Lyrik-Tipp der STUBE
Tyrolia 2024.
96 S.
Lena Raubaum und Katja Seifert: Ich hab da was für dich. Wortgeschenke und Gedankenstupser.
Was ist ein Gedicht?
Es reimt sich
oder nicht
Der Frage, was das Wesen eines Gedichts ist, kann auf unterschiedliche Arten nachgegangen werden: Theoretisch, in Form einer Poetik-Vorlesung oder eines Fernkurses für Literatur (so geschehen in >>> LyrikLesen der Literarische Kurse). Oder aber indem mensch Gedichte schreibt. Das tut Lena Raubaum, seit ihrem Debut „Die Knotenlöserin“, 2018 bei Tyrolia erschienen, eine der prägenden Akteurinnen der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur: Durch ihre Texte, deren formale Bandbreite von Bilderbuch über Kinderroman bis hin zur Lyrik reicht, aber nicht zuletzt auch durch ihre höchst dynamische Art, ihre Bücher zu präsentieren (der Begriff Lesung greift in diesem Fall fast zu kurz, Performance trifft es eher).
„Mit Worten will ich dich umarmen“ war ihr erster Band mit Gedichten und Gedanken und erschien 2021, illustriert von Katja Seifert. „Ich hab da was für dich“ schließt nun quasi nahtlos daran an: Gegliedert in 8 Kapitel, die mit je einem Gegensatzpaar, von emotionaleren Themen wie „Zuversicht & Hoffnung“ bis hin zu konkreteren wie „Wetter & Natur“, finden sich hier 101 kurze Texte, die eindrucksvoll zeigen, was in der Form des Gedichts alles möglich ist. Buchstaben durcheinander zu wirbeln, zum Beispiel, oder einen Text im Kopfstand lesen müssen (das Buch umdrehen geht auch, ist aber geschummelt). Mit einem einzelnen verschobenen Buchstaben eine völlig neue Ebene aufmachen – denn müsste Poesie für sich selbst nicht eigentlich „Gemicht“ heißen? Einen Paarreim möglich zu machen (oder auch nicht). In 10 Wörtern ein Gedicht zu schreiben – oder in viel viel mehr. Der Lust am Sprachspiel zu frönen, aber auch schweren Gefühlen Raum zu geben. Die Zuversicht an die Tür klopfen zu lassen und einen Stein schaukeln.
Bebildert ist diese sprachliche und thematische Vielfalt ein weiteres Mal von Katja Seifert: In einer analogen Mischtechnik aus Gouache, Farbstift und Tuschestift versteht sie es mit ihren charmanten Bildideen, Stimmungen und Nuancen aufzunehmen und auf der visuellen Ebene weiterzuspinnen. Der Untertitel „Wortgeschenke und Gedankenstupser“ beschreibt treffend, was diese Texte sein können: Impuls, um an einem konkreten Thema weiterzuarbeiten. Anstupser, um über ein schwieriges Thema nachzudenken. Anregung, sich mit Sprache auf so wunderbar verspielte und gleichzeitig sehr tiefgründige Weise zu beschäftigen wie Lena Raubaum es tut. Und schließlich vor allem eines, für alle Altersstufen, zu jedem Anlass oder auch einfach so: Geschenke.
Kathrin Wexberg
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