Stian Hole: Garmans Geheimnis. München: Hanser 2012.

In „Garmans Sommer“ (2009) bekam es der sechsjährige Titelheld mit der Angst zu tun, als er bemerkt, dass die Blätter der Bäume zu welken beginnen. Denn Herbst heißt Schule und dort war er noch nie. Wurde er noch im zweiten Teil „Garmans Straße“ (2011) von Roy aus der vierten Klasse dazu genötigt die Wiese eines grimmigen alten Mannes in Brand zu setzen, weiß er in „Garmans Geheimnis“ (2012) bereits einiges über den schulischen Verhaltenskodex: Kreisförmige Kinderanhäufungen im Schulhof sind zu meiden und es darf nicht geblinzelt werden, wenn die gemein lachende Hanne vor dem Gesicht in die Hände klatscht. Die Zwillingsschwester Hannes ist Johanne und beide führen den Umzug am Nationalfeiertag an. 
Stian Hole setzt Garman, wie in den vorangegangen Bilderbüchern, in einen mehrstufig collagierten Bildraum, der sich aus Hochglanzphotographien, matteren       Drucktechniken          und    antiquierten Postkartenzeichnungen zusammensetzt. So wird Elvis – „the King“ – neben trompetenspielenden Kindern und schnauzbärtigen Anzugträgern Teil der Parade, an deren Rand über die erstaunliche Ähnlichkeit der festlich gekleideten Zwillingsschwestern getuschelt wird. Die schulische Hintergrundfolie der Illustrationen, blau liniert und mit Korrekturrand versehen, wird von floraler Ornamentik überlagert, als Garman von Johanne, die ihrer Schwester nur äußerlich gleicht, an der Schulter angetippt und in den Wald mitgenommen wird. 
Die herbaristische Szenerie der vorigen Bilderbücher verdichtet sich hier auf grün dominierten Doppelseiten zum sommerlichen Wald, der Johannes Geheimnis verbirgt, welches sie nun mit Garman teilt. Ob die alten, aufgetürmten Metallteile aber tatsächlich die Überreste einer Raumkapsel sind, ist zweitrangig, denn Garman schlägt vor: „Das hier kann unser Geheimplatz sein.“ 
Mit der feinen Strukturierung des Lebens, die sich bildlich in der Vegetation des
Waldes und in den Sommersprossen Johannes äußert, tauchen grundlegende Fragen auf: „Glaubst du, es gibt dort draußen einen Planeten, der genauso ist wie unserer?“ oder „Hast du Angst davor, erwachsen zu werden?“ 
Die neugewonnenen Gedankenräume, die sich in jener Lebensphase auftun, wenn man realisiert, dass alle Menschen Geheimnisse haben, werden über den Text als auch über die Bilder vielschichtig transportiert. 
Auf einem Ast sitzend, der Erde enthoben und den unendlichen Sternenhimmel über sich, fragt Johanne „Glaubst du, wir können Gott da draußen sehen?“ Und als sie wissen will „Glaubst du, man kann die Zeit anhalten?“ wird das dichte Blätterwerk reduziert und der Fokus auf die zwei Figuren gelegt, die sich in ihrer fragenden und staunenden Haltung so nahe sind, wie noch nie zuvor.

Peter Rinnerthaler

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