arsEdition 2024.
400 S.

Adalyn Grace: Belladonna. Die Berührung des Todes

You must not allow yourself to be consumed so thoroughly by death. It’s not selfish to live.

Der Tod wird oft als düster, furchterregend und ernst dargestellt, doch was ist, wenn man mehr Gemeinsamkeiten mit ihm hat als mit den Lebenden? Signa besitzt eine besondere Gabe: Zum einen kann sie nicht sterben. Zum anderen erscheint ihr der Tod stets, wenn das Schicksal eine andere Seele von dieser Welt in die Unterwelt ruft. Die Protagonistin, die seit ihrer Kindheit elternlos und durch verschiedene Vormünder geprägt ist, findet sich nun in einer ungewöhnlichen Situation wieder. Zuletzt lebte sie bei ihrer Tante Magda, einer kalten Frau, die Signa weder Zuneigung noch Güte entgegenbrachte. Als Tante Magda unerwartet stirbt, löst dies in Signa keine Trauer, sondern eher Fragen über ihre Zukunft aus. Inmitten dieser ungewissen Zeiten erreicht sie die Nachricht, dass ihre letzten Verwandten, die Hawthornes, sie als Vormundschaft ihres Onkels Elijah auf ihrem Anwesen Thorn Grove aufnehmen möchten. Ohne andere Perspektiven verlässt Signa bereitwillig ihr altes Leben und hegt einen Funken Hoffnung in ihrem Herzen. Bei ihrer Ankunft auf dem Anwesen Thorn Grove beginnt Signa, sich mit den Bewohner*innen vertraut zu machen. Ihr Onkel Elijah trauert um seine kürzlich verstorbene Frau Lilianne, während ihre jüngere Cousine Blythe unter derselben rätselhaften Krankheit zu leiden scheint, die bereits ihre Mutter dahingerafft hat. Als Signa durch den Geist der verstorbenen Frau selbst klar gemacht wird, dass Lilianne keines natürlichen Todes gestorben ist, beginnt sich ein unerwartetes Mordrätsel zu entfalten. Die Spannung wird durch die Unterstützung ihres alten Freundes, des Todes selbst, gesteigert, während sie sich bemüht, die Wahrheit hinter den mysteriösen Ereignissen aufzudecken.

Bald darauf stößt Signa auf eine erschreckende Entdeckung: Jemand mischt heimlich die giftigen Belladonna-Beeren in den Tee des Mädchens, um einen kaltblütigen Mord, wie einen tragischen Unfall aussehen zu lassen. Signa, die sich bereits mehrmals selbst mit diesen Beeren vergiftet hat, um zu überprüfen, ob sie wirklich unsterblich ist, erkennt den Geschmack sofort. Gemeinsam mit anderen „Freund*innen" des Mädchens beginnt sie, genauer auf ihre Umgebung zu achten. Ein bestimmter junger Stallbursche, Sylas, fängt schnell ihre Aufmerksamkeit ein. Sie öffnet sich ihm besonders, doch bald stellt sich heraus, dass er nicht der ist, der er vorgibt zu sein ...

Die Atmosphäre des Buches ist durchdrungen von einer düsteren Gothic-Geisteratmosphäre, die die Geschichte einer Familie umgeben, die in dunkle Geheimnisse gehüllt ist. Und von einem alten Herrenhaus, das von ruhelosen Geistern bevölkert ist. Diese lebendige, atmende Kulisse lenkt die Handlung in eine gruselige Richtung, die an die schaurige Atmosphäre der Netflix-Serie „The Haunting of Bly Manor" erinnert, wenn auch nicht ganz so intensiv. Der flüssige Erzählstil dazu ermöglicht es Leser*innen, den immer wieder auftauchenden Mysterien leicht zu folgen. Das Buch kulminiert in einem grandiosen Finale, in dem Signa den Täter entlarvt, endet aber auch mit einem Cliffhanger, der Lust auf mehr macht – und auch nicht lange auf sich warten lässt, denn der zweite Teil „Foxglove" erscheint Ende dieses Monats auf Deutsch!

Die Personifikation des Todes und seine Darstellung verleihen der Geschichte einen besonderen Reit. Es scheint, als ob der Tod seine Pflicht, Seelen ins Jenseits zu führen, nicht sonderlich mag und im Laufe der Geschichte wird rasch klar, warum er von Anfang an so fasziniert von Signa ist. Später ist sie die Einzige, die sein Leid versteht, denn alle um Signa herum werden sterben, und sie? Es bleibt abzuwarten, ob sie für etwas Größeres bestimmt sein könnte.

Zudem wird auch ein Hauch von Romantik geschickt eingeflochten, wenn auch eher als Nebenhandlung. Es ist nicht die erzwungene oder erwartete Liebesgeschichte, die man vielleicht vermuten würde; vielmehr fügt sie der Erzählung eine weitere Ebene hinzu. Eine Geschichte über ein Mädchen, das nicht sterben kann, und den Tod, der endlich jemanden berühren kann, ohne dass dieser stirbt. Mit jeder Seite steigt die Spannung, und die Vielzahl unbeantworteter Fragen verwebt sich nahtlos mit den fesselnden Charakteren, von Signas unerschütterlichem Durchhaltevermögen bis hin zu Sylas' beißendem Sarkasmus und dem geheimnisvollen Reiz des Todes selbst.

Carmen Schiestek

 

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