksgruppen und Landbesiedlungen sowie -besetzungen wieder. Dem Verhältnis zwischen Israel und Palästina und die damit verbundene Landenteignung wird dabei ein breiter Raum eingeräumt.
Diese Graphic Novel orientiert sich an der „klassischen“ Panelanordnung, die einzelnen Sequenzen setzen vor allem auf die Gefühlswelt der Protagonistin, ihrer inneren Zerrissenheit und ihren stetigen mehr werdenden Erkenntnissen. Bei besonders einschneidenden Ereignissen respektive bei der Überforderung der Protagonistin, wie sie Erlebtes, Erzähltes einordnen soll, stehen die Panels ohne (oder mit nur sehr wenig) Text für sich allein und wirken dadurch umso intensiver.
Grafisch ist vor allem die Einbettung des Erlebten sowie der historischen Ereignisse in die Panels hervorzugeben. Es kommt sozusagen zum Bild im Bild, gestapelte Baseball-Kappen verwandeln sich in die verschiedenen Völkergruppen, die das Land rund um Tel Aviv im Laufe der Geschichte für sich beansprucht haben, Erzählungen über in der Armee gestorbene Menschen werden durch diese in geisterhaften Darstellungen unterstützt oder die Gedanken der Protagonistin werden in den Himmel projiziert. Grundsätzlich handelt es sich um eine sehr realitätsnahe sowie detailgetreue Abbildung der besuchten Orte. Besonders deutlich wird dies bei der Darstellung des Besuchs in Jerusalem. Die heiligen Stätten der drei abrahamitischen Religionen sowie das Neben- und Miteinander innerhalb der Altstadt spielen eine übergeordnete Rolle sowie der Besuch des Holocaustmuseums Yad Vashem, der die Protagonistin abermals in tiefe Betroffenheit stürzt. Kritisch ist die illustratorische
Realisierung der Altstadt zu betrachten, da das zwischen dem christlichen bzw. jüdischen Viertel mit dem islamischen etwas verzerrt dargestellt wird, wen es heißt, Gil sagt, wir sollen nicht die Fahnen passieren, die die Grenze zum muslimischen Viertel kennzeichnen. Aus Sicherheitsgründen. (S. 165) Diese Ansicht wird jedoch wenig später revidiert. Das sechste Kapitel ist jenes, dass sich intensiver mit dem Thema Religion auseinandersetzt, wenn auch – v. a. das Judentum – während der gesamten mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Die Informationsfülle gepaart mit den eigenen Erfahrungen und dem inneren Konflikt zwischen der Autorin und Illustratorin sowie die grafische Darstellung ermöglicht dem Leser/der Leserin auf kreative und „leichter verdauliche“ Art und Weise einen Versuch, die Geschichte Israels aber auch die zeitgenössischen Konflikte zu erfassen.
Ob man Israel nach der Rezeption wirklich versteht, sei dahin gestellt, es bleibt jedoch ein hervorragendes Buch, für die Sensibilisierung gegenüber einem Land, das nahezu tagtäglich in den Medien Erwähnung findet und über deren Hintergründe man vielleicht nicht so viel weiß, wie man meinen möchte.
Alexandra Hofer
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