Mit Ill. v. Olivia Vieweg.
Aus dem Norweg. v. Ina Kronenberger. Thienemann 2025.
128 S.

Kjersti A. Skomsvold: Lisa mit einem Herz drum rum

Vorhersehbarkeit, Regelhaftigkeit, Struktur. Die Mathematik hat eigentlich viele Eigenschaften, die man als positiv und hilfreich sehen könnte - und ist dennoch für manche Menschen eher ein Schreckgespenst bzw. ein angstbesetztes Schulfach. Das ist für Lisa, von der die renommierte norwegische Autorin Kjersti A. Skomsvold, gekonnt übersetzt von Ina Kronenberger, hier erzählt, anders: Sie hat sogar ihr geliebtes Kaninchen nach der berühmtesten Mathematikerin ihrer Zeit Hypatia benannt, mit ihrem Vater führt sie Gespräche über die Fibonacci—Folge, die ja wiederum auch mit Kaninchen zu tun hatte (für weniger Mathematik-affine: angeblich entdeckte Leonardo von Pisa, auch als Fibonacci bekannt, diese Folge, als er die Vermehrungszyklen von Kaninchen untersuchte). Was ihr hingegen, anders als ihrer quirligen Zwillingsschwester Vera, gar nicht leicht fällt, ist die Kommunikation mit Menschen: In der Schule spricht sie eigentlich gar nicht und wird deshalb von den anderen Kindern abschätzig als „stummer Diener“ verspottet. Dann passieren unabhängig voneinander zwei Dinge in der Schule, die Lisa sehr beschäftigen: jedes Kind soll einen Vortrag über ein Thema seiner Wahl halten, was sie natürlich total stresst. Und Jonas, den sie schon seit dem Kindergarten kennt und eigentlich sehr mag, schreibt in sein Heft ihren Namen – und malt „so ein hässliches Jungenherz“ drum herum. Lisa kann es nicht fassen, sie ist gleichermaßen völlig ratlos, wie er das gemeint haben könnte, aber auch irgendwie in ihrem Forscherinnen-Geist angestachelt, es herauszufinden. Aus dieser Mission entspinnt sich eine Art Coming-of-Age-Geschichte der besonderen Art: In der Auseinandersetzung damit, wer sie für Jonas ist, stellt Lisa sich auch zunehmend die Frage, wer sie selbst eigentlich ist und sein will, gleichzeitig verändern sich auch ihre familiären Beziehungen. Ohne dass ihr Wesen je als neurodivers benannt oder sonst eingeordnet wird, wird an vielen sensibel geschilderten Kleinigkeiten deutlich, wie schwer es für sie selbst, aber auch ihr Umfeld ist, damit umzugehen. Comic-Künstlerin Olivia Vieweg entwickelte für die deutschsprachige Ausgabe Illustrationen, die gleichermaßen Figuren wie auch jenen Wald in den Blick nehmen, der für Lisa und Jonas zum Refugium wird. Und aus dem sie letztlich verändert und gestärkt durch eine starke Dosis Mathematik ins soziale Miteinander Klasse zurückkehren. Mit der Gewissheit, dass Veränderung zwar Herausforderung, aber immer auch Chance ist:

„Lisa denkt daran, dass sich das gleiche Leben, das sich früher viel zu lang angefühlt hat, jetzt zu kurz anfühlt, dass sich alles verändern kann. Sie kann sich verändern, sie kann dieselbe sein und gleichzeitig eine ganz andere."

LESEN – SPRECHEN – TUN

LESEN – Obwohl das Buch die Form eines Romans hat und einen breiten Erzählbogen spannt, ist es sprachlich sehr prägnant und knapp gestaltet und daher auch ein attraktives Lektüreangebot für Kinder, die sich vor üppigeren Texten vielleicht scheuen würden.

SPRECHEN – Das Buch bietet sowohl auf der Ebene der Geschichte an sich als auch auf der eingeschriebenen Meta-Ebene der Mathematik zahlreiche Anlässe für weiterführende Gespräche zu unterschiedlichsten thematischen Aspekten: Ist die Vorhersehbarkeit der Mathematik für mich wie für Lisa in der Geschichte hilfreich oder finde ich das schwierig? Was habe ich in herausfordernden Situationen wie Lisa bei ihrem Vortrag für Ressourcen zur Verfügung, um das zu gut zu schaffen?

TUN – Gänseblümchen, Ringelblumen oder Rittersporn, aber auch das Kerngehäuse eines Apfels oder ein Kiefernzapfen – die Fibonacci-Folge, die im Buch ein zentrales Motiv ist, findet sich auch in der Natur sehr oft und kann dementsprechend beobachtet und verfolgt werden.


Kathrin Wexberg


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