Lektorix des Monats April 2016
Thé Tjong-Khing:
Hieronymus. Ein Abenteuer in der Welt des Hieronymus Bosch
Moritz 2016, S. 48, € 15,40
Von Bosch inspirierte Bildwelt
Grauenhafte Dämonen, bildliche Allegorien und gewalttätige Szenen – die rätselhaften Bildwelten des vor 500 Jahren verstorbenen Malers Hieronymus Bosch sind nicht unbedingt etwas, das auf den ersten Blick eine Nähe zum Bilderbuch aufweist, das oft vordergründig dem Kleinkindalter zugeordnet wird. Und doch hat es der in Indonesien geborene niederländische Illustrator Thé Tjong-Khing gewagt, ein vollkommen textloses Bilderbuch ganz in einer von Bosch inspirierten Bildwelt spielen zu lassen und nur mit einer Rahmenhandlung an die Gegenwart anzubinden.
Am Schmutztitel ist zu sehen, wie ein kleiner Bub sich von einem Haus mit davor geparktem Auto entfernt, vergnügt und unternehmungslustig, begleitet von seinem Hund, ausgestattet mit einigen wenigen Gegenständen: einem Rucksack, einer an den Gürtel gebundenen Schnur, einer Kappe mit roter Feder daran sowie einem Ball. Auf der ersten Seite stürzt er von einer Klippe – um schon auf der nächsten Doppelseite in einer Welt zu landen, die von Bosch’schen Figuren bevölkert ist.
Zurück- und Vorblättern
Hier beginnt sich die Geschichte in mehrere Stränge aufzuteilen, die beim Betrachten, wie auch in Thé Tjong-Khings erfolgreichen Bilderbüchern rund um die Torte, ein ständiges Zurück- und wieder Vorblättern erfordern: Denn die Kappe wird von einem Seeungeheuer geschnappt, diesem aber von einem anderen Wesen entrissen, das auf der nächsten Doppelseite auf einem Baum sitzt.
Das Schicksal der Kappe ist aber nur eine von vielen Geschichten, die es durch genaues Schauen (und Blättern) aufzuklären gilt. Worüber weint der Engel so verzweifelt? Ist die Frau mit dem getupften Kleid (auch sie ist kurz im Besitz der Kappe) nun eine Gute oder eine Böse? Und was hat eigentlich der Hund die ganze Zeit über gemacht – denn auf der letzten Seite laufen Bub und Hund wieder zum Haus zurück.
Während einzelne Bildzitate aus der Kunstgeschichte im zeitgenössischen Bilderbuch sehr häufig sind, kommt es selten vor, dass das gesamte Setting an das Werk eines anderen Künstlers angelehnt ist. Es ist faszinierend, wie Thé Tjong-Khing hier vorgeht: Figuren und Landschaften sind gleichermaßen sehr Tjong-Khing und sehr Bosch.
Hier zeigt sich auf eindrückliche Weise, wie sich das Medium Bilderbuch an ganz unterschiedliche Altersstufen zu richten vermag: Von diesen Bildwelten werden Kinder im Kindergartenalter (so sie nicht zu große Angst vor schaurigen Figuren haben …) genauso fasziniert sein wie Jugendliche, die sich gerade im Kunstunterricht mit Hieronymus Bosch beschäftigen.
Kathrin Wexberg
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