Jungbrunnen 2024.
112 S.

Michael Hammerschmid: was keiner kapiert

Wer Michael Hammerschmid liest, muss sich auf Verschiedenes und Immerneues gefasst machen. Hat er erst in seinem letzten Band „stopptanzstill!“ Wiener Tierfiguren in seine Lyrik geschmeichelt und dabei die Hauptstadt in Maßeinheiten von Walen und Spatzen, Krokodilen und Wasserspeiern, ist es nun das Innerste, das auf eine lyrische Karte gespannt wird. Der aktuelle Lyrikband „was keiner kapiert“, unternimmt den Versuch, das „ich“ zu fassen; ein Unternehmen, das doch eigentlich scheitern muss. Doch vom Scheitern kann in Michael Hammerschmids poetischem Nachsinnen nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: eben dort, wo das „ich“ durch alle Netze schlüpft, zeigt sich seine Komplexität:

no chance

[…]
ich bin nie so
merkgescheit wie du
doch schnell wie
ein nu und klein
bist du und gross
bin ich durch mich
und dich verläuft
ein strich und noch
einer und nochundnoch
denn selbst mit mir
bin ich nicht gleich
bin alt und jung
und fremd und weich
und tobend lieb
und schrecklich nichts
das biegt und schiebt
und streicht den strich
doch sicherlich
das hoffe und das fürchte
ich. […]
(S. 27)

Zwischen Zeilensprüngen scheint sich das „ich“ in seiner Selbstfindung immer wieder neu zu orientieren und in den Abgleich mit dem „du“ zu setzen. In seinem Stakkato der Gegensätzlichkeiten werden wir Lesenden staunend dieser Metamorphose gewahr und erinnern dank Michael Hammerschmids Wortkunst die Wandelbarkeit der Jugend wieder, die zwischen Suchen und vorläufigem Finden changiert. An anderer Stelle sind es bewusstseingeströmte konkrete Lebenssituationen, die das „ich“ in seinem sozialen Umfeld verdichten. Der Partybesuch wird so zum allgegenwärtigen Dröhnen:

Party

unter leute getaucht
durch den raum die
worte die blicke vor-
bei gekratzt und an-
geeckt nicht da und
dort doch weiter-
gerudert durch den
plunder  […]
(S. 43)


Ganz in Blau illustriert ist der Band von Barbara Hoffman, die – wie die Poesie selbst – einmal konkreter, dann wieder in musterhafter Abstraktheit Bildausdruck findet für Michael Hammerschmids Wörterbilder. In Kombination ergibt sich daraus die Lektüre eines genüsslichen Durcheinanders, das Gedanken heranträgt und dann schmetterlingsgleich abflirren lässt und wir können verweilen oder auch leichtherzig über die kurz- und kürzesten Gedichte hinwegstreichen, die hier vor uns liegen. Michael Hammerschmid ist mit dem Band eine Sammlung an Ein- und Innerstblicken gelungen, die als Lyrikbuch sowohl für die leseerprobte Jugend poetische Ballungsräume bereithält, als auch ein lyrisch schon gereifteres Publikum zu überraschen bereit steht.  


Iris Gassenbauer


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