Aus d. Engl. v. Petra Knese
Coppenrath 2023.
336 S.

Ross Welford: Die magischen Träume des Malcom Bell


Kann man sich von seinem kleinen Bruder scheiden lassen?

Nach der Scheidung seiner Eltern und dem Umzug in ein kleineres Haus, in dem er fortan mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder Sebastian leben wird, ist Malcolm durch den Wind.
Was er alles angestellt hat, wird nur angedeutet, aber auch die erzählte Gegenwart ist nicht schmeichelhaft: Eine Wette mit Schulkollegin Kazia „Kez” Becker veranlasst ihn, in einen Schuppen einzubrechen und etwas mitgehen zu lassen. Er greift sich eine Schachtel, bevor er vom Hund Dennis verjagt und verfolgt wird – Karma könnte man sagen.
Und so sieht es auch der Ich-Erzähler selbst, der selbstironisch und mit humorvollen Bemerkungen in Rückblenden und Einschüben erklärt, wie es dazu kam, dass sein Bruder Seb im Krankenhaus liegt.

Besagte Schachtel beinhaltet zwei Trauminatoren: Geräte, die nach dem Zusammenbauen, ermöglichen, selbst kontrollierbare Wachträume zu haben; und zwar batteriebetrieben. Dieser Zugang zum Phantastischen zeigt Züge von Science Fiction. Malcolm nimmt sich selbst dabei nicht allzu ernst, was für Kenner*innen beider Gattungen bei der Lektüre eine zusätzliche Ebene Witz einfließen lässt.

Die zuvor ständig streitenden Brüder gehen mit Hilfe der Trauminatoren nun gemeinsam nachts auf Abenteuerreise und erkunden dabei etwa steinzeitliche Höhlen oder das Ufer eines Vaniellesees.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mädchen und Jungs, darf ich vorstellen … Malcolm und Sebastian Bells Top 3 Wachträume (Das dauert etwa eine Minute, denn länger hört keiner zu, wenn es um die Träume anderer geht)

Ein cleverer Schachzug von Malcolms Schuldirektorin sorgt dafür, dass er jenen alten Mann kennenlernt, den er bestohlen hat: Den grummeligen Mr McKinley, der die Trauminatoren erfunden hat und öffentlich gedemütigt wurde als er es versucht hat, sie zu vermarkten. Malky – wie Malcolm auch genannt wird – und seine Schulkollegin Susan, die er bezüglich der Wachträume ins Vertrauen zieht, besuchen den todkranken Schotten im Rahmen eines Nachbarschaftsprojekts.

Über die vietnamesische Großmutter von Susan werden realistische Informationen zu Meditation und Wachträumen in den Text eingeflochten. Hier fließt Gesellschaftskritik ein, wenn von der alten Dame klar formuliert wird, dass diese beiden Praxen trainierbare Fähigkeiten sind, die nicht durch eine ‚Abkürzung‘ unreflektiert angesteuert werden sollten. Der englische Autor weiß gekonnt kulturelle Spezifika wie der schottische Dirk (ein traditioneller Dolch) und Yak-Butter mit tragenden Rollen zu versehen, ohne ins Klischeehafte abzudriften.

Die Gefahren der phantastischen Technologie, die der englische Originaltitel „When We Got Lost in Dreamland” vorwegnimmt, zeigen sich bald konkreter. Malcolm hat mehrfach Schwierigkeiten, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden und nimmt Verletzungen aus der Traumwelt mit in den Alltag mit. Der Höhepunkt der Probleme wird erreicht, als Seb nach einem  Abenteuer im Traum nicht mehr aufwacht.

Ross Welfords Kinderroman ist eine sehr empfehlenswerte humorvolle Abenteuergeschichte, in der das Phantastische Faszination und Gefahr gleichzeitig ist.
Gewürzt wird die Erzählung mit intermedialen Verweisen (wie der Beatle-Song Let it Be) sowie pointierter, witzig verpackter Kritik an Medienverhalten und Konsumkultur.
Malky ist eine fehlbare, sympathische Erzählfigur, die zaghaft Freundschaft mit ihrem kleinen Bruder schließt, sich durch eine schwierige persönliche Situation kämpft und dabei feststellt, dass sie auch in Krisen nicht allein ist.

Sonja Loidl

 

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