Lektorix des Monats April 2011
Elisabeth Schawerda: Das Geheimnis ist blau.
Ill. v. Helga Bansch.
Wiener Dom-Verlag 2011.
Die Farben dazwischen
In der Buchstabenwelt der Literatur ist das Bilderbuch farbgebendes Genre: Nicht nur bringt es die Farbe als Gestaltungselement mit ein, sondern thematisiert darüber hinaus gerne die Vielgestalt des Farbspektrums – man denke nur an Jutta Bauers „Die Königin der Farben“ und deren wilden Ritt über das Rot. Dem markanten Laut und Leise von Bauers Farbwahl setzt die österreichische Lyrikerin Elisabeth Schawerda in mehrfacher Hinsicht Zwischentöne entgegen: "Zwischen Blau und Grün / schwebt es her und hin, / das leuchtende Türkis."
Als farblicher Grenzfall hält das Türkis die Dinge ebenso in Schwebe wie die Michfarben Lila oder Rosa. Diesem Schwebezustand wird nachgespürt, indem die Spracherprobung farblicher Erscheinungsformen Hand in Hand geht mit der Erprobung des Wortklangs: "Von schönstem Gelb sind, wenn das Wetter / kühl im Herbst wird, Ahornblätter. / Wie ein Zauberteppich liegen sie / herb duftend auf den Wegen in der Früh."
Einen Widerhall der Worte, den sie in einem ihrer zuletzt erschienenen Lyrikbände für Erwachsene in der Nymphe Echo verbildlicht hat, lässt Elisabeth Schawerda nun im kinderlyrischen Bereich mithilfe der Wiederholung und Variation entstehen: "Die Orangen sind orange / auf dem Orangenbaum. / Doch die Birnen sind nicht birn / auf dem Birnbaum."
Die Leerstellen dieser sprachlichen Askese (wie Elisabeth Schawerda selbst das Verlangen nach dem Schreiben von Lyrik einmal benannt hat) greift Helga Bansch in ihren Illustrationen auf; mit jedem Gedicht eröffnet sich eine neue, eigenständig gestaltete, doppelseitige Bildwelt. Den optischen Effekt der Farben fängt Helga Bansch dabei im Haptischen auf; doch auch sie schafft nie Klarheit, sondern formuliert bildlich ein Dazwischen, indem sie Papiere übereinanderlegt und Transparenteffekte herstellt, altes und bedrucktes Papier collagiert, übermalt und nur scheinbar deckende Farbflächen herstellt: Stets verbirgt sich darin und/oder dahinter ein Mehr an Details. Diese Durchlässigkeit korrespondiert mit der Leichtigkeit der Figuren (vielen von ihnen ist ein Ballon an die Hand gegeben). Als eine Bildkonstante im Arrangement zahlreicher kleiner Figürchen taucht immer wieder eine Kinderfotografie auf. In einige der Bilder collagiert verleiht sie dem in seiner Gestaltung höchst zeitgemäßen Bilderbuch jene Zeitlosigkeit, für die auch das titelgebende Geheimnis steht:
"Das Geheimnis ist blau / und hat einen lila Rand. / Keinem einzige Menschen / ist es bekannt."
Heidi Lexe
Buchtipp in DIE FURCHE 14/7. April 2011
Robert Göschl: Die Geschichte vom Zyphius.
Luftschacht 2011.
Tief unten im Meer
Cineasten ist das Fantasiewesen Zyphius vielleicht nicht namentlich, vermutlich aber als Bild ein Begriff: Die Künstlerin Gertie Fröhlich entdeckte es in einem Text aus dem 16. Jahrhundert über Fabelwesen. Fasziniert von seiner kuriosen Hässlichkeit und seiner besonderen anatomischen Eigenschaften wählte sie es als Logo für das Wiener Filmmuseum, wird auf der Webseite erzählt. Der Künstler Robert Göschl widmet sich in seinem Bilderbuchdebüt diesem sagenumwobenen Wesen: All die schrecklichen Eigenschaften, die der Zyphius angeblich haben soll, werden in gereimten, im Duktus ein wenig an die beliebte Geschichte vom "Grüffelo" erinnernden Versen aufgezählt.
Die Tiefen des Meeres werden dabei nicht in den üblichen Blauvarianten, sondern vielmehr einer Fülle an knalligen Schattierungen aller Farbfamilien inszeniert bzw. auf modern anmutende Weise interpretiert: Die Behausung des Tieres leuchtet in futuristischem Orange, seine Glühbirnenaugen werden von einer Batterie gespeist, seinen Rücken zieren Palmen. Der Text folgt dabei jeweils dem Verlauf der Bilder: So ist er manchmal schneckenförmig eingerollt, um sich dann wieder an der langen Zunge des Zyphius zu orientieren. Während letzten Endes durchaus erwartbar aufgeklärt wird, dass es sich bei dem vermeintlichen Ungeheuer eigentlich um ein harmlos Meeressäugetier (Ziphius cavirostris, Cuvier-Schnabelwal) handelt, stecken die Bilder, vor allem aber die Buchgestaltung voller witziger Überraschungen und Anspielungen. Mit dem bedeutungsschwangeren Eröffnungsstatement eines kleinen Fischers "We gonna need a bigger boat" kommen auch die Cineasten auf ihre Kosten.
Kathrin Wexberg
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