Religiöses Buch im November 2017
Jens Raschke: Schlafen Fische? München: Mixtvision 2017.
Es gibt Menschen, die sterben, weil ein süßer, kleiner Hund ihnen ins Bein beißt und sie eine Blutvergiftung bekommen oder weil sie nicht wissen, dass man Glühbirnen nicht essen darf. Manche Menschen sterben schon, bevor sie richtig auf der Welt sind, und manche, weil sie mit der Gabel im Toaster herumstochern und eine gewischt bekommen.
Diese und noch viele andere Arten des Sterbens zählt die 10-jährige Jette im siebten Kapitel von „Schlafen Fische?“ auf und verdeutlicht damit, dass es sehr absurde Möglichkeiten des Abtretens gibt. Anders verhält es sich jedoch mit ihrem kleinen Bruder Emil, der nur sechs Jahre alt geworden und nach einer langen Zeit im Krankenhaus gestorben ist. Zurück bleiben ihre Eltern, ein großes Loch in der Familie und Jette. Jette, die ratlos, traurig und wütend zugleich ist. Die eifersüchtig auf ihren kleinen Bruder war, weil Mama sich nur mit ihm beschäftigt hat. Die nicht versteht, wie man den Tod eines Kanarienvogels mit dem eines
Bruders vergleichen kann. Und die auch nicht versteht, warum man eigentlich sterben muss.
Die Geschichte setzt ein Jahr nach dem Tod des kleinen Bruders ein und arbeitet sich mit absteigender Kapitelnummerierung durch die verschiedenen Phasen der Trauerbewältigung, die Herausforderung für die Familie und die letzten und schönsten Erinnerungen, als Jettes Welt noch fast in Ordnung war. Mit jeder Menge Fragen von Jette und auch Emil nähert sich Jens Raschke auf sehr sensible, altersadäquate Weise dem Tod und alles was damit zusammen hängt an. So will Jette wissen, was denn eigentlich nach dem Tod passiert und warum man überhaupt beerdigt werden muss. Die nüchternen und scheinbar einleuchtenden Antworten der Erwachsenen kann und will die Protagonistin nicht einfach hinnehmen: „Damit hier oben auf der Erde mehr Platz für neue Menschen ist. Stell dir mal vor, man würde all die Menschen, die seit Beginn der Welt gestorben sind, einfach so rumliegen lassen. Da könnte man ja keinen einzigen Schritt mehr machen. Deshalb begraben wir unsere Toten. Deshalb sterben wir überhaupt. Um Platz zu machen für neue Menschen.“ „Die neuen Menschen können mich mal.“ Doch sie muss auch feststellen, dass der Tod unausweichlich ist und zum Leben dazu gehört. Während die Protagonistin sich mit dem Fragen nach dem Tod auseinandersetzt, beschäftigt ihren kleinen Bruder vielmehr die Zeit nach seinem eigenen Tod. Was wird die Familie dann machen? Wird er vergessen? Und wie läuft eigentlich ein Begräbnis ab? Anders, als man es gerne hätte, muss Jette bald feststellen.
Der Text, der den Tod nicht schönredet oder verharmlost, einfach und direkt ist, berührt den Leser oder die Leserin auf vielen Ebenen. Es werden nicht nur auf kindlich-naive Weise jene Fragen konkret angesprochen, die man vielleicht selbst schon an das Leben gestellt hat, sondern erzählt wird auch von einer Geschwisterliebe und dass man nach einem solchen Schicksalsschlag seinen Platz wieder neu finden muss. Jens Rassmus verdeutlicht mit den ausdrucksstarken Illustrationen das Geschriebene und fängt vor allem Jettes Gefühlslage ein. Interessant ist dabei, dass das Gesicht der Mutter niemals dargestellt, sondern immer nur ihr Rücken gezeigt wird. Die einfache Farbgestaltung von Schwarz-weiß und Grautönen untermalt die Schwierigkeit der Situation auf eine berührende Art. Und doch hat am Ende des Buches der Leser, die Leserin mit Jette viel gelernt: Dass es okay ist, sich hilflos zu fühlen, Hilfe anzunehmen und dass bei allem Schmerz die Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes bleiben.
Alexandra Hofer
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