Religiöses Buch im Dezember 2014
Lemony Snicket/John Klassen: Dunkel. Aus dem Engl. v. Thomas Bodmer. Zürich: NordSüd 2014.
Leo fürchtet sich vor dem Dunkel, das mit ihm im Haus lebt. Jeden Morgen öffnet er die Tür zum Keller (denn da wohnt es meistens) und grüßt hinunter, damit das Dunkel nicht eines
Tages ihn besucht. Doch eines Nachts geschieht genau das …
Aus Angst vor etwas täglich die Konfrontation damit suchen: Ohne dass es ihm bewusst ist, geht Leo einen sehr mutigen, fast schon heldenhaften Weg. Das, was uns Angst macht, zieht uns auch an, weil es uns zu Höchstleistungen befähigen – oder uns vollkommen lähmen kann. Dieser Alternative kommt Leo zuvor, indem er das Dunkel von Anfang an personifiziert. Immer noch hängt ihm die Aura des Unbekannten, Unergründlichen an, doch es bekommt eine menschliche Sprache: Die Glühbirne erstirbt eines Nachts, ein auch für auf Schauerliches gepolte Erwachsene der Beginn eines Horrorszenarios. „‘Leo‘, sagte das Dunkel im Dunkeln. […] ‚Ich möchte dir etwas zeigen …‘“
Dem dunklen Verführer folgend, passiert Leo Seite für Seite alle Orte, an denen er sonst das Finstere fürchtet. Illustrator Jon Klassen gibt ihm Raum dafür. Nur Leos Taschenlampe erhellt das Schwarz; nur ausschnitthaft sehen die Lesenden, was auch Leos Blick auffängt, was das Licht umreißt. Ziel ist die in vielerlei Hinsicht überreizte Unterwelt eines jeden Hauses, das Reich der Dunkelheit schlechthin: der Keller. „Noch nie hatte Leo sich nachts in das Zimmer des Dunkels getraut.“ Jetzt, langsam, tut er es und unwillkürlich atemlos folgt der*die Leser*in den Schritten des Jungen bis in den tiefsten Winkel des Kellers hinein. Dort steht eine alte Kommode. Und in der untersten Schublade der Kommode findet er… Glühbirnen! Ohne das Dunkel wüsstest du nie, ob du eine Glühbirne brauchst, mahnt Snicket in einem wortreichen Anfall von Moralin, der den ansonsten zurückgenommenen Text durchbricht. Der Lohn dafür, seine Angst überwunden zu haben, ist der Schutz vor dem Dunkel, den Leo jetzt eigentlich nicht mehr braucht. Schon beim Öffnen der Schublade lässt Klassen die Glühbirnen leuchten, das Dunkel hat seine Macht und seinen Schrecken verloren, noch bevor die Lampe in Leos Zimmer montiert ist. Verloren oder wohl eher abgegeben. Es bleibt friedlich im Haus wohnen, als ständiger Begleiter und wichtiger Teil des alltäglichen Lebens. „‘Danke“, sagte Leo. ‚Gern geschehen‘, sagte das Dunkel.“
Simone Weiss
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