Phantastik-Tipp im September 2024
Aus d. Amerikan. v. Petra Koob-Pawis.
cbj 2024.
554 S.
Laura Sebastian: Thrones and Curses – Von den Sternen berührt
Sophronia überlegt einen Moment, bevor sie ihr Glas erhebt. „Auf unseren Siebzehnten”, sagt sie. Daphne lacht. „Oh, Soph, hast du schon einen Schwips? Wir sind sechzehn.” Sophronia zuckt mit den Schultern. „Das weiß ich”, sagt sie. „Aber mit sechzehn müssen wir uns verabschieden. Mit siebzehn werden wir wieder hier sein. Gemeinsam.” „Dann also auf unseren Siebzehnten", antwortet Beatriz und hebt ihr Glas. „Auf unseren Siebzehnten”, stimmt Daphne zu und stößt mit ihren Schwestern an, bevor die drei ihren letzten Schluck Champagner trinken. (19)
Die Drillingsschwestern Daphne, Sophronia und Beatriz sind die Töchter von Kaiserin Margaraux, die ambitionierte Ziele hat: Mit Hilfe einer in der Geschichte Österreichs allzu bekannten Strategie soll das Reich Bessemia auf den gesamten Kontinent von Vesteria ausgedehnt werden: Man verheiratet die Töchter.
Im zarten Alter von 16 sind die drei Mädchen ausgebildet in Giftmischen, Codierung und Dechiffrierung, Kampftechniken, Politik, Sprachen (jeweils des Landes, in das sie einheiraten sollen) und Verführungskünsten. Denn hinter dem Deckmäntelchen der Bündnisse durch Eheschließung ist es das Ziel, die Reiche von innen zu destabilisieren, damit Margaraux einschreiten und jeweils den Thron übernehmen kann.
Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt: Daphnes Verlobter verstirbt kurz vor ihrer Ankunft und Beatriz Verlobter ist homosexuell. Nur Sophronia, die sich bereits während des Kennenlernens per Brief in Leopold verliebt hat, findet einiger Maßen vor, womit sie gerechnet hat.
Laura Sebastian gelingt es ausgezeichnet in drei personalen Perspektiven, die einander abwechseln, drei unterschiedliche Charaktere zu skizzieren. Jede ist mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert und ist erstmals von ihren Schwestern getrennt. Es entfaltet sich eine interessante Dynamik zwischen den nostalgischen Erinnerungen an die gern gemeinsam verbrachte Kindheit und einer adoleszenten Loslösung. Zusätzlich beginnen zwei der Prinzessinnen rasch zu hinterfragen, ob die Pläne der Mutter nicht unzähligen Menschen schaden, die sie nun persönlich kennen und Beziehungen mit ihnen aufbauen. Der Blick auf die dominierende Mutter ist durch die Augen jeder ihrer Töchter anders, wird aber zunehmend reflektiert.
Leser*innen beobachten die Figuren beim Aufbau eines neuen Lebens in der neuen Rolle und des Entstehens sehr unterschiedlicher Partnerschaften mit den Verlobten/Ehemännern. Die Autorin konzipiert dabei glaubwürdige und vielschichtige Charaktere, deren Identitätsaufbau man gespannt verfolgen kann.
Teil der Herausforderungen für Daphne, Sophronia und Beatriz ist, dass bereits alle Regierungen auch ohne das Zutun der Kaiserin wackeln: Ein trunksüchtiger unberechenbarer König, eine Rebellengruppe und eine brodelnde Volksrevolution verlangen den Mädchen diplomatisches Geschick und neue Strategien ab. Die sprichwörtliche Stimme der Mutter im Kopf bleibt dabei präsent wie in einer fortdauernden Verhandlung um den richtigen Kurs: den vorgegebenen fremdbestimmten oder den eigenen neuen. Dieser Distanzierungsprozess ist im Rahmen des vorliegenden ersten Bandes keinesfalls abgeschlossen und es bleibt spannend, wie er sich in den weiteren Bänden der Trilogie entwickelt.
Die Fantasy-Bühne, vor der sich die individuellen und politischen Verwicklungen abspielen, ist geprägt von Astrologie, wie der Untertitel „Von den Sternen berührt” andeutet. Diese Dimension verleiht der Fantasywelt weitere Komplexität. Daphne, Sophronia und Beatriz sind sternenberührt, also mit Hilfe der Magie der Sterne gezeugt, was sich durch silbernes Glänzen der Augen äußerlich zeigt. Der erste Band der Reihe kratzt jedoch erst an der Oberfläche dessen, was das bedeuten kann.
Die Sterne als verehrte und zukunftsweisende Entitäten und Himmelsdeuter*innen als politische Machtposition prägen die erzählte Welt.
So ist es besonders herausfordernd für Beatriz, dass an ihrem Zielort Cellaria Sternenmagie als Ketzerei mit dem Tod bestraft wird und sie somit einen Teil ihrer Identität grundsätzlich verbergen muss.
Geburtskonstellationen haben Bedeutung, die sich auch tatsächlich als korrekt erweisen. Eine der Konstellationen ist, wenig überraschend: die drei Schwestern. Sternenstaub, der als Naturphänomen auf die meisten der Länder von Zeit zu Zeit niederfällt und im Extremfall durch das magische Herabholen eines Sterns gewonnen wird, kann zur Erfüllung von Wünschen oder Heilung von Wunden und Krankheiten verwendet werden. Einen sehr gelungenen Twist stellt diesbezüglich auch ein Sternenwunsch dar, der sich mit einer Prophezeiung vergleichen lässt, auf die sich alle Bemühungen der Kaiserin stützen.
Der Text ist bestimmt von Machtspielen, Identitätssuche und eben jenem Kernrätsel, das am Ende, im einzigen Kapitel aus der Sicht der Kaiserin, gelöst wird. Durch die drei Perspektiven bietet sich puzzleartig ein Bild der Schwesternbeziehung, der erzählten Welt und der Intrige, das man genüsslich gespannt zusammenbauen kann.
Das Warten auf weitere Puzzleteile dauert glücklicher Weise nicht lange, da bereits Mitte Oktober Band 2 in deutscher Übersetzung erscheint: Thrones and Curses – Für die Krone geboren.
Sonja Loidl
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