Phantastik-Tipp im Februar 2023
Warner Bros. International Enterprises 2023.
Entwickelt v. Avalanche Software.
Howarts Legacy
Seit 1997 der erste Band von J. K. Rowlings "Harry Potter"-Reihe erschienen ist, hat sich die "Wizarding World" der Autorin zu einem riesigen (und lukrativen!) Medien-Franchise ausgewachsen. Doch interaktive Online-Plattformen, Kino-Spin-Offs und ein Theaterstück zum Trotz: Die von den Fans langersehnten Briefe nach Hogwarts sind mit Beginn jedes Schuljahrs wieder ausgeblieben. Bis jetzt – denn mit dem aufwendig gestalteten Open World-Game "Hogwarts Legacy" kommen die Einladungen in die wohl weltweit bekannteste Zauberschule nun endlich doch noch an und bieten Spieler*innen die Möglichkeit, selbst als Schüler*in nach Hogwarts zu reisen, sich einen Namen zu machen und sich auf bisher beispiellose Art und Weise auf diese magische Welt einzulassen.
In Produktion und heiß ersehnt war das neue Prestige-Projekt des markeneigenen Labels Portkey Games und des Entwicklerstudios Avalanche Software schon lange. Wir schrieben das ferne Jahr 2018 (und befanden uns damit zwei Jahre vor der offiziellen Ankündigung des Titels), als eine Minute geleaktes Spielmaterial die Game-Community und "Harry Potter"-Fans gleichermaßen in freudigen Aufruhr versetzte. Die ursprünglich für 2021 angesetzte Veröffentlichung wurde seither immer weiter nach hinten verschoben, aber nach fünf langen Jahren ist es jetzt wirklich so weit. Und ja, so viel sei vorab verraten – das lange Warten hat sich ausgezahlt.
Ein Blick auf die Haupthandlung (J. K. Rowling selbst war an der Entwicklung übrigens nicht beteiligt) führt hervorragend in das bestechende Setting des Spiels ein. Im Jahr 1899, also noch gut drei Jahrzehnte vor den Ereignissen um die "Fantastic Beasts"-Reihe, kommt den Spieler*innen ungewöhnlich spät ein Schreiben aus Hogwarts zu; sie sollen im fünften Jahr in den Unterricht einsteigen. Unter Anleitung des gutmütigen Professors Eleazar Fig (Lehrender für Theorie der Magie in Hogwarts) bereiten sie sich mit noch geborgtem Zauberstab auf die Reise vor, die dann aber andere Wendungen nimmt, als sie sollte. Der Flug in der Kutsche wird jäh durch den Angriff eines Drachens unterbrochen – ein ungewöhnliches und mehr als beunruhigendes Ereignis. Die dramatische Flucht gelingt durch einen Portschlüssel, dessen Magie aber nur auf die Spieler*innen zu reagieren scheint und sie mit Professor Fig unerwartet zum mysteriösen Verlies Nummer 12 in Gringotts führt ...
Den Rest der Haupthandlung sollten Interessierte am besten selbst herausfinden; es soll ja niemandem die Lust am eigenständigen Erkunden und Spielen genommen werden. Nach dieser nervenaufreibenden Ouvertüre geht es nämlich erst richtig los und die Spieler*innen begeben sich in die immersive offene Welt von "Hogwarts Legacy". Noch vor Spielbeginn haben sie, wie für Rollenspiele üblich, natürlich ihre Figuren erstellt (die Gestaltungsmöglichkeiten im Character Generator sind erfreulich offen und divers), mit der Aufnahme in die Schule folgt der erste Feinschliff. Gerade noch rechtzeitig schaffen sie es zur Eröffnungszeremonie, bei der sie vom sprechenden Hut einem Haus zugeteilt werden, dann beginnt endlich der für viele lang ersehnte Alltag in der Zauberschule.
Neben der fortschreitenden Haupthandlung, in der die sogenannte Alte Magie, die die Protagonist*innen wahrnehmen und später auch nutzen können, immer bedeutsamer wird, gibt es auf der umgerechnet rund acht Quadratkilometer großen Map (also dem Spielbereich, in dem sich die Spieler*innen selbstständig und uneingeschränkt bewegen und mit dem sie interagieren können – daher auch die Genre-Bezeichnung Open World) zahlreiche Rätsel und Nebenquests zu lösen. Wer übrigens den hehren Anspruch hat, nicht nur das Hauptnarrativ durchzuspielen, sondern mit einem 100%igen Spielverlauf abzuschließen, muss stolze 100 bis 120 Spielstunden investieren (aber keine Angst, für den Durchschnitt werden mickrige 30 bis 40 genügen). Auch ohne so große Ambitionen ist es jedoch nur allzu leicht, in der Welt von "Hogwarts Legacy" die Zeit aus dem Auge zu verlieren. Ausgedehnte Spaziergänge in das liebevoll und detailreich gestaltete Hogsmeade, Ausflüge ins Umland mit seiner besonderen Fauna und Flora und die Interaktion mit anderen Figuren oder magischen Wesen sind dann doch zu reizvoll, um sich nur auf einen Handlungsstrang zu fokussieren – ganz zu schweigen von dem großartig gestalteten Schulgebäude mit seinen vielen Geheimnissen und der ganz besonderen Funktion des Raums der Wünsche.
Wer es dabei entschleunigt mag, ist zu Fuß unterwegs, Ungeduldige nutzen die überall auf der Map freizuschaltenden Flohfeuer zur Schnellreise, Genießer*innen nehmen den Besen und Abenteuerlustige können – ja, es geht wirklich – sogar einen Hippogreifen zähmen. Fan-Herz, was willst du mehr? Im Gegensatz zu derzeit tonangebenden Titeln wie "Horizon Forbidden West" oder "Ghost of Tsushima" treffen die Spieler*innen dabei aber kaum Entscheidungen, die sich prägend auf das Hauptnarrativ auswirken. Die zugrundeliegende Handlung und ihr Verlauf bleiben unabhängig von der Freizeitgestaltung und zutage gelegten Moral der Figuren (wer möchte und die dafür notwendigen Nebenhandlungen durchspielt, kann sogar unsanktioniert die drei unverzeihlichen Flüche Avada Kedavra, Crucio und Imperius erlernen) weitgehend gleich. Variationen ergeben sich größtenteils in den Nebenquests. Man munkelt zum Beispiel, wer ein bestimmtes Haus wähle, könne sogar dem berüchtigten Gefängnis Azkaban einen Besuch abstatten …
Besonders ausgeklügelt und intuitiv zu handhaben ist erfreulicherweise das Kampfsystem. Die Spieler*innen eignen sich nach und nach neue Zauber und Fähigkeiten im Zaubertränke-Brauen an, die dann im Duellier-Club „Gekreuzte Stäbe“ oder in echten Auseinandersetzungen mit Gegner*innen zum Einsatz kommen können. Spaß macht dabei vor allem das Austüfteln und Ausprobieren immer neuer Kombinationen: So kann das Gegenüber erst mit Protego abgeblockt und dann mit Leviosa verwirrt werden, bevor ihm mit Accio größerer Schaden zugefügt wird. Schon nach kurzer Spielzeit können sich durch die vielen Übungsmöglichkeiten außerdem auch Videospiel-Neulinge die notwendigen Tastenkombinationen gut einprägen.
"Hogwarts Legacy" bietet (vor allem, aber nicht nur) Fans des Franchise eine einzigartige Möglichkeit, selbst in diese magische Welt einzutauchen, die eigene Figur laufend weiterzuentwickeln und ein Stück Hogwarts-Geschichte mitzuschreiben. Das beeindruckende Design des Schulgebäudes, die Detailverliebtheit des Geländes, die vielen versteckten Hinweise für „Harry Potter“-Kundige und der großartige Soundtrack (der zwar immer wieder kurze Motive aus dem Film-Score übernimmt, aber trotzdem eine ganz eigenständige Musik entwickelt) machen das Spiel zu einem Erlebnis, das sich Fans auf keinen Fall entgehen lassen sollten.
Und die Tür in diese Welt ist diesmal – Alohomora! – nur einen Controller oder eine Tastatur entfernt.
Sarah Auer
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