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Lektorix des Monats April 2015

 

Patricia McCormick: Der Tiger in meinem Herzen.
Aus dem Engl. v. Maren Illinger.
FISCHER KJB 2015,
256 S., € 15,50.



Mit Musik Krieg überleben

Kambodscha im April 1975. Musik hallt durch die Straßen, Liebeslieder, die Beatles, Twist. Arn Chorn-Pond ist elf Jahre alt, liebt Kino und die Prinzessin. Unbeschwert setzt Patricia McCormick in ihre Erzählung ein und setzt damit einen drastischen erzählerischen Kontrast zu den folgenden Ereignissen. Dem Roman ist eine Passage vorangestellt, die ankündigt, was passieren wird und dennoch nicht vorbereiten kann auf die Grausamkeiten, denen Arn und sein Land und in der Lektüre auch die Lesenden ausgesetzt sein werden:  Das Regime der Roten Khmer übernimmt die Macht, deportiert die Bevölkerung in Arbeitslager und tötet knapp zwei Millionen Menschen. Aus der Perspektive Arns wird vom „schlimmsten Völkermord, der je in einem Land begangen wurde“ erzählt, seine einfache und dringliche Sprache spiegelt das Unverständnis, mit dem man dieser unfassbaren Größe des Leids – auch aus der Lektürehaltung heraus – begegnet. „An einem einzigen Tag“, denkt Arn, „kann sich ein Mensch daran gewöhnen, Leichen zu sehen.“ Sein Weg führt ihn vom Todesmarsch ins Arbeitslager und schließlich in den Dschungel, wo er als Kindersoldat eingesetzt wird. In seiner Reflexion werden die Paradoxie von Gewalt, aber auch die Mechanismen der Entmenschlichung, nur allzu deutlich. Patricia McCormick fordert jugendliche und erwachsene Lesende mit der Explizitheit des Textes heraus und fokussiert doch immer wieder auf Menschlichkeit: Arn findet in der Musik, die er für die Soldaten spielen muss, um die Geräusche des Tötens zu übertönen, einen Weg zu überleben. Erst im Nachwort legt der Text seinen biographischen Hintergrund offen: In zahlreichen Interviews hat die Autorin Arn Chorn-Pond befragt und literarisiert seine Erinnerungen im Präsens, ohne einen sichtbaren Filter zu setzen. Die Musik wird dabei zum zentralen Moment: Einerseits Exempel für die vielen Dinge, die die Rote Khmer Kambodscha geraubt hat, andererseits als jene Kraft, die Arns Leben bestimmt. Der Text schließt mit Arns Flucht in ein Flüchtlingslager, wo er seinen us-amerikanischen Adoptivvater kennenlernt und in der neuen Heimat mit dem Tiger in seinem Herzen – seinem Kriegstrauma – leben lernen  muss. „Nach allem was ich durchgemacht habe, werde ich nun auch meine Rettung überleben.“Außerfiktional setzt sich sein Leben und auch dessen Leitmotiv fort: Arn ist mittlerweile Menschenrechtsaktivist und setzt sich für die fast verlorene Musikkultur Kambodschas ein. Der eindrückliche Text entlässt einen mit dem Gefühl der Verstörung, vor allem aber dem Drang mehr über Kambodscha zu erfahren, er fordert Nachbereitung und Begleitung.

Christina Ulm

>>> hier geht es zur Übersicht 2015

 

 

 

 


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