MINT-Buch im Februar 2025

Gerstenberg.
56 S.
Juli Litkei: Da wächst doch was!
Es beginnt schon mal mit einer kleinen Herausforderung: Um dieses Bilderbuch sinnvoll betrachten zu können, muss es zuerst mal um 90 Grad gewendet werden. Somit befindet sich der mit weißem Faden geheftete Buchfalz fast genau in der Mitte der nun im Hochformat zu sehenden Doppelseite, die ein im Bilderbuch nicht unpopuläres Setting sehr detailliert zeigt: Nämlich das, was sich unter der Erdoberfläche befindet. Ameisen krabbeln emsig hin und her, Würmer arbeiten sich noch tiefer in den Untergrund und ein maus-artiges Wesen (Details dazu später) schläft gemütlich in seiner Höhle. Die ungarische Illustratorin und Designerin Juli Litkei hat für ihre Illustrationen ausschließlich natürliche Farben verwendet, darunter neben bekannteren wie Rote Rüben oder Kurkuma auch ungewöhnlichere wie Holzkohle, Spinat und Kaffee.
Mit jedem Umblättern verändert sich die Szenerie: das eben noch schlafende Tierchen öffnet die Augen, andere Insekten tauchen auf, und auf der vierten Doppelseite ist schließlich jene Pflanze erstmals zu sehen, um deren Wachstum es im Folgenden gehen wird: eine Kartoffel bzw. österreichisch Erdapfel. Von Seite zu Seite bahnen sich die Triebe ihren Weg durch das Erdreich, hinauf in Richtung Oberfläche, während rundherum im Ökosystem die Post abgeht: Beutetiere werden gefangen und mitgenommen, Gänge gegraben, andere Wesen neugierig beäugt. Bei aller botanischen und zoologischen Genauigkeit verleiht Juli Litkei den tierischen Akteur*innen einen dezenten anthropomorphisierten Akzent: Mit frechem Blick und faszinierender Gestik haben selbst Mistkäfer einen gewissen Sympathiewert. Erzählt wird der ganze Hauptteil des Buches textlos, was ja gerade im MINT-Bereich, wo sonst Zahlen, Daten und Fakten oft sehr wortreich vermittelt werden, ein Alleinstellungsmerkmal ist. Als der Lebenszyklus des Erdapfels sich (fürs erste) geschlossen hat und die Bildseite (scheinbar) so aussieht wie zu Beginn, wird auch der visuelle Erzählbogen geschlossen und durch ein detailliertes Glossar mit vielen Sachinformationen abgerundet. So wird etwa aufgeklärt, dass das maus-artige Wesen eine Feldmaus, Microtus arvalis, ist, und zu den Wühlmäusen gehört; und dass zu den bevorzugten Snacks Kartoffelknollen gehören. Zu guter Letzt wird dann die Kartoffelpflanze in Bild und Sachtext nochmal genauer vorgestellt; geendet wird mit einem ebenso schlichten wie eindringlichen Satz, der die Grundhaltung dieses bemerkenswerten Sachbilderbuchs gut zusammenfasst: „Alle Tiere und Pflanzen in diesem Buch tragen zur Artenvielfalt und zum Gleichgewicht des Ökosystems bei.“
LESEN – SPRECHEN – TUN
LESEN – gelesen werden hier zunächst einmal Bilder, was einen genauen Blick erfordert, um all die Details zu entdecken. Das Glossar hingegen fordert dann die Lesekompetenz im engeren Sinn, nicht zuletzt durch die lateinischen Gattungsbezeichnungen der Lebewesen: Wer die Bezeichnung für den Kartoffelkäfer, nämlich Leptinotarsa decemlineata, flüssig aussprechen kann, hat schon viel gewonnen für alle weiteren zu lesenden Texte im Leben.
SPRECHEN – ein textloses Bilderbuch wie dieses ist eine wunderbare Gelegenheit, um miteinander über all das ins Gespräch zu kommen, was es auf den liebevoll gestalteten Seiten zu entdecken gibt. Was denkt sich dieser Mistkäfer wohl gerade, der mühevoll seine Kugel einen Hügel hinaufrollt? Ob Wühlmäuse träumen, während sie in ihrer Höhle schlafen? Welches der Tiere spricht mich besonders an, welches finde ich eklig?
TUN – am Ende des Buches gelangt man per QR-Code zu einem Daumenkino, das auf Smartphone oder anderen Devices bewegte Bilder zeigt. Die Zugangsweise der Künstlerin, ausschließlich mit natürlichen Farbpigmenten zu arbeiten, kann auch selbst ausprobiert werden: Der Verlag liefert eine detaillierte Anleitung, wie Naturfarben selbst hergestellt werden können, auf die man >>> hier zugreifen kann.
Kathrin Wexberg
Die gesammelten MINT-Bücher der letzten Monate und Jahre finden Sie im >>> MINT-Archiv
