Lektorix des Monats Juni 2017

Melanie Laibl:
Prinzessin Hannibal.
Ill. v. Michael Roher.
Luftschacht 2017, S. 32, € 22,60
"Für alle Helden in Blümchenstrumpfhosen"
Eine Prinzessin zu sein, ist Prinz Hannibal Hippolyt Hyazinths dringlichster Herzenswunsch. Kein Wunsch wie andere Wünsche, sondern „Blubbernder und brodelnder. Dringlicher und drängender. Heimlicher – und gleichzeitig unheimlicher.“ Seine Eltern sind leider mit „Thronangelegenheiten“ und anderen Erwachsenenangelegenheiten wie einem Fernkurs in französischer Fächersprache beschäftigt und haben keine Zeit für Hannibals Probleme.
Deshalb fragt der Prinz seine älteren Schwestern, die klingende Namen von Anas-tasia Arabella Anemona bis Eleonora Eulalia Enziana tragen, um Rat. Diese teilen ihr Fachwissen mit dem Bruder, das sich allerdings zu großen Teilen nicht aus eigener gelebter Erfahrung, sondern aus den Märchenerzählungen von Schneewittchen bis Aschenputtel speist. Für Hannibal erweist es sich als gänzlich unbrauchbar.
Ein Kontrapunkt zur „Pinkifizierung“
Seine beiden jüngsten Schwestern endlich wissen, dass in jedem Prinzen von sich aus ein Funken Prinzessin steckt und umgekehrt. Man wird – in Abwandlung von Simone de Beauvoirs berühmter These – also niemals nur als Mann oder Frau geboren. Entscheidend ist, was man aus seinen Anlagen macht. Die beiden Schwestern bringen Hannibal auf eine gute Idee … So steht am Ende wie so oft im Märchen ein rauschender Ball, bei dem eine geheimnisvolle Prinzessin für Aufsehen sorgt.
Melanie Laibls Text besticht mit spielerisch-ironischem Duktus und ist geprägt von Anaphern, Wortspielereien und zahlreichen Märchenreferenzen, nicht nur inhaltlicher, sondern auch stilistischer Natur. Er harmoniert damit ausgezeichnet mit
Michael Rohers grotesk-fantastischen, scherenschnittartig anmutenden Illustrationen, in denen Witz und Ironie ebenfalls nicht zu kurz kommen. Zum Beispiel wenn der Information, dass der Vater viel mit Thron- und Regierungsgeschäften beschäftigt sei, kontrapunktisch ein Bild des Königs beim Zehennägel-
streichen beigestellt wird. Die Bilder sind passend zur Thematik großteils in blau und rot gehalten. Zwei Farben, die traditionell den beiden Geschlechtern zugeordnet werden, wobei die jeweilige Zuordnung historisch schwankt. So galt rot lange Zeit als kriegerische Männerfarbe und blau – die Farbe der Jungfrau Maria – wurde Mädchen zugeordnet. Die geschlechtliche Ambivalenz der Hauptfigur reicht in den Bildern also bis in die Farbwahl hinein. Die Durchdachtheit dieses Bilderbuchs, das ein gerade in Zeiten zunehmender „Pinkifizierung“ gesellschaftlich höchst relevantes Thema zur Sprache bringt, zeigt sich nicht zuletzt in der Widmung: „Für alle Helden in Blümchenstrumpfhosen“.
Lena Brandauer
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