Aus dem Engl. v. Katharina Diestelmeier.  
Moritz 2025.
28 S.

Giselle Clarkson: Schau genau hin! Das außergewöhnliche Handbuch der Beobachtologie

Der Amazonas-Regenwald, die Berge Patagoniens oder gar die eisigen Welten der Antarktis – das sind so die Orte, die normalerweise mit wissenschaftlichen Expeditionen assoziiert werden. Beobachtologie hingegen kann auch an leichter erreichbaren Orten wie einer feuchten Ecke im Hinterhof oder sogar hinter dem Vorhang des eigenen Wohnzimmers stattfinden. Denn es geht, wie der Begriff mit Potential zum Zungenbrecher schon andeutet, um ein genaues Hinschauen auf interessante Details der Natur. Wichtige Voraussetzung dafür: Neugier. So basal dieser Zugang klingt, so schnell geht es dann ans wissenschaftlich Eingemachte, und die interessierten Leser*innen werden mit der Logik der Fachterminologie für Flora und Fauna vertraut gemacht – darunter so wunderbare Begriffe wie Upupa epops (der Wiedehopf) und zwei Gattungen klitzekleiner Meeresschnecken mit den schönen Namen Bittium und Ittibittium. Beobachtologisches Werkzeug braucht es nicht viel, dazu gehören jedenfalls Lupe, Spiegel und (Handy-)Kamera. Um dann tiefer einzutauchen in die Welt der Natur – und festzustellen, dass normal relativ ist:

„Wir wissen nicht, wie es ist, etwas anderes als ein Mensch zu sein. Deshalb denken wir oft, dass die Art, wie wir die Welt erleben, die „normale“ ist. Wir sehen mit den Augen, riechen mit der Nase, hören mit den Ohren, schmecken mit der Zunge und fühlen mit den Nerven in unserer Haut. Aber andere Wesen besitzen Sinnesorgane an GANZ anderen Stellen. So haben Wirbellose noch nicht mal eine Nase.“

Wie das konkret ausschauen könnte, wenn man wie ein Schmetterling die Geschmacksorgane an den Füßen hat, zeigt die neuseeländische Illustratorin Giselle Clarkson mit viel Witz in einer ihrer comic-artigen Illustrationen. Dabei zeigt sie Details ebenso genau wie korrekt, auch wenig bekannte Dinge wie das Pneumoston (die Atemöffnung der Schnecke) oder das Nest der asiatischen Papierwespe. Und kann dabei auf viel Erfahrung zurückgreifen: in Neuseeland ist sie vor allem durch ihre Sach-Comics für Kinder bekannt.

Bei allen Anleitungen, wie die Natur erforscht werden kann, wird immer Rücksicht auf die Bedürfnisse der jeweiligen Lebewesen genommen: während es spannend sein kann, ein totes Insekt genauer zu untersuchen, sollte dabei immer bedacht werden, dass sich z. B. Käfer auch totstellen, um einer Gefahr zu entgehen. Dementsprechend ist in einer Sprechblase zu lesen: „Ich bin nicht tot. Ich tu nur so, bis du mich in Ruhe lässt.“ Gekrönt wird all das lustvolle Erforschen und Entdecken mit einer Abschlussprüfung und zu guter Letzt einer wohlverdienten Urkunde in Beobachtologie.

LESEN – SPRECHEN – TUN

LESEN – Obwohl der Texte eine Vielzahl an teilweise recht komplexen wissenschaftlichen Fakten aufbereitet, ist er stets gut verständlich und wendet sich auch immer wieder direkt an die Leser*innen. Dabei kommen auch nachdenkliche, fast philosophische Zwischentöne nicht zu kurz: „Es stimmt nämlich nicht, dass alle Schmetterlinge bunt sind und alle Nachtfalter eintönig. Wer sich gerne als Schmetterlingsprinzessin verkleidet, könnte nächstes Mal vielleicht als Nachtfalterprinzessin gehen.“

SPRECHEN – Die Fülle an Tieren und Pflanzen, die in diesem Buch ebenso launig wie präzise vorgestellt werden, regt auch dazu an, über sie ins Gespräch zu kommen. Welche davon habe ich selbst schon einmal beobachten können, und was war daran besonders spannend? Gibt es Lebewesen, die ich besonders interessant oder aber besonders eklig finde? Bevorzuge ich die faule Variante der Beobachtologie hinter dem Vorhang der eigenen Wohnung, oder zieht es mich hinaus zu den feuchten Ecken und zugewucherten Flecken?

TUN – Das Buch liefert eine Vielzahl an konkreten Handlungsanleitungen im Tun mit der Natur, die sehr informativ sind. So soll etwa ein Wurm, der Gefahr läuft, zertreten zu werden, niemals mit den Fingern aufgehoben werden (Zerquetschungsgefahr!), stattdessen sollte er auf einem Blatt zu einem Fleckchen Erde im Schatten getragen werden. Eine erschöpfte Biene oder Hummel kann mit einem zuckerhaltigen Imbiss (kein Honig!) wieder auf die Beine bzw. Flügel gebracht werden. Und weniger nützlich, aber umso anregender für die Phantasie ist der Hinweis, dass sich Inneren der Immergrünblüte eine Feen-Zahnbürste befindet.


Kathrin Wexberg


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