Francesca Sanna: Die Flucht. Aus dem Engl. v. Thomas Bodmer. Zürich:NordSüd 2016.

Flucht ist derzeit ein Thema, das sowohl in der Tagespolitik als auch in der Kinder- und Jugendliteratur allgegenwärtig ist. Und bei aller Brisanz der momentanen Weltlage darf nicht vergessen werden, dass Flucht (leider…) eine Erfahrung ist, die Menschen zu allen Zeiten machen mussten und von der in Literaturen aller Zeiten erzählt wurde – so berichtet ja letztlich das alttestamentarische Buch Exodus von einer Flucht, mit drastischen und gewaltvollen Erfahrungen, wie sie auch heute viele Menschen machen mussten. Die junge italienische Illustratorin Francesca Sanna lebt selbst als Migrantin in der Schweiz. Bei einem Gespräch mit zwei Mädchen, die sie in einem Flüchtlingszentrum kennen lernte, wurde ihr klar, dass nicht nur deren Erfahrung eine ganz andere als ihre war, sondern dass darin auch etwas sehr Starkes steckt. Dieses Starke versuchte sie in ihren Bildern, für die sie mit verschiedensten Materialien haptisch und digital experimentierte, umzusetzen: Der Krieg, der die kindliche Erzählstimme und ihre Familie zur Flucht zwingt, wird in tiefem Schwarz dargestellt. Die Bewegung der Flucht zieht sich durch die längsformatigen Doppelseiten des Bilderbuchs, ein Debut, das mit der Goldmedaille der Society of Illustrators in New York, sozusagen dem Oscar der Illustration, ausgezeichnet wurde. Beklemmend eindrücklich ist auch die Darstellung der drückenden Verantwortung, die Eltern auf der Flucht zufällt: Wo es im Text beruhigt heißt „Doch Mama ist ja da, und sie hat nie Angst.“ zeigt das Bild, wie der Mutter, wenn die Kinder endlich eingeschlafen sind, Tränen übers Gesicht strömen. In der Fülle der literarischen Auseinandersetzungen mit Flucht ist es einerseits der inhaltliche Fokus auf die immense Kraft, die Menschen für diesen Weg aufbringen, der dieses Buch auszeichnet. Und andererseits ein enorm souveräner und ausdrucksstarker Einsatz von Bildsprache. Denn: «Auf Bilder kann man zeigen, Worte sind nur Stellvertreter», wie die Künstlerin es in einem Gespräch formuliert hat. (http://campus.nzz.ch/studium-generale/studentin-der-stunde-francesca-sanna) 

Kathrin Wexberg

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